Kabinett verabschiedet Rüstungsexportbericht - Massive Kritik der Kirchen

"Ein anhaltendes Desaster"

Veröffentlicht am 06.07.2016 um 12:40 Uhr – Lesedauer: 
Rüstung

Berlin ‐ Das Bundeskabinett hat den Rüstungsexportbericht 2015 verabschiedet. Massive Kritik daran kam von den Kirchen. Die Zahlen des Berichts seien "ein anhaltendes Desaster".

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Der Gesamtwert der 119 Sammelgenehmigungen betrug 2015 rund 4,960 Milliarden Euro. Solche Genehmigungen werden bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich im Rahmen wehrtechnischer Kooperationen zwischen EU- und Nato-Partnern erteilt. Insgesamt lehnte die Bundesregierung 2015 wie im Jahr zuvor 100 Anträge ab. 12.687 Anträgen erteilte sie grünes Licht, das waren knapp 600 mehr als 2014. Bei den Kleinwaffenexporten verzeichnet der Bericht einen Rückgang. Der Gesamtwert der Genehmigungen belief sich im Berichtsjahr auf 32,4 Millionen Euro, was einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um knapp 15 Millionen Euro entspricht. Dies sei der geringste Wert seit 15 Jahren.

Das Wirtschaftsministerium verweist in dem Bericht auf Sonderfaktoren wie die Lieferung von vier Tankflugzeugen an Großbritannien im Wert von 1,1 Milliarden Euro. Dies sei unproblematisch, da sie "der Stärkung" einer europäisch abgestimmten Rüstungspolitik dienten. Als weiteren großen Posten nennt das Ministerium die Ausfuhr von Leopard 2-Kampfpanzern und Panzerhaubitzen nebst Munition und weiteren Begleitfahrzeugen nach Katar im Wert von rund 1,6 Milliarden Euro. Katar gilt als Finanzier der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Die Ausfuhr habe noch die schwarz-gelben Koalition genehmigt, heißt es im Bericht.

Scharfe Kritik von kirchlichen Organisationen

Laut Informationen von "Spiegel Online" bewilligte die Bundesregierung in den vergangenen Wochen weitere zehn abschließende Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern. Dazu zählt auch die Lieferung des ersten von insgesamt 48 militärischen Patrouillen-Booten für das Königreich Saudi-Arabien. Andere Ausfuhrgenehmigungen betrafen demnach die krisengeschüttelte Golfregion, den Nahen Osten und Mexiko.

Linktipp

Der Rüstungsexportbericht 2015 kann auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums heruntergeladen werden.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) der beiden großen christlichen Kirchen kritisierte die Zahlen des Rüstunsgexportberichts am Mittwoch als "ein anhaltendes Desaster". "Unter den Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter sind Staaten wie Katar und Saudi Arabien - das ist aus friedensethischer Sicht hoch problematisch", sagte Prälat Martin Dutzmann, der evangelische Vorsitzende der GKKE. Mit Blick auf Saudi-Arabien als Empfängerland deutscher Rüstungsgüter betonte Dutzmann: "In unserem GKKE-Rüstungsexportbericht 2015 haben aufgrund der Gesamtlage im Land und der destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der Region einen Stopp für sämtliche Rüstungs-ausfuhren nach Saudi-Arabien gefordert."

GKKE: Genehmigungspraxis für Rüstungsexporte ändern

Die GKKE sprach sich für eine Revision der gesetzlichen Grundlagen für Rüstungsexporte aus. "Der anhaltende Widerspruch zwischen gesetzlichen Grundlagen und politischen Leitlinien einerseits und der Genehmigungspraxis andererseits schwächt die Legitimität nicht nur der Rüstungsexportpolitik, sondern auch der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir brauchen eine Revision der gesetzlichen Grundlagen", sagte der katholische GKKE-Vorsitzende, Prälat Karl Jüsten. Es gehe in dieser Frage nicht nur um die Planungssicherheit für deutsche Unternehmen, sondern vor allem um die Glaubwürdigkeit deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik.

Auch die Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel", der auch kirchliche Organisationen wie Pax Christi und das katholische Hilfswerk Misereor angehören, hatte die bereits vorab bekannt gewordenen Zahlen des Exportberichts scharf kritisiert. Auch der katholische Weltkirche-Bischof in Deutschland, Ludwig Schick, forderte eine Verschärfung der Vorgaben für Rüstungsgeschäfte. (stz/KNA)

Ein deutscher Radpanzer vom Typ "Boxer" fährt durch Afghanistan.
Bild: ©picture alliance / dpa

Deutsche Rüstungsgüter sind weltweit gefragt.

Fragen und Antworten zur Rüstungspolitik

Am Mittwoch hat das Kabinett in Berlin den Rüstungsexportbericht 2015 verabschiedet. Bereits im Vorfeld sorgten die Zahlen für heftige Kritik unter anderem seitens der Kirchen. So lag der Gesamtwert der Einzelausfuhrgenehmigungen bei rund 7,86 Milliarden Euro. Das bedeutet annähernd eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2014. Katholisch.de publiziert wichtige Fragen und Antworten zur deutschen Rüstungspolitik:

Wie groß ist die deutsche Rüstungsindustrie?

Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Damals waren bundesweit rund 135.000 Menschen direkt in der Rüstungsindustrie beschäftigt, weitere 273.000 in Zulieferbetrieben. Die gesamte Bruttowertschöpfung der Branche betrug laut Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) für dieses Jahr 28,4 Milliarden Euro. Die Zahl der deutschen Rüstungsfirmen lässt sich nur schwer ermitteln. Das im Internet zugängliche BDSV-Mitgliederverzeichnis listet 48 Unternehmen. Das Spektrum reicht von bekannten Namen wie der baden-württembergischen Waffenschmiede Heckler & Koch bis hin zu Firmen wie dem Raumfahrtunternehmen OHB System in Bremen, das auch in anderen Geschäftszweigen tätig ist.

Wie steht die deutsche Rüstungsindustrie im internationalen Vergleich da?

Seit Jahren gehört Deutschland zu den wichtigsten Rüstungsproduzenten weltweit. Laut Recherchen des britischen Branchendienstes «Jane's» war die Bundesrepublik im Jahr 2015 zudem hinter den USA und Russland drittgrößter Waffenexporteur. Derartige Ranglisten, wie sie etwa auch das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri veröffentlicht, sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. So taucht China im Ranking von "Jane's" nicht auf. Oft lassen sich überdies einzelne Kennziffern schwer miteinander vergleichen.

Wie sind Rüstungsexporte in Deutschland gesetzlich geregelt?

Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen Kriegswaffen, etwa Panzer und Maschinengewehre, und sonstigen Rüstungsgütern wie Zielgeräten und Splitterschutzhelmen. In der Praxis ist der Übergang oft fließend. Für Kriegswaffen gilt das Kriegswaffenkontrollgesetz, für Rüstungsgüter das Außenwirtschaftsgesetz und die Außenwirtschaftsverordnung. Laut Grundgesetz Artikel 26 muss die Bundesregierung Kriegswaffenexporte genehmigen. Entscheidungen über politisch brisante Ausfuhren fallen im Bundessicherheitsrat. Dem hinter verschlossenen Türen tagenden Gremium gehören an: der Bundeskanzler, der Außen- und Verteidigungsminister, der Innen- und Finanzminister, die Leiter der Ressorts Wirtschaft, Justiz und Entwicklungshilfe sowie der Chef des Bundeskanzleramtes.

Welche Angaben liefert der Rüstungsexportbericht?

Federführend bei der Erstellung des Rüstungsexportberichts ist das Bundeswirtschaftsministerium. Er unterscheidet zwischen tatsächlichen Exporten von Kriegswaffen und den im Berichtsjahr erteilten Genehmigungen für künftige Lieferungen von Rüstungsgütern. Diese Genehmigungen wiederum können Sammel- oder Einzelausfuhrgenehmigungen sein. Sammelausfuhrgenehmigungen erfolgen zumeist im Rahmen von Rüstungskooperationen zwischen Nato- oder EU-Staaten. Einzelausfuhrgenehmigungen dagegen gehen oftmals auch an Drittstaaten, worunter beispielsweise Entwicklungsländer fallen.

Was sind die Hauptkritikpunkte an der aktuellen Politik der Bundesregierung?

Im Zentrum der Kritik steht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Er hatte mehrfach angekündigt, die Ausfuhren einzuschränken. Kritiker werfen dem Vizekanzler angesichts der aktuellen Zahlen Versagen vor. Gabriel wiederum verweist auf Entscheidungen der Vorgängerregierungen, die er nicht mehr rückgängig machen könne. Rüstungsgegner betonen dagegen, dass das Kriegswaffenkontrollgesetz jederzeit den Widerruf einer erteilten Genehmigung erlaube. (KNA)