"Sie werden dich 'Frau eines Märtyrers' nennen"
Oft hat er seine Geschichte in den vergangenen 18 Monaten erzählt - seine, und die seiner Brüder Bachar und Amar, gefallen im Verteidigungskampf für ihre syrisch-christliche Heimat. Bachar und Amar, zwei weitere Namen auf der schier endlosen Liste dieses Kriegs: "Sie haben ihr Blut gegeben für unser Land", sagt Naji Kamar Daoud und fragt: "Was gibt uns das Land im Gegenzug?"
"Ich bin ein Soldat, ich habe keine Angst, vor nichts." Wie zur Bekräftigung öffnet Naji Kamar Daoud das Hemd seiner Militäruniform. Narben zeichnen den Oberkörper, den Arm. Die Uniform trägt er seit acht Jahren, "daran hat auch der Tod meiner Brüder nichts geändert". Früher war Daoud beim Geheimdienst. Heute verteidigt er sein Damaszener Stadtviertel. Und seines Bruders kleine Tochter, "die nichts im Gegenzug für das Martyrium ihres Vaters erhalten hat".
"Ich sage, was ich denke"
Der Soldat hat "keine Angst, die Dinge zu benennen. Ich sage, was ich denke." Naji Kamar Daoud sagt viel, auch in den wenigen Momenten, in denen er schweigend zwischen Patronenhülsen und den Gedenktafeln an seine Brüder auf dem Sofa sitzt. In jenen Momenten spricht Daouds Körper von dem Verlust und der Wut - bis sein Blick auf das kleine Mädchen fällt, das, etwas scheu, um den Sofatisch spielt. Dann durchbricht eine plötzliche Sanftheit die militärische Kulisse. "Sham", so nennen die Bewohner ihre Heimatstadt Damaskus. Sham heißt Amars jüngste Tochter, benannt nach der Stadt, für dessen Verteidigung der Christ sein Leben ließ.
Sham hat ihren Vater nie kennengelernt. Als sie das Licht der Welt erblickte, lag ihr Vater seit 20 Tagen tot in den Trümmern des Vororts Dakhaniyeh, auf ihm der leblose Körper seines Bruders Bachar, inmitten einer ebenso strategischen wie blutigen Schlacht um Damaskus. "Um ein Uhr nachts begann der Angriff", erzählt Naji Kamar Daoud. "Um drei Uhr haben sie uns zu Hilfe gerufen. Um acht Uhr waren Bachar und Amar tot." Ein Heckenschütze hatte Amar verletzt. Bachar starb über seinem sterbenden Bruder, bei dem Versuch, ihn aus der Schusslinie zu holen. Bis Naji Kamar Daoud die Toten aus dem Kampfgebiet bergen konnte, vergingen 25 Tage. "Sie gingen, um wiederzukommen. Aber sie kamen nicht mehr zurück."
"Dann haben wir den Feind bald im Haus"
Wenn Naji Kamar Daoud schweigt, spricht Amars Witwe Reem. Leise, fast so, als spräche sie mit sich selbst, entgegnet sie den lautstarken Forderungen ihres Schwagers. Kein Geld der Welt könne ihr den Liebsten zurückbringen. "Wenn alle Männer an der Seite ihrer Frauen und Kinder blieben", habe Amar gesagt, "dann haben wir den Feind bald im Haus". Dann habe er die syrische Fahne auf seine Schulter gelegt und gesagt: "Darin wirst du mich eines Tages einwickeln. Sie werden dich 'Frau eines Märtyrers' nennen!" "Da", sagt Reem, "habe ich den Widerstand aufgegeben und ihm Gottes Beistand gewünscht".
Zwischen den Fotos der getöteten Brüder hängen Heiligenbildchen und ein übergroßer Rosenkranz. Der Glaube gebe ihr Halt, sagt die Witwe, vor allem das Gespräch mit Jesus. "Jesus liebte sie mehr als ich, deshalb hat er sie zu sich genommen, um sie aus dem Dreck dieser Welt zu retten." Ihre leise Stimme verstummt.
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Seit über fünf Jahren herrscht Krieg in Syrien. Was es bedeutet, wenn Bomben, Entführungen und Gewalt zum Alltag gehören, schildert George Abou Khazen, der Bischof von Aleppo."Als Christen verteidigen wir unser Land und unseren Glauben, denn es ist unser Land, wir sind hier geboren und wir sind stark", sagt Naji Kamar Daoud. Mit Nachdruck setzt er hinzu: "Ich bin Christ, noch bevor ich Syrer bin. Aber als Christ bin ich im gleichen Maße Syrer wie alle Syrer. Deshalb trage ich Uniform. Wir Christen sind bereit zu geben!"
Naji Kamar Daouds Brüder haben ihr Leben gegeben. Den Feind, die fundamentalistischen Kämpfer des "Islamischen Staats", haben die christlichen Kämpfer vorerst am Einzug nach Damaskus gehindert, doch in die Häuser der Märtyrerfrauen zog damit der Schmerz als Dauergast. "Der", sagt Reem, "bleibt für den Rest des Lebens".