Ackermann: "Ansehen der Kirche darf nicht an erster Stelle stehen"
Ein weltweites Problembewusstsein und Veränderungen im kirchlichen Straf- und Prozessrecht: Diese Ergebnisse wünscht sich der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, unter anderem vom anstehenden Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der Trierer Bischof außerdem über die Schwierigkeiten einer abgestimmten Aufarbeitung sowie Reformforderungen prominenter Katholiken.
Frage: Herr Bischof, welche konkreten Maßnahmen erhoffen und erwarten Sie vom bevorstehenden Sondergipfel im Vatikan?
Bischof Ackermann: Zunächst einmal wäre es aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, wenn Papst Franziskus es mit seiner Autorität schafft, die Bischöfe zu verpflichten, sich dem Thema Missbrauch opferorientiert zu stellen und nicht das Ansehen der Kirche an die erste Stelle zu setzen. Eine weltweite Verpflichtung zur Präventionsarbeit wäre gut. Über kirchliche Normen hinaus sollte es zu einer Form von verbindlichem Austausch und Überwachung von Interventions- und Präventionsmaßnahmen kommen. Vor allem aber erhoffe ich mir, dass die Teilnehmer des Sondergipfels heimkehren mit der Einsicht, dass die Problematik von sexueller, psychischer und spiritueller Gewalt in der Kirche nicht bloß eine Problematik der Bischofskonferenzen des Nordens oder Westens ist.
Frage: Was geben Sie dem deutschen Vertreter Kardinal Marx mit auf den Weg nach Rom?
Ackermann: Kardinal Marx nimmt natürlich unsere Einsichten und Diskussionen seit der Veröffentlichung der Studie über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige mit nach Rom. Die Deutsche Bischofskonferenz gehört zu den wenigen Bischofskonferenzen, die eine solche Studie in Auftrag gegeben haben. Auch wenn die Erkenntnisse vielleicht nicht "eins zu eins" übertragbar sind, ist das ein möglicher Schritt auf dem Weg der Aufarbeitung. Wir deutschen Bischöfe halten auch Veränderungen im universalen Kirchenrecht für notwendig, unter anderem im kirchlichen Straf- und Prozessrecht. Dazu haben wir Vorschläge, die Kardinal Marx einbringen kann.
Frage: Geht es um globale Patentrezepte oder muss jedes Land eigene Konzepte liefern?
Ackermann: Globale Patentrezepte gibt es keine. Vielmehr geht es um klare Grundhaltungen und Kriterien. Unsere Haltung muss die einer durchgängigen Opferorientierung sein; wir brauchen verbindliche Regelwerke, deren Umsetzung überprüfbar sein muss. Sicher gilt es, die unterschiedlichen kulturellen Kontexte zu beachten. Diese dürfen aber nicht als Entschuldigung dafür herhalten, im Bereich Kinderschutz wenig oder nichts zu tun.
Frage: Was ist in den vergangenen fünf Monaten seit Vorstellung der Missbrauchsstudie passiert?
Ackermann: Wir haben beschlossen, die Empfehlungen der Forscher als "Marschroute" zu nehmen. Sie besteht aus zwei Spuren. Wir hinterfragen schon bestehende Maßnahmen: Wie finden Betroffene noch leichter als bisher unabhängige Ansprechpartner? Wie können wir das System der materiellen Anerkennung weiterentwickeln? Die Vereinheitlichung der Personalakten-Führung gehört auch dazu, ebenso der Blick auf Prävention und Intervention und deren ständige Verbesserung. Aber wir wollen uns nicht nur auf einzelne Maßnahmen zur Aufklärung und Verhinderung von Missbrauch konzentrieren. Wir schauen auch auf übergeordnete Risikokonstellationen, die mit Strukturen und der Kultur der Kirche in Verbindung stehen. Dazu haben wir beim Ständigen Rat im Januar ein Konzept beschlossen und Verantwortliche benannt, die dann auch unter Mitwirkung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken die Fragen von Macht und Partizipation in der Kirche, der priesterlichen Lebensform, der Sexualmoral, Fragen des kirchlichen Rechts, aber auch der Personal- und Finanzverwaltung für ein breiteres Gespräch aufbereiten. Zudem sind wir seitens der Bischofskonferenz mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, regelmäßig in Kontakt; ich gehe davon aus, dass wir bald die nächsten Schritte konkretisieren. Dazu gehören für mich Kriterien und Standards für die Aufarbeitung, die dann bundesweit Anwendung finden sollten, oder die Überprüfung des Verfahrens für Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids. Im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass es bei aller Abstimmung miteinander keine Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs für die katholische Kirche in Deutschland insgesamt geben kann: Das muss bistums- oder ordensspezifisch geschehen.
Frage: Sie haben in Fulda gefordert, dass die Bischöfe bei ihren Maßnahmen gegen Missbrauch konsequenter und abgestimmter vorgehen sollen. Was hat sich da getan?
Ackermann: Das Thema sexueller Missbrauch, Aufarbeitung und Kinderschutz beschäftigt uns bei jedem Zusammentreffen seit Herbst vergangenen Jahres. 27 Diözesen in ihrem Vorgehen miteinander abzustimmen, ist keine Aufgabe, die sich mit ein paar Verabredungen erledigen lässt. Mir ist es vor allem ein Anliegen, dass das Thema "Chefsache" ist und bleibt. Auch wenn wir in den Bistümern in den letzten neun Jahren feste Maßnahmen und Abläufe etabliert haben, kann und darf ich als Bischof das Thema nicht gänzlich wegdelegieren. Angesichts der vielfältigen Beanspruchung der Bischöfe besteht aber die Gefahr dazu. Dieser Gefahr müssen wir wehren. Es darf sich keine ungute Routine einschleichen, die zu einem Nachlassen in der Entschiedenheit führt. Deshalb braucht es immer wieder neu die besondere Aufmerksamkeit des Bischofs.
Frage: Namhafte deutsche Katholiken haben in einem offenen Brief angesichts des Missbrauchsskandals Reformen in der Kirche gefordert. Dazu zählen sie den Machtverzicht von Bischöfen, die Lockerung des Zölibats, die Priesterinnenweihe. Wie stehen Sie dazu?
Ackermann: Wir haben uns im September in Fulda darauf verpflichtet, die Themen, die die Forscher uns aufgezeigt haben, transparent und offen in einem breit angelegten Gesprächsprozess unter Beteiligung von Fachleuten aufzugreifen. Daran arbeiten wir. Ich habe die Ergebnisse des Ständigen Rates vom Januar ja schon benannt. Bei den Autoren des offenen Briefs, den Sie ansprechen, habe ich allerdings den Eindruck, dass es ihnen weniger um das Gespräch geht, weil ihnen selbst die Antworten schon klar sind. Kardinal Marx und wir Bischöfe sollen uns eigentlich nur noch für deren Umsetzung stark machen. Die Ergebnisse der Studie sind aber differenzierter und offener und fordern eine vertiefte Auseinandersetzung.
Frage: Wie schnell wird sich hier etwas ändern? Diese Themen werden seit Jahrzehnten diskutiert...
Ackermann: Wenn ich ein breites und ernsthaftes Gespräch will, das auch respektvoll mit kulturellen Unterschieden umgeht, dann braucht das seine Zeit. Das sehen wir ja an den Bischofssynoden der vergangenen Jahre. An ihnen sehen wir aber genauso, dass es durchaus Entwicklungen und Übereinstimmungen gibt, mit denen man noch vor wenigen Jahren nicht gerechnet hätte.
Frage: Die Kritiker fordern auch, dass Homosexualität neu bewertet werden soll. Diese Position vertreten auch deutsche Bischöfe, während in bestimmten Kreisen ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie gesehen wird. Geht in dieser Frage ein Riss durch die Kirche?
Ackermann: Mir ist es wichtig, bei dem emotional so aufgeladenen und manchmal auch undifferenzierten Gespräch über Homosexualität die konkreten Personen im Blick zu haben mit ihren Empfindungen, ihren Werten und ihrem Wunsch, ganz in der Kirche beheimatet zu sein, wenn sie etwa katholisch sind. Das habe ich in der Begegnung mit homosexuell orientierten Menschen in den vergangenen Jahren gelernt. Stattdessen werden allzu oft vor allem ideologische Schlachten geführt: "Gay-Lobby" hier, homophobe Gruppen da. Das hilft aber wenig. Ich würde nicht von einem regelrechten Riss sprechen, der durch die Kirche geht; aber eine Polarisierung gibt es. Die hängt aber nicht nur mit der Lehre, sondern auch mit kulturellen Unterschieden zusammen.