Kilian Martin über Seelsorge und Serviceleistungen

Die Kirche der Zukunft muss nutzerfreundlich sein

Veröffentlicht am 22.01.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Analyse

Bonn ‐ Viel wird derzeit über das "Mission Manifest" und Gegenthesen diskutiert. Katholisch.de-Redakteur Kilian Martin findet die Debatte gut. Doch vor neuen Strukturen brauche es zunächst einen Kulturprozess.

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Das Jahr 2018 ist gerade erst zwei Wochen alt und hat schon jetzt mehr hilfreiche Thesen zur Zukunft der Kirche hervorgebracht als das gesamte abgelaufene Luther-Gedenkjahr. Das ist überaus erfreulich. Die Debatte zwischen den aufbruchsorientierten Denkern der "MEHR"-Konferenz und dem abbruchfreundlichen Provokateur Erik Flügge liefert tatsächlich wertvolle Anstöße.

Flügges Idee etwa eines bundesweiten Servicecenters der Kirche ist absolut zu unterstützen. Das gilt aber nicht für sein Ziel, Verwaltung und Seelsorge radikal zu trennen. Denn gerade die vermeintlich banalen Serviceleistungen der Kirche – wie etwa der Besuch der Sternsinger oder die Anmeldung zur kirchlichen Trauung – zählen heute zu den wichtigsten seelsorglichen Diensten überhaupt. Sie sind für die größte Zahl der Katholiken der erste und oft sogar einzige Kontakt zur Kirche. Gleichzeit scheitern zahlreiche Gläubige heute krachend am Versuch, diesen herzustellen; weil sie nicht wissen, wohin sie sich wenden müssen oder weil sie an falschen Adressen landen, wo ihnen nicht weiter geholfen wird.

Zur Genüge erhalten wir bei katholisch.de Mails, in denen Gläubige Anliegen an "die Kirche" vortragen. Hinter vielen steht der Wunsch nach elementaren Seelsorgeleistungen. Der Versuch, die Absender an die richtige Adresse zu vermitteln, ist teilweise ein Unterfangen von absurder Komplexität.

Debattenbeitrag: Kirchenschließung: Gott sei Dank!

Das gerade veröffentlichte "Mission Manifest" hat eine Debatte über die Zukunft der Kirche ausgelöst. Strategieberater und Buchautor Erik Flügge stellt den zehn Thesen seine eigenen entgegen.

Doch selbst wenn Gläubige schon im Kontakt mit ihrer Kirche vor Ort stehen, muss das nicht heißen, dass die Kommunikation besser funktioniert. In Gesprächen mit Kollegen, die in den vergangenen Jahren kirchlich geheiratet haben, zeigt sich etwa: kaum jemand, bei dem der erforderliche Taufnachweis ohne größere Probleme zu bekommen war. Mal sollte der Bräutigam zu unmöglichen Zeiten persönlich im Pfarrbüro vorstellig werden, mal erreichte die Braut nur den Pfarrer, der sich außer Stande sah zu helfen. Die Organisation eines aufwendigen Hochzeitsessens für 100 Personen ist mit weniger Stress verbunden als die Beschaffung der nötigen Unterlagen für die Trauung selbst.

Die meisten Katholiken nehmen nicht am Leben der Kirche teil

Und das gilt wohlgemerkt nur für Gläubige, die noch wissen, wohin sie sich überhaupt wenden müssen. Deren Zahl wird immer kleiner. In seiner Neujahrsbotschaft resümierte Essens Bischof Franz-Josef Overbeck: "80 bis 90 Prozent aller Kirchensteuerzahler nehmen selten bis gar nicht am Leben der Gemeinden und Pfarreien vor Ort teil." Wie viele davon wissen nach Zusammenlegungen, Auflösungen und Neugründungen von Gemeinden – oder einfach nur nach einem Umzug – überhaupt noch, zu welcher Pfarrei sie eigentlich gehören?

Die Dorfkirche St. Blasius in Rettenberg im Oberallgäu. Im Vordergrund eine Wiese mit blühendem Löwenzahn, hinten einige Bergspitzen mit Schneeresten.
Bild: ©Andreas P/Fotolia.com

Das kirchliche Leben organisiert sich noch immer fast ausschließlich auf Ebene der Pfarrei, egal ob auf dem Dorf oder in der Großstadt. Kilian Martin sagt: Das verstehen immer weniger Gläubige.

Die Kirche verwaltet sich in fast allen Belangen auf niedriger territorialer Ebene und geht nach wie vor davon aus, dass die Menschen das auch wissen und verstehen. Das ist aber weder ekklesiologisch notwendig noch zeitgemäß. Folgerichtig fordert selbst Bischof Overbeck eine Abkehr vom Kirchturmdenken. Denn es ist eben längst nicht ausgemacht, dass Gläubige, die an der Kirche hängen, sich auch für das kirchliche Leben vor ihrer Haustür interessieren.

Digitalisierung fordert von der Kirche mehr als Gratis-WLAN

Die Organisation der Kirche ist dabei gar nicht kaputt, sie ist einfach nur von vorgestern. Von der kleinen Dorfpfarrei bis hoch in den Vatikan kann jeder sehen, wie sträflich sie die Entwicklung des Lebens ihrer Gläubigen verschlafen hat. Bis heute fehlt etwa ein umfassendes Konzept zur Digitalisierung. Dieser Begriff unterstellt, es würde genügen, ein paar hübsche Internetseiten zu bauen und WLAN-Router aufzustellen. Angesichts oft katastrophaler Negativbeispiele ist das zwar tatsächlich geboten, doch es braucht noch mehr. Es geht um eine umfassende Abkehr von den analogen, zentralisierten und schwer zu findenden Einbahnstraßen der Kommunikation. Für die Kirche bedeutet Digitalisierung in erster Linie, die Gläubigen für alltägliche seelsorgliche Leistungen nicht mehr auf Orte und Wege zu zwingen, die diese schon lange verlassen haben.

In dieser Serviceorientierung liegt ein echter seelsorglicher Schatz. Vielfach wurde empirisch nachgewiesen, dass Kasualien und Lebenswendefeiern für eine große Zahl der Katholiken den wichtigsten Kontakt zur Kirche überhaupt darstellen. Dabei mischen sich spirituelle Bedürfnisse mit ganz pragmatischen: Man will heiraten und das Kind taufen lassen, aber eben lieber im barocken Kleinod als in der schnöden Betonkirche ums Eck. Statt diesen begrüßenswerten Wünschen jedoch entgegen zu kommen, verlangen Bistümer und Pfarreien die Einhaltung von Vorgaben, die den Menschen oft nicht einmal erklärt werden. Schnell muss man bei zwei, drei oder mehr Stellen diverse Unterlagen anfordern, bevor die eigentliche Vorbereitung beginnen kann. Es wirkt wie eine Nagelprobe, ob die Anwärter das angefragte Sakrament auch wirklich empfangen wollen.  Wenn man dann sieht, wie Papst Franziskus während eines Fluges spontan zwei Mitarbeiter der Airline traut, wirkt der bürokratische Aufwand, den normale Paare zu bewältigen haben, grotesk bis entmutigend. Selbstverständlich haben alle Vorgaben einen Sinn, teils sogar einen sehr theologischen. Aber warum muss das System so nutzerunfreundlich sein?

Bild: ©KNA

Spontan-Hochzeit im Papstflieger: Was bei Franziskus ganz einfach aussieht, ist in der Realität ein komplexer und abschreckender Prozess, kritisiert Kilian Martin.

Das alleine mit dem Ziel zu begründen, die Seelsorger von Verwaltungsarbeiten zu befreien, greift zu kurz. Natürlich ist es nicht ihre Kernaufgabe, Formulare auszufüllen und nach Unterlagen zu forschen. Doch gerade wenn es um Fernstehende geht, wird selbst von Priestern anderes verlangt, als nur die Feier der Sakramente. Und wenn viele Dienstleistungen schon solche Vollprofis in Sachen Kirche vor Probleme stellen, ist es höchste Zeit, das System zu ändern.

Wer fragt in der Kirche nach der "User Experience"?

Und noch lange bevor es dabei um geistliche Reformen in der Kirche geht, muss sie eine annehmbare Usability erreichen. Sie ist in erster Linie eine Dienstleisterin; für Gott, aber auch für die Menschen. Gläubige sind damit immer auch Empfänger von kirchlichen Leistungen. Während jedes Wirtschaftsunternehmen mit Kundenkontakt sich heute viele Gedanken über die Nutzbarkeit und "User Experience" macht, scheint das in der Kirche nur Wenige zu interessieren. Da ist es auch unerheblich, ob man hinter der Fassade eine rundumerneuerte Botschaft verkündet, wenn zunehmend weniger Menschen den Zugang finden.

Wenn all die Thesen und Gegenthesen zur Zukunft der Kirche auf fruchtbaren Boden fallen sollen, braucht es auch abseits der Avantgarde einen Kulturprozess. Denn diejenigen, die das System Kirche verstehen, werden nicht mehr. Und am Ende haben weder missionarische Events noch die althergebrachte Dorfpfarrei eine Chance, wenn die Kirche sich an der Realität der Gläubigen vorbei organisiert.

Von Kilian Martin