Hessen erlässt Regelung als erstes Bundesland

Abtreibungsgegner dürfen vor Praxen nur noch begrenzt demonstrieren

Veröffentlicht am 22.08.2019 um 16:00 Uhr – Lesedauer: 

Wiesbaden/Frankfurt ‐ Der Erlass gilt ab sofort: Als erstes Bundesland schränkt Hessen Demonstrationen von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken stark ein. Ein solcher Eingriff in die Versammlungsfreiheit sei nicht nur erlaubt, sondern geboten, heißt es.

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Hessen hat per Erlass des Innenministeriums Mahnwachen und Demonstrationen von Abtreibungsgegnern vor Arztpraxen stark eingeschränkt. Die Regelung gelte ab sofort, sagte Ministeriumssprecher Marcus Gerngroß am Donnerstag in Wiesbaden auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Hessen sei seines Wissens das erste Bundesland, das eine solche Regelung getroffen habe.

Der Erlass des Innenministeriums, der der KNA vorliegt, wurde bereits am 20. August an die Regierungspräsidien verschickt. Zuvor hatte die "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag) berichtet, dass Schwangere in Hessen nicht mehr durch Demonstranten behelligt werden dürfen, wenn sie Beratungsstellen oder Arztpraxen aufsuchen. Demonstrationen oder Mahnwachen seien nur dort zu genehmigen, wo "kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle besteht", heißt es in dem Papier. Ein solcher Eingriff in das Versammlungsrecht sei "in der Regel zulässig, wenn nicht sogar geboten", um das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zu schützen. Weiter wird das Recht der Frauen herausgehoben, "vertraulich und auf Wunsch auch anonym" beraten zu werden.

Das Innenministerium handelte als oberste Versammlungsbehörde des Landes. Die "Handreichung zur Lösung von Konfliktfällen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken" ging an die Städte und Gemeinden im Land. Diese sollen damit Rechtssicherheit bekommen. Rechtlich beinhalte das Papier, "dass das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frauen während der Öffnungszeiten der jeweiligen Beratungsstelle überwiegt", so der Ministeriumssprecher. Dies habe die Abwägung mit der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit von Dritten - in diesem Fall von Abtreibungsgegnern - ergeben. Außerhalb der Geschäftszeiten könnte die Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit Dritter hingegen höher bewertet werden. Dabei seien "immer die widerstreitenden Interessen im Einzelfall zu bewerten".

Erzeugung von Schuldgefühlen diene nicht dem Lebensrecht

In dem Erlass heißt es: "Eine auf Erzeugung von Schuldgefühlen abzielende und in dieser Weise belehrende Einflussnahme, die in erster Linie die Bereitschaft der Frau einschränkt, sich der Konfliktberatung gegenüber zu öffnen, dient weder dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes noch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau." Dies gelte umso mehr, als sich die meisten Frauen in der Frühphase der Schwangerschaft in einer besonderen seelischen Lage befänden, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen kommen könne.

Die Grünen im Landtag zeigten sich erfreut über die Erlass-Lösung, die sie mit ihrem Koalitionspartner CDU verabredet haben. "Das wirkt sofort", sagte die Grünen-Innenpolitikerin Eva Goldbach. Im Unterschied zu einem Gesetz, das erst beraten und verabschiedet werden müsste, entfalte die Handreichung unmittelbare Wirkung und könne von den Kommunen schon für bereits angekündigte "Mahnwachen" im September angewandt werden.

Die katholische Kirche lehnt Schwangerschaftsabbrüche ab. Laut Katechismus ist das menschliche Leben vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. In der Vergangenheit hatte auch Papst Franziskus Abtreibungen wiederholt scharf kritisiert. Im Jahr 2016 nannte er sie etwa "grauenhafte Verbrechen". Im vergangenen Oktober brachte er die Durchführung einer Abtreibung mit einem Auftragsmord in Verbindung, was besonders in Deutschland große Empörung hervorrief. (tmg/KNA)