"Ein Papst für alle"
Im Baltikum wird Papst Franziskus mit offenen Armen empfangen werden, ist sich Angelika Schmähling sicher. "In allen drei Ländern ist die Begeisterung für den Papstbesuch sehr groß", weiß die Referentin des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis. Doch auch, wenn Litauen, Lettland und Estland oft als eine Einheit gesehen würden, seien die drei Nationen doch sehr verschieden. Das lasse sich auch an der sehr unterschiedlichen Situation der katholischen Kirche in den baltischen Ländern ablesen.
Litauen, wo Franziskus seine Reise beginnt, ist das katholischste Land im Baltikum. Rund 80 Prozent der 2,8 Millionen Litauer bekennen sich zum Katholizismus. "Die Kirche ist fest in der Gesellschaft verwurzelt und hat mit ihren zahlreichen Einrichtungen eine gute Basis", erklärt Schmähling. Taufe, Erstkommunion, Hochzeit und eine kirchliche Beerdigung würden fest zum Lebenslauf eines Litauers gehören. Der Einfluss der Kirche auf Politik und Kultur sei groß, die Situation durchaus mit der im Nachbarland Polen vergleichbar. Doch es gibt einen Unterschied, so Schmähling: Polen war bis zur Wende ein sozialistisches Land, in dem es kleine Freiräume für die Kirche gab. Litauen hingegen war ein kommunistischer Staat, in dem sehr repressiv gegen Religionen vorgegangen sei.
Papst besucht ehemaliges KGB-Gefängnis
"Es kam zur Verfolgung und Verurteilung von Klerikern", so Schmähling. Auch Priesterseminare seien geschlossen worden. Es habe viele Märtyrer gegeben, wie den im vergangenen Jahr seliggesprochenen Erzbischof Teofilius Matulionis. "Eine ganze Priestergeneration fehlt in Litauen", erläutert die Baltikums-Expertin. Deshalb werde es im Land sehr positiv wahrgenommen, dass Franziskus das ehemalige KGB-Gefängnis besucht. Heute ist es ein Museum für die sowjetische Besatzungszeit und den Freiheitskampf der Litauer.
Auch an der nächsten Etappe seiner Reise, in Lettland, wird der Papst das große Thema seines Besuchs, die Freiheit, thematisieren: Am Montag legt er am Freiheitsdenkmal in Riga Blumen nieder. Anders als in Litauen ist die Kirche in Lettland jedoch eine Minderheit. Etwa 21 Prozent der knapp 2 Millionen Letten sind Katholiken. Die evangelisch-lutherische Kirche ist mit 700.000 Gläubigen die größte Konfession des Landes. Doch nahezu jeder Vierte bekennt sich zu keiner Religion. Daher sei die Ökumene in Lettland sehr wichtig, berichtet Sr. Hannah Laue. Die Dominikanerin lebt bereits seit fünf Jahren in der lettischen Hauptstadt. Gegenseitige Besuche in den Gottesdiensten der jeweils anderen Konfession seien üblich, sagt Sr. Hannah, die Priorin der Niederlassung ihres Ordens in Riga ist. "Es gibt eine Sehnsucht nach Einheit der Kirchen und ein Ringen um Gemeinschaft." Das stärkste Zeichen ist für sie der gemeinsame Kreuzweg am Karfreitag in der Altstadt Rigas. "Alle Konfessionen sind dabei", zeigt sich die Ordensfrau beeindruckt.
Doch im Südosten des Landes liegt das katholische Kernland Lettlands: die Region Lettgallen. Dort befindet sich der Pilgerort Aglona, den auch der Papst besuchen wird. Einmal im Jahr gibt es eine große Wallfahrt dorthin, an der stets viele Nicht-Katholiken teilnehmen. Sr. Hannah wundert das nicht: "Aglona ist ein wichtiger Teil der lettischen Identität." Während der Sowjetzeit habe die Wallfahrt das Land zusammengehalten.
Heute freut sich die ganze Gesellschaft auf den Papstbesuch. "Viele verbinden damit die Hoffnung, dass Franziskus eine Brückenfunktion einnimmt und alle zusammenbringt", so die Dominikanerin. Die Letten würden verstehen, dass der Papst zu ihnen an den "Rand Europas" kommt, mit der Botschaft: Es ist gut, dass es euch gibt! Das sei auch nötig, denn viele Letten suchen ihr Glück in anderen europäischen Ländern. "Daher hoffen hier viele, dass der Papstbesuch die jungen Letten dazu motiviert, im Land zu bleiben", sagt Sr. Hannah.
Auch in Estland ist die Vorfreude auf den anstehenden Besuch von Franziskus sehr groß. Schließlich ist es erst die zweite Reise eines Papstes ins Baltikum, nach dem Besuch von Johannes Paul II. im Jahr 1993. Viele Plakate auf den Straßen Tallinns begrüßen schon jetzt Papst Franziskus, berichtet Ingmar Kurg. Der estnische Theologe nimmt eine große Offenheit für den Papst in der Gesellschaft des nördlichsten und letzten Landes der Reise von Franziskus wahr. "Bislang gab es kaum negative Stimmen zur Reise des Papstes", sagt Kurg. Das Medieninteresse ist groß, obwohl nur 30 Prozent der 1,3 Millionen Esten überhaupt Christen sind. Doch vielen sei die Religion trotzdem wichtig, so Kurg, der vor wenigen Jahren zum katholischen Glauben konvertierte. Den Esten würden christliche Werte als Grundlage ihrer Gesellschaft ansehen.
Das zeigt sich etwa an den zahlreichen katholisch geprägten Schulen, die es in Estland gibt: Obwohl nur etwa 6.000 Esten katholisch sind, die meisten von ihnen Migranten, hätten ihre Bildungseinrichtungen großen Zulauf. "Sie haben einfach einen guten Ruf", erläutert Renovabis-Referentin Schmähling die Situation. Überhaupt würden es die Katholiken schaffen, die Gesellschaft anzusprechen, ohne dabei missionieren zu wollen.
Anders als die meisten der nur etwa ein Dutzend Priester im Land, die aus Polen, Südeuropa oder Lateinamerika stammen. Derzeit gibt es lediglich einen Priester aus Estland, der nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland geweiht wurde und bereits über 90 Jahre alt ist. Die "Gastarbeiterpriester", wie sie in Estland genannt würden, sähen sich eher als "Missionare", so Kurg. Doch für die Esten sei die Ökumene fundamental. Während der Sowjet-Zeit habe der Katholizismus im Untergrund nur überleben können, weil er von den anderen Konfessionen unterstützt worden sei. Deshalb sei bei den estnischen Christen die Freude über den Papstbesuch sehr groß, weiß Kurg: "Er ist eben ein Papst für alle."