In Spanien herrscht während der Karwoche Ausnahmezustand

Blut und Ekstase

Veröffentlicht am 23.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Andreas Drouve (KNA) – Lesedauer: 
Brauchtum

Pamplona ‐ Spanische Osterbräuche bewegen sich abseits normaler Maßstäbe. Die oftmals extremen Darbietungen mögen manche Beobachter verstören - von den Spaniern selbst werden sie indes nicht infrage gestellt.

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Besonders berüchtigt: die Geißler von San Vicente de la Sonsierra. Dieser Ort im weltberühmten Weinbaugebiet der Rioja wäre wohl ziemlich unbekannt, gäbe es nicht jene vermummte Gestalten, die bei den Osterprozessionen ihre Rücken mit Baumwollpeitschen traktieren. Zischende Hiebe zerschneiden die Luft, der Atem der Geißler wird schwer. Je länger sie unterwegs sind, desto stärker tränken sich die ausgefransten Enden der Peitschen mit Schweiß.

Je schwerer sie werden, desto mehr potenziert sich bei jedem Schlag der Schmerz. "Picaos" nennt man die Geißler, was wörtlich "Angestochene" bedeutet und den Schlusspunkt des Ablaufs auf den Punkt bringt. Dann nämlich sind die gepeitschten Rücken derart blaurot angeschwollen, dass nur noch hilft, sie mit einem Glasnadelkissen aufzustechen, um für Erleichterung zu sorgen.

Frömmigkeit als unerlässliche Voraussetzung

Die Geißler von San Vicente de la Sonsierra treten Gründonnerstag und Karfreitag in Aktion. Sie tragen knielange, weiße Tuniken mit freilegbarer Rückenpartie. Ihre Identität verhüllen die Teilnehmer mit Kapuzen, in die Augenschlitze eingelassen sind. Hinter dem Brauch steht die Laienbruderschaft Santa Vera Cruz, die seit dem 16. Jahrhundert dokumentiert ist.

Die Frage nach dem Sinn lässt sich mit der symbolischen Teilung des Leids Christi beantworten, Buße, der Erfüllung eines Gelübdes. Jeder Geißler nimmt die Pein freiwillig auf sich, im Laufe der Prozession versetzt er sich Hunderte Schläge. Für die Teilnahme bedarf es eines Antrags an die Laienbruderschaft. Unerlässlich für die Akzeptanz sind die Volljährigkeit, der Christenglaube und - sollte der Antragsteller nicht Mitglied der Bruderschaft sein - ein vom zuständigen Pfarrer unterzeichnetes Schreiben, das die Frömmigkeit bestätigt.

Bild: ©bykofoto/Fotolia.com

Trommelorgien sind fester Bestandteil der Osterbräuche in Spanien.

Osterbräuche in Spanien bewegen sich abseits der Maßstäbe von Normalität. Prozessionen können sich über sechs oder sieben Stunden dahinziehen, vor allem in Sevilla, einem Epizentrum der Karwoche. Vielerorts gehen die Träger der "Pasos", den monumentalen Aufbauten mit Heiligenskulpturen, in der "Semana Santa" an ihre Schmerz- und Leistungsgrenzen. Auf manche Träger entfällt ein Zentner und mehr Gewicht, die Ruhepausen unterwegs sind ein Segen.

Trommelorgien sind eine andere Art, um religiöse Inbrunst, Schmerz und Aufopferung zu demonstrieren. In Hellin, einer Kleinstadt in Kastilien-La Mancha, beginnt das größte, ohrenbetäubendste Trommeln in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag und dauert etwa 14 Stunden. Akustisch ausufernd geht es auch in verschiedenen Orten Aragoniens zu, darunter in Calanda und Urrea de Gaen. Trommler und Paukenspieler können sich in Ekstasen hineinsteigern, die Hände wund und blutig werden.

Tiefe Identifikation mit dem Glauben - oder doch nur PR?

Ob bei all den Geißlern, Trommlern und Prozessionsteilnehmern wirklich die Gedanken tiefster Identifikation mit dem Glauben mitschwingen, lässt sich schwer ermessen. Manches scheint eher der Selbstinszenierung und touristischer PR zu dienen, zumal den Terminen mediale Aufmerksamkeit gewiss ist. In Aragonien ist die "Route der Trommeln und Pauken" ausgewiesen, im Vorjahr scheiterte in Hellin der geplante Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde mit mehr als 12.000 Trommlern einzig an technischen Gründen. Und die Auftritte der "Picaos" von San Vicente de la Sonsierra sind seitens der Behörden zum "Fest von nationalem touristischen Interesse" erhoben worden.

Derlei Osterbräuche mögen auf manche Beobachter befremdlich wirken, aus einheimischer Sicht sind sie aber nicht diskussionswürdig. Im Land des Stierkampfs lieben Spanier auch drastische Darbietungen, und sei es unter dem Deckmantel des Glaubens. Die Geißler in der Rioja locken alljährlich Fernsehteams und Riesenmengen an Schaulustigen an, für die es nach den Prozessionen nur eines gibt: ab in die nächste Kneipe.

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Von Andreas Drouve (KNA)