Apostel des prunkvollen Roms
Auch Heilige sind nicht automatisch Frühaufsteher. Philipp Neri etwa kam morgens im Internat notorisch zu spät. Dabei schärfte ihm sein Erzieher ein: "Wenn es läutet, stell dir vor, du bist im Fegefeuer und Gott ruft dich." Doch Langschläfer Neri beeindruckte das nicht: Ja, er habe auch durchaus an das Fegefeuer gedacht, sagte er, als er das nächste Mal zu spät kam. "Dann aber sagte ich zu mir selbst: Du hast schon so viele Dummheiten gemacht, du musst wohl länger im Fegefeuer bleiben - und da bin ich liegen geblieben".
Das ist nur eine von vielen Anekdoten, die sich um den heiligen Philipp Neri ranken, der vor 500 Jahren in Rom geboren wurde. Sie zeigen, warum er den Beinamen der "lachende Heilige" erhielt. Doch Neri ist in der Gemeinschaft der Heiligen keineswegs nur für die Unterhaltungssparte zuständig. Geboren in Florenz als Sohn eines Notars am 21. Juli 1515, vor 500 Jahren, ist Filippo Romolo de Neri auch einer der großen Jugendarbeiter unter den Heiligen. So führte er Predigten und Beichten speziell für Kinder ein. Das war damals im 16. Jahrhundert, als man Kinder als kleine Erwachsene behandelte, eine Revolution in der Seelsorge.
Überhaupt war vieles ungewohnt an Neri, ja für manche kirchlichen Kreise gar anstößig und störend. So hielt er etwa regelmäßig Gottesdienste mit Gebeten und Liedern auf Italienisch - denn er wollte, dass auch die einfachen Leute verstehen, was da passierte. In einer Epoche hemmungsloser Prunkentfaltung am päpstlichen Hof predigte Neri in Rom als Ideal einer Gemeinde zudem eine Kirche der Märtyrer.
Die Päpste waren denn auch nicht alle von Neris unkonventionellem Wirken begeistert: Paul III. und Paul IV. war jener Mann suspekt, der später "Apostel Roms" genannt wurde. Erst Clemens VIII. sah in Neri seinen Mann und machte ihn zum Berater für die geplanten Reformen.
Beim römischen Volk kam Neri umso besser an. Selbst Goethe, der mit Heiligen eigentlich nicht viel am Dichterhut hatte, war von ihm fasziniert. In seiner "Italienischen Reise" widmete er ihm ein ganzes Kapitel. Neri ist für Goethe der Heilige, in dem "das Heilige mit dem Weltlichen, das Tugendsame mit dem Alltäglichen sich vereinigen und vertragen".
Neri kam 1533 mittellos nach Rom. Dort war er 16 Jahre lang zunächst als Erzieher in einer vornehmen Familie tätig. Von 1534 bis 1537 studierte er Theologie und Philosophie in Rom. Noch während seines Studiums verkaufte er jedoch alle Bücher und verteilte den Erlös unter den Armen. Ein Jahr nach seiner Priesterweihe gründete Neri 1552 den Oratorianerorden, eine Gemeinschaft von Weltpriestern, die nicht in klösterlicher Klausur leben.
In den kommenden Jahren wirkte er als Pfarrer in der Gemeinde San Giovanni dei Fiorentini am Tiber-Ufer. 1575 begann er schließlich mit dem Bau jener Kirche, in der er beigesetzt wurde: Santa Maria in Vallicella, auch "Chiesa nuova" (Neue Kirche) genannt. Den mächtigen Bau passiert heute jeder Rom-Reisende, der mit dem Bus vom Hauptbahnhof Termini oder dem historischen Zentrum zum Vatikan fahren will. Neri starb 1595 in Rom an einem Blutsturz. Bis zu seinem Tod blieb er einfacher Priester. Die Kardinalswürde lehnte er zweimal ab.
Kämpfer gegen Missstände in der Kirche
In der Kirchengeschichte steht Neri für die Erneuerung der katholischen Kirche nach der Reformation; früher sprach man von der "Gegenreformation". Neri gehört zu jenen katholischen Geistlichen, die erkannten, dass etliche Missstände in der Kirche keine Erfindungen der Reformatoren waren - und dringend der Abhilfe bedurften.
Heiliggesprochen wurde Neri schon 1622 durch Papst Gregor XV. Als Patron deckt er ein weites Spektrum ab: Er ist nicht nur für die Stadt Rom zuständig, sondern auch für die Spezialeinheiten der US-Armee. Zudem wird er gegen Unfruchtbarkeit von Frauen angerufen.
Ohne Philipp Neri gäbe es schließlich auch kein Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Denn die Bezeichnung "Oratorium" für dieses musikalische Genre geht letztlich auf Neri zurück. Freilich war Neri kein Komponist; aber er war Erfinder der Gebets- oder Andachtstreffen, die nach dem lateinischen Wort für beten (orare) "Oratorium" genannt wurden. Hier wurde auch Musik gemacht.