Wer glaubt wie viel?
Für Deutschland verzeichnet die Studie einen moderaten Rückgang der Religiosität. Halten sich von den über 45-Jährigen 78 Prozent für mittel- oder hochreligiös, sind es bei den 30- bis 45-Jährigen mit 77 Prozent nicht viel weniger. Auch bei den unter 29-Jährigen sind es noch 74 Prozent. Allerdings gilt Ostdeutschland als die säkularste Region in Europa. Besonders deutlich wird der Traditionsbruch dagegen im weltweiten Vergleich in Spanien und Südkorea. Nach der Studie bezeichneten sich von den über 45-jährigen Spaniern 85 Prozent als mittel- und hochreligiös, aber nur noch 67 Prozent der 30- bis 45-Jährigen und 58 Prozent der unter 29-Jährigen. In Südkorea betrachten sich 67 Prozent der älteren Generation, aber nur noch 35 Prozent der jüngeren als religiös.
Für die repräsentative Studie zur gesellschaftlichen Bedeutung von Religion und Werten haben 14.000 Menschen in Deutschland jeweils 100 Fragen beantwortet. Die zwölf anderen beteiligten Länder waren Kanada, USA, Brasilien, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Schweiz, Schweden, Türkei, Israel, Indien und Südkorea. Danach weisen die Türkei (82 Prozent), Brasilien (74 Prozent) Indien (70 Prozent) und die USA (67 Prozent) die größten Anteile derjenigen auf, die sich als "mittel", "ziemlich" oder "sehr religiös" bezeichnen. In Schweden (28 Prozent) und Israel (31 Prozent) ist dieser Wert am niedrigsten.
Islam als Bedrohung?
Durch die Vielfalt der Religionen sehen die meisten Deutschen ihr Leben bereichert. In der Umfrage sagten aber auch 51 Prozent, dass der Islam für sie eine Bedrohung darstelle. In Ostdeutschland, wo es kaum Muslime gibt, sind es sogar 57 Prozent, heißt es im Religionsmonitor. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sieht die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Es gebe in Deutschland "einen strukturellen islamfeindlichen Boden", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Seit Jahren werde nicht ausreichend zwischen Islam und Extremismus unterschieden, kritisierte er.
Die Bertelsmann-Studie zeigt: Die Hälfte der Bundesbürger lehnt die Aussage ab, dass der Islam in die westliche Welt passe. Auch das Judentum halten 19 Prozent der Befragten in Deutschland für eine Bedrohung. Laut Mazyek hat das "sicherlich mit den zum Teil grässlich geführten Diskursen … in Bezug auf die Beschneidungsdiskussion zu tun". Der muslimische Vorsitzende warnt: "Wenn dumpfe Parolen, wenn Rassismus in irgendeiner Weise zugelassen werden gegenüber Minderheiten - egal welche -, dann schlägt sich das auch als gesamtgesellschaftliches Problem nieder." Neben Deutschland nimmt vor allem Israel (76 Prozent) den Islam als Bedrohung wahr, auch in Spanien (60 Prozent) und in der Schweiz (50 Prozent) ist der Wert hoch.
Muslime glauben mehr als Christen, Katholiken mehr als Protestanten
Im Vergleich der Bekenntnisse stellt die Studie eine unterschiedlich stark ausgeprägte Religiosität fest. So zeigt sich bei den Muslimen die höchste religiöse Bindung (97 bis 100 Prozent). Es folgen die evangelikalen Christen (92 Prozent), die Juden (90 Prozent), die Katholiken (87 Prozent), die orthodoxen Christen (85 Prozent) und die Protestanten (75 Prozent).
Der Autor der Studie, Gert Pickel, erklärt das durch das eher individuelle Verhältnis von Protestanten zur Religion. Diese Religiosität sei angreifbarer als die Katholische, die mit ihrem "Gemeinschaftseffekt" auch einen "gewissen Druck" zur öffentlichen Religionsausübung erzeuge, sagte der Religionssoziologe an der Uni Leipzig dem Kölner Domradio. Deshalb stuften sich Katholiken selbst religiöser ein, beteten öfter und besuchten den Gottesdienst regelmäßiger, so Pickel. Diese "hohe Vergemeinschaftung" führe insbesondere auch bei den Muslimen zu der Selbsteinschätzung von fast 100 Prozent als hoch- oder mittelreligiös.
Zunehmender Wohlstand spendet Sicherheit
Den Rückgang der Religiosität insgesamt erklärt der Soziologe mit der Modernisierung: Der damit einhergehende Wohlstand biete Sicherheit, eine höhere göttliche Instanz werde weniger wichtig. "Dort wo Menschen mehr Geld haben, benötigen sie weniger Religion", so Pickel. Er nennt auch den der Grad der Bildung und der Mobilität als "den Religionen nicht zuträglich". Bildung führe zu einer kritischeren Haltung; mit steigender Mobilität verlören die sozialen Vergemeinschaftungsformen an Einfluss.
Über die Konfessionen hinweg belegt die Befragung eine große Zustimmung zur Demokratie und zur Trennung von Religion und Politik. In Deutschland halten 88 Prozent der Christen, 79 Prozent der Muslime und 80 Prozent der Konfessionslosen die demokratische Regierungsform für gut. Weltweit liegen die Zustimmungswerte noch näher beieinander: Über alle Länder hinweg sagten 88 Prozent der Christen, 81 Prozent der Muslime, 84 Prozent der Juden und 84 Prozent der Konfessionslosen, dass die Demokratie eine gute Regierungsform sei.
Von Agathe Lukassek (mit Material von KNA und dpa)