Die Moderne, ein Irrtum?
Denn er ist keine Selbstermunterung, sondern steht am Schluss des sogenannten Syllabus errorum, einer Auflistung von 80 "Irrtümern" der Moderne, die Papst Pius IX. (1846-1878) vor 150 Jahren, am 8. Dezember 1864, verurteilte. Mit der Absage an eine solche Aussöhnung wandte sich der Papst gegen nahezu alles, was damals als modern galt, gegen Liberalismus, Rationalismus und Menschenrechte.
Höhepunkte im Konflikt zwischen katholischer Kirche und Moderne
Der Syllabus, ein Anhang zur Enzyklika "Quanta cura", gilt als einer der Höhepunkte im Konflikt zwischen katholischer Kirche und Moderne. Den Anfang bildete er freilich keineswegs. Seit der Französischen Revolution hatten die Päpste ihre Ablehnung der Menschenrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit wiederholt. Befördert wurde ihre Opposition durch die dezidiert antikirchliche Stoßrichtung der Französischen Revolution. Damit stand Rom von Beginn an gegen die revolutionären Strömungen, die sich in Frankreich, Belgien, Deutschland und anderen Ländern regten.
Unter Pius IX., der anfangs durchaus offen für Neuerungen war, unter dem Eindruck der Revolution im Kirchenstaat jedoch zum entschiedenen Gegner liberalen Gedankenguts wurde, verschärfte sich der Konflikt noch. Seinen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung mit den Liberalen im Zuge des Unfehlbarkeitsdogmas durch das Erste Vatikanische Konzil im Jahr 1870.
„Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der gegenwärtigen Zivilisation versöhnen und vergleichen.“
Neu waren die Verurteilungen des Syllabus allerdings nicht. Es handelte sich vielmehr um eine Zusammenstellung aus früheren päpstlichen Verlautbarungen, die teils sehr unterschiedliche Punkte betrafen. Keineswegs alle Verurteilungen waren konfliktträchtig: Dass nicht katholisch ist, wer ein "höchstes, allweises und allvorsehendes" göttliches Wesen leugnet, etwa steht auch heute außer Frage. Ebenso, dass ein Staat keine "grenzenlosen" Freiheiten haben sollte und nicht allmächtig sein darf.
Katholiken in modernen liberalen Nationalstaaten geraten in Bedrängnis
Die meisten katholischen Kirchenhistoriker bewerten den "Syllabus errorum" heute sehr kritisch. So spricht Klaus Schatz von einem "Gesamttenor der undifferenzierten Verurteilung der Moderne". Auch in der gemäßigten Interpretation müssten eine Reihe der Verurteilungen als "heute überwunden" gelten, so der emeritierte Frankfurter Kirchenhistoriker.
In die Bredouille brachte der Syllabus vor allem jene Katholiken, die sich in Frankreich, Belgien, aber auch in Deutschland politisch in den modernen liberalen Nationalstaaten engagierten. Denn die Liberalen, mit denen man wohl oder übel zumindest teilweise zusammenarbeiten musste, sahen sich nun in ihrer Auffassung bestätigt, dass mit Katholiken im Wortsinne kein moderner Staat zu machen war. Die betroffenen Katholiken befürchteten nun, endgültig als vaterlandslose und papsthörige Gesellen abgestempelt zu werden.
Um den Katholiken in Frankreich und andernorts eine Brücke zur Moderne zu bauen, veröffentlichte der Bischof von Orleans, Felix Dupanloup, einen Monat später eine gemäßigte Interpretation des Syllabus. Er argumentierte, dass etwa eine Verurteilung der absoluten Freiheit keineswegs bedeute, dass die katholische Kirche generell gegen Freiheit sei. Pius IX. nahm diese Interpretation, die weite Verbreitung fand, wohlwollend auf.
Mit der Liste der Irrtümer verbindet sich nicht zuletzt auch die grundsätzliche theologische Frage, ob die katholische Kirche sich irren, oder, ob es zumindest einen Bruch in ihrer Tradition geben kann. Der Syllabus hatte die Religionsfreiheit klar verurteilt. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte sie hundert Jahre später ausdrücklich anerkannt. Die traditionalistische Piusbruderschaft bestreitet deshalb die Gültigkeit der betreffenden Erklärung des Konzils. Die Mehrheit der Theologen sagt heute, dass ein offensichtlicher Gegensatz bestehe, dass die Religionsfreiheit aber im Kern der christlichen Botschaft schon seit jeher angelegt sei.
Von Thomas Jansen (KNA)