Nach dem Referendum ist die Unsicherheit unter deutschen Katholiken groß

"Wir fühlen uns nicht mehr willkommen"

Veröffentlicht am 09.07.2016 um 13:01 Uhr – Von Johanna Heckeley – Lesedauer: 
Brexit

London ‐ "Nein" zur EU: Für Nicht-Briten ist auf der Insel eine Zeit der Ungewissheit angebrochen. Deutsche Katholiken aus London erzählen, wie sie England nach der Abstimmung erleben.

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Als Reaktion sackten die Kurse an den weltweiten Finanzmärkten ab, das Britische Pfund verlor an Wert. Noch immer ist unklar: Wie geht es weiter? Für alle Nicht-Briten auf der Insel ist eine Zeit der Ungewissheit angebrochen. Gegenüber katholisch.de erzählen Deutsche Katholiken aus London, wie sie die Zeit nach der Brexit-Abstimmung erleben.

"Die meisten in unserer Gemeinde sind entsetzt bis traurig", hat Stephan Arnold beobachtet. Er ist Diakon in der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde St. Bonifatius London. Die Mehrheit hätte eher mit einem knappen Ausgang für den Verbleib in der EU gerechnet. Nun fühlten sie eine große Unsicherheit: "Es heißt, dass die EU-Bürger, die jetzt hier sind, auch bleiben dürfen. Aber trotzdem fragt sich jeder, wie es weitergehen wird. Sie müssen jetzt Geduld neu lernen." Viele hofften trotz alledem, dass es von britischer Seite nie zu einem Rücktrittsgesuch an die Europäische Union kommt.

Auch die Briten, mit denen er gesprochen habe, seien vom Abstimmungsergebnis enttäuscht, "es war für einige eher eine Protestwahl, sie wollten es dem politischen Establishment wohl mal zeigen". Zwar haben nur rund 40 Prozent der Londoner für den Austritt gestimmt – im Gegensatz zum Rest des Landes. Dennoch spürt Arnold, dass sich die Atmosphäre geändert hat: "Wir fühlen uns plötzlich nicht mehr so richtig willkommen – ohne, dass sich äußerlich etwas geändert hätte."

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Die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs hat abgestimmt: Sie sagt "Nein" zur Europäischen Union. Aber wie stehen die Kirchenvertreter in Deutschland und in Großbritannien dazu? Katholisch.de hat die ersten Stimmen zusammengetragen.

"Ein Schock" sei der Tag nach dem Referendum gewesen, berichtet Maria Lohre. Sie leitet gemeinsam mit anderen Frauen das Lioba House des Säkularinstituts St. Bonifatius, einer missionsbenediktinischen Weltgemeinschaft. Im Lioba House können junge Frauen für einige Tage oder Monate wohnen, wenn sie in London Urlaub oder ein Praktikum machen. "Ein Schock war das", wiederholt sie, "und der sitzt tief." Am Abend und in der Nacht nach der Abstimmung habe sie durchgängig Radio gehört, "so aufgeregt war ich". Als dann das Ergebnis feststand, sei sie in Tränen ausgebrochen. "Aber das ist vielen hier so gegangen."

Nur auf den Geldbeutel geschaut

Sie erinnert sich an die unmittelbaren Reaktionen: "Bisher waren wir europäische Bürger, jetzt sind wir Ausländer", habe ihr ein Ire beim gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes am nächsten Tag gesagt; "unsere Zukunft ist uns verbaut worden", eine deutsche Mutter. "Bis jetzt habe ich keinen getroffen, der sich positiv zum Austritt geäußert hat", meint die Ordensfrau. Und die Briten selbst? "Unsere englischen Freunde sind entsetzt, sie haben diese Konsequenzen nicht abgesehen", so Lohre. "Und jetzt wollen sie uns nicht verlieren."

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Was war da nur mit den Briten los, die für ihr politisches Bewusstsein und ihre alten demokratischen Traditionen bekannt sind? "Sie sind den Verführern auf den Leim gegangen", ist sich Lohre sicher. Von 350 Millionen Pfund, die Großbritannien angeblich wöchentlich an die EU schicke, war damals in der Kampagne des ehemaligen Londoner Bürgermeisters Boris Johnson die Rede – er versprach, nach dem EU-Austritt mit diesem Geld das nationale Gesundheitssystem unterstützen zu wollen. "Sie haben alle nur auf ihren Geldbeutel geschaut, sodass sie die Vorteile von Europa nicht gesehen haben. Und die Verantwortlichen wie Farage und Johnson sind jetzt verduftet, auf gut Deutsch."

Niemand wisse, wie es nun weitergehe. "Ich habe mit einer polnischen Angestellten einer internationalen Bank gesprochen. Sie sagte mir, dass in ihrem Unternehmen niemand sagen könne, ob es hier in London bleiben kann." Eine Zukunftsangst, die nicht nur Ausländer spüren: "Eine Engländerin hat mir gesagt, dass sie zwar einen Portugal-Urlaub gebucht hat, aber nicht weiß, ob sie noch dorthin fahren kann, weil das Pfund jetzt viel weniger wert ist." Diese finanziellen Auswirkungen seien derzeit auf den Titeln vieler Tageszeitungen. Lohre ist überzeugt: "Wenn das Referendum heute noch einmal stattfinden würde, würde es ganz anders ausgehen." Sie hält inne. "Die Hoffnung begräbt man ja bekanntlich als Letztes."

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Die Briten konnten am 23. Juni wählen: Bleibt Großbritannien in der EU? Auch vor der Abstimmung hatte katholisch.de sich unter deutschen wie britischen Katholiken umgehört - die Antworten waren einhellig.
Von Johanna Heckeley