Theologe Michael Ebertz empfiehlt den Kirchen mehr Lebensnähe

Soziologe: Kirche hat massives Nachwuchsproblem

Veröffentlicht am 16.07.2016 um 15:45 Uhr – Lesedauer: 
Soziologe: Kirche hat massives Nachwuchsproblem
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Kirche

Freiburg  ‐ Während etwa die Taufe noch gefragt sei, tendiere der Gottesdienstbesuch gerade bei jungen Mensch gegen Null, sagt der Religionssoziologe Michael Ebertz. Das hat für ihn einen Grund.

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"90 Prozent der deutschen Katholiken sparen sich die Sonntagsmesse und sehen darin - anders als der Katechismus - keine schwere Sünde", sagte Ebertz. "Und aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass der Gottesdienstbesuch bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland gegen Null tendiert."

Als Ursache sieht Ebertz auch die Form der Gottesdienste. "Es gibt eine regelrechte Schere zwischen den kirchlichen Riten, die allein das Transzendente im Blick haben, und denjenigen kirchlichen Vollzügen, die relevante Bezüge des Lebens mit Transzendenz verbinden", sagte der Theologe mit Blick auf den weiter zurückgehenden Gottesdienstbesuch. Erstkommunion, Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen fänden nach wie vor Zustimmung. "Ausgerechnet die Messe, die vom Klerus als Höhepunkt und Quell kirchlichen Lebens gedeutet wird, verliert dramatisch an Boden."

Nach Einschätzung des Theologen hatte etwa die Sonntagsmesse früher neben ihrem Transzendenzbezug mehr Lebensbezug. "Da waren die Kirchgänge zugleich sozialer Treffpunkt und sie sakralisierten die lokale Gemeinschaft. Man sah sich, tauschte Neuigkeiten aus, bestätigte sich in seinen sozialen Zugehörigkeiten." Diese Funktion hätten die Kirchen in der modernen Gesellschaft verloren.

Michael N. Ebertz ist Religions- und Kirchensoziologe an der Katholischen Hochschule Freiburg.
Bild: ©privat

Michael N. Ebertz ist Religions- und Kirchensoziologe an der Katholischen Hochschule Freiburg.

Ebertz empfahl den Kirchen dennoch, in den Gottesdiensten Bezüge zum konkreten Leben der Menschen herzustellen. Das gelinge etwa, wenn Menschen nach Katastrophen in den Kirchen zusammenfänden, Familien eines toten Angehörigen gedächten, Vereine zum Schützenfest einen Gottesdienst gestalteten, der Pfarrer eine Predigtreihe zu einem lebensnahen Thema ankündige oder die Messe musikalisch so gestaltet werde, dass sie die Identität der Menschen berühre. "Die Menschen wollen ihr relevantes profanes Leben gesegnet wissen, in göttlicher Resonanz erleben, dann wird für sie Kirche interessant."

Am Freitag hatten Deutsche Bischofskonferenz und Evangelische Kirche in Deutschland die Kirchenstatistik für das Jahr 2015 veröffentlicht. Danach ging die Zahl der Katholiken und Protestanten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um mehr als eine halbe Million auf rund 46 Millionen zurück. Beide Kirchen verzeichneten deutlich weniger Austritte als 2014, das allerdings ein Rekordjahr bei den Austritten war. (KNA)