Der Papst-Erklärer
Journalismus könne nur gelingen, so seine Überzeugung, wenn sich Kritik mit Wohlwollen verbindet. "Wenn ich gar nicht versuche, einen anderen Menschen aufgrund seiner Motive und seiner früheren Handlungen zu verstehen, werde ich weder ihm noch dem Publikum gerecht", sagte der Ordensmann einmal in einem Interview. Diese Haltung scheint inzwischen aus der Mode gekommen zu sein, blickt man auf die aufgeregt-aggressiven Debatten dieser Tage.
Über den Kirchensender funkte der Pater in alle Welt, erst über Kurzwelle, später auch via Internet. Einem breiten Publikum wurde Gemmingen durch viele Fernsehauftritte bekannt, etwa als er 2006 den Heimatbesuch von Benedikt XVI. kommentierte.
Kritische Töne gegen die eigene Institution
Anderen Medien gab der Vatikankenner bereitwillig Auskunft, wenn diese wieder einmal wissen wollten, warum die katholische Kirche Kondome immer noch ablehnt: häufig plakativ, bisweilen flapsig, Hauptsache verständlich. In diesem Stil zeigte sich der Einfluss seines Lehrers und Mitbruders Johannes Leppich. Der füllte in der jungen Bundesrepublik Stadien und erwarb sich durch seine flammenden Predigten den Beinamen "Maschinengewehr Gottes".
Gemmingen, der 1968 in München zum Priester geweiht wurde, teilte nicht Leppichs Militanz, und kritische Töne richtete er nicht selten an seine eigene Institution. Dem Vatikan empfahl er mehr Frauen in Führungspositionen. Lange vor Franziskus machte er öffentlich detaillierte Vorschläge zur Professionalisierung der vatikanischen Medienarbeit und zu einer umfassenden Kurienreform. Ginge es nach ihm, hätte das nach wie vor europalastige Kardinalskollegium heute doppelt so viele Mitglieder, vor allem viel mehr Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner.
Als prophetisch erwies sich das Plädoyer des Paters, dass auch Päpste zurücktreten dürfen sollten. "Weil das Amt so anspruchsvoll ist und weil die Medizin es inzwischen möglich macht, dass man so alt werden kann", sagte er vor einigen Jahren. 2013 war es dann so weit, erstmals in der Neuzeit. Mit dem Nachfolger des emeritierten Professoren-Papstes aus Marktl am Inn erfüllte sich ein weiterer Wunsch Gemmingens: ein Kirchenoberhaupt aus Übersee.
2007 setzte ein Herzinfarkt den Umtriebigen länger außer Gefecht. Nach gründlicher Erholung betraute ihn die Gesellschaft Jesu noch einmal mit einer neuen Aufgabe. Für die Einrichtungen ihrer deutschen Provinz sollte Gemmingen bei Gönnern Geld lockermachen. Der Journalist mutierte erfolgreich zum Bettelmönch. Rund eine Million Euro im Jahr konnte er so den Jesuiten zuführen. Nicht nur ein Stiftungslehrstuhl an ihrer Münchner Hochschule für Philosophie verdankt seine Existenz dem unermüdlichen Werben des Badeners.
Sorge vor dem Verlust des christlichen Grundwissens
Im vergangenen Herbst konnte er den Fundraising-Job in jüngere Hände legen. Dennoch ist der Ordensmann weiter viel unterwegs, pflegt seine exzellenten Kontakte zu Medienschaffenden, von Frank Elstner bis Gundula Gause. Landauf landab lässt er sich zu Vorträgen einladen, in denen er die Frage beantwortet: "Kann Franziskus die Kirchenkrise zu einer Kirchenchance machen?" Das in Deutschland verbreitete wechselseitige Misstrauen zwischen konservativen und liberalen katholischen Publizisten ist ihm ein Graus.
Noch eine Sorge beschäftigt ihn: dass Europa in Gefahr ist, das Grundwissen über seine Wurzeln in den jüdischen Zehn Geboten und dem christlichen Evangelium des Jesus von Nazareth zu vergessen. Hier müsste es einmal einen gemeinsamen Aufschrei prominenter Christen geben, findet Gemmingen.