Der Jesuit, der nach den Sternen griff
"Echten Yankee-Erfindergeist" hatte Angelo Secchi, "den wir Amerikaner bei einem Italiener kaum erwarten würden". So würdigte der amerikanische Jesuit William Rigge seinen italienischen Ordensbruder anlässlich dessen 100. Geburtstags in der Zeitschrift "Popular Astronomy". Secchi war zu diesem Zeitpunkt schon 40 Jahre tot. Früh ist der Direktor der vatikanischen Sternwarte gestorben, zu früh.
Doch in seinen nur 59 Lebensjahren hat der Sohn eines Tischlers die Astronomie revolutioniert. "Sein größter Beitrag zur Wissenschaft war es, zu verändern, wie wir überhaupt Astronomie betreiben", sagt sein derzeit amtierender Nachfolger, der Jesuitenbruder Guy Consolmagno. "Vor ihm haben Astronomen die Position der Sterne und Planeten bestimmt, um auf See die Arbeit der Navigatoren zu unterstützen." Secchi dagegen sei der erste Wissenschaftler gewesen, der nicht danach geforscht habe, wo die Himmelskörper sind. "Er wollte wissen, was Sterne und Planeten sind."
Vom Schneidersohn zum Astronomen
Diese Forscherkarriere war ihm nicht in die Wiege gelegt. Seine Eltern hatten ihn eigentlich in eine Schneiderlehre schicken wollen, die Mutter lehrte ihn Handarbeiten. Doch schon mit 15 Jahren ging er seinen eigenen Weg und trat – gerade hat er das Mindestalter erreicht, das die Konstitutionen des Ordens vorsahen – den Jesuiten bei, mit 17 studiert er am Collegio Romano Astronomie. Kaum dass er zum Priester geweiht wurde, kam für den Kirchenstaat und die Jesuiten der große Umbruch: In den Revolutionsjahren 1848/49 musste der Orden Rom verlassen, Papst Pius IX. floh ins Exil nach Gaeta.
Linktipp: Ein Asteroid namens Ratzinger
Angelo Secchi ist selbst im Weltraum verewigt: Auf dem Mond sind ein Krater und die Gebirgsgruppe Montes Secchi nach ihm benannt, und auch der Asteroid mit der Nummer 4705 trägt seinen Namen. Er ist nicht der einzige Kirchenmann im Weltall.Secchi verbrachte die kurze Zeit seines Exils in England und den USA, wo er an der Jesuitenuniversität Georgetown lehrte. Die römische Republik war von kurzer Dauer, 1850 schon konnte Secchi zurück in den Vatikan, wo die Stelle seines Lebens auf ihn wartete: Francesco de Vico, der bisherige Direktor der vatikanischen Sternwarte, war im Exil gestorben, nicht ohne Secchi für seine Nachfolge vorzuschlagen. Im Alter von nur 32 Jahren übernahm er die schon damals traditionsreiche Forschungseinrichtung am Collegio Romano – und eine beeindruckende wissenschaftliche Laufbahn begann.
Dem Licht der Sterne auf der Spur
Vor allem als Pionier der Astrophysik prägte er das Feld; viele astronomische Erfindungen gehen auf ihn zurück. "Die Fragen, die er damals aufgeworfen hat, treiben unsere Arbeit heute noch an", erklärt Consolmagno. "Wir haben natürlich größere Teleskope und genauere Spektrographen – aber Secchi würde heute in jedes Observatorium passen und verstehen, was wir warum tun."
Denn die noch heute übliche Methode der Klassifizierung von Himmelskörpern geht auf ihn zurück: 1859 hatten die Chemiker Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen entdeckt, dass chemische Elemente die Flamme eines Gasbrenners unterschiedlich verfärben. Secchi wendete diese Erkenntnis bei der Erforschung der Sterne an, deren Licht er mit Prismen zerlegte und so Rückschlüsse auf ihre chemische Zusammensetzung ziehen konnte. Seine Unterscheidung von fünf verschiedenen Sterntypen war dann die Grundlage für die heute noch verwendete "Harvard-Klassfikation", die die Himmelskörper nach ähnlichen Kriterien sortiert.
Eine so geniale wie einfache Erfindung des Universalgelehrten wird heute noch fast unverändert verwendet, allerdings nicht in der Himmelsforschung. Secchis Erfindergeist beschränkte sich nämlich nicht auf die Astronomie, auch im Bereich der Meteorologie und anderer Naturwissenschaften leistete er Beiträge; sogar bei der Konstruktion der Leuchttürme im Hafen des Kirchenstaats wurde er als Berater herangezogen. Mit Wasser hat dann auch seine heute noch genutzte Erfindung zu tun: 1865 entwickelte er die nach ihm benannte Secchi-Scheibe, mit der die Sichttiefe in Gewässern schnell und einfach ermittelt werden kann: Eine konstrastreiche Scheibe, die an einem Seil ins Wasser hinabgelassen wird.
Praktische Erfindungen
Doch Secchis eigentliches Interesse lag natürlich nicht unter Wasser, sondern weit oben: Besonders interessierte den Jesuiten die Sonne. Er stellte Daten zu Eruptionen und Sonnenflecken zusammen, er bewies, dass die bei Sonnenfinsternissen sichtbare Korona tatsächlich ein Teil der Sonne war und nicht, wie andere Wissenschaftler vermuteten, eine optische Täuschung, und er entdeckte weitere nie zuvor beobachtete Phänomene auf der Oberfläche des Sterns. Seine Beobachtungen dokumentierte er zunächst zeichnerisch, bald schon nutzte er die neuen Möglichkeiten der Fotografie.
Wichtig war dem pragmatischen Wissenschaftler auch, nicht nur präzise zu messen, sondern die Messergebnisse auch präzise zu verzeichnen. Als Pater Rigge zum hundertsten Geburtstag den "Yankee-Erfindergeist" würdigte, bezog er sich dabei darauf, dass Secchi großen Wert darauf legte, seine Instrumente möglichst so zu bauen, dass sie automatisch auch gleich die Messungen aufzeichneten. Die große Sorgfalt, mit der Secchi nicht nur forschte, sondern seine Forschungen auch dokumentierte und publizierte, trugen zu seinem Ansehen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft seiner Zeit bei.
Die Sternwarte überdauert den Kirchenstaat
Dieses Ansehen half ihm auch bei der nächsten großen politischen Krise des Kirchenstaats, die zu dessen Untergang führen sollte. Als der Staat des Papstes 1870 aufgelöst und dem Königreich Italien einverleibt wurde, sollte auch die Sternwarte des Collegio Romano in den Besitz der neuen Herrschaft überführt werden; das Collegio selbst wurde zu einer Kaserne umfunktioniert. Das Observatorium auf seinem Dach jedoch blieb auf den weltweiten Protest von Wissenschaftlern hin bestehen, und obwohl die Jesuiten wieder einmal aus Rom vertrieben worden waren, kam Secchi schnell auf Wunsch des Papstes zurück an seinen Wirkungsstätte und blieb Direktor – ohne dem Königreich die Treue schwören zu müssen. So groß war sein wissenschaftliches Ansehen, dass er und ein weiterer Kollege von der Verpflichtung zum Eid auf den König dispensiert wurden. Acht Jahre lang blieb er so noch Direktor der Sternwarte, bis zu seinem Tod.
Dass der Vatikan auch weiterhin eine eigene Sternwarte betreibt, geht nach Consolmagnos Einschätzung auf Secchi zurück. "Er hat dem Heiligen Stuhl im späten 19. Jahrhundert gezeigt, dass Astronomie wunderbar dafür geeignet ist, in die Welt zu wirken und zu zeigen, dass die Kirche an der Seite der Wissenschaft steht."
Seine Theologie hat sich nicht bewährt
Secchis theologische Positionen haben den Test der Zeit jedoch nicht bestanden, ergänzt Consolmagno. "Von all seinen Werken haben sich die theologischen über das Wesen Gottes und der Schöpfung wohl am schlechtesten gehalten. Er war ein Mann seiner Zeit und dachte, wie viele der zeitgenössischen Philosophen und Naturwissenschaftler, dass man aus der Betrachtung der Natur direkt Folgerungen über Gott ziehen könnte." Heute dagegen sei der Ansatz ein anderer; die Jesuiten, die immer noch die vatikanische Sternwarte leiten und an ihr forschen, wollen längst nicht mehr Theologie mit den Mitteln der Naturwissenschaft betreiben. "Heute wissen wir, dass unsere naturwissenschaftlichen Theorien viel zu dünn und vorläufig sind, um als Grundlage der Theologie zu dienen", sagt Consolmagno, der sich in seiner Forschung hauptsächlich mit Meteoriten und Asteroiden befasst. Theologie und Naturwissenschaft sollten stattdessen nebeneinander betrieben werden, findet er, in der gebotenen Unabhängigkeit, um so zwei verschiedene Blickwinkel auf die Schöpfung zu haben.
Dennoch sieht der Jesuit in seinem Vorgänger auch ein Vorbild über seine wissenschaftliche Leistung im engeren Sinn hinaus: Als Vorbild für die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft. Gerade zu der Zeit, als der "Mythos eines Kriegs zwischen Religion und Wissenschaft" begann, populär zu werden, war der wichtigste Astronom ein Jesuitenpater, betont Consolmagno. "Das sollte uns daran erinnern, wachsam zu sein, wenn jemand einen solchen Konflikt zwischen Glauben und Wissen behauptet."
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Papst Franziskus interessiert sich für den Weltraum: 2017 hat er mit Astronauten der ISS telefoniert. Doch er ist nicht der erste Papst, der sich für den Weltraum interessiert – ein Blick in die Geschichte der Beziehungen des Heiligen Stuhls zum Weltraum.Korrektur, 29. Juni 2018, 18 Uhr: Entgegen vieler Quellen ist der 29. Juni nicht der Geburtstag, sondern der Tauftag Secchis. Darauf weist Guy Consolmagno im Blog der Vatikanischen Sternwarte hin.