Eine Alternative für Juden?
Anfangs dachten wohl die meisten an einen Scherz. Doch an diesem Sonntag will die AfD tatsächlich einen Arbeitskreis für jüdische Parteimitglieder gründen. "Juden in der AfD" nennt sich die Vereinigung, die schon vorab für Kopfschütteln und harsche Kritik gesorgt hat.
Zuletzt warnten am Donnerstag 17 jüdische Organisationen und Verbände vor der Partei. In einer gemeinsamen Erklärung, der sich unter anderen der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Bund traditioneller Juden und die Allgemeine Rabbinerkonferenz angeschlossen haben, heißt es: "Die AfD ist eine Partei, in der Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoah ein Zuhause haben. Die AfD ist antidemokratisch, menschenverachtend und in weiten Teilen rechtsradikal." Die Partei versuche zwar, mir ihrer vermeintlichen Verbundenheit mit Israel und ihrer angeblichen Sorge um die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu punkten. Doch die Partei sei "ein Fall für den Verfassungsschutz, keinesfalls aber für Juden in Deutschland".
AfD sieht sich an der Seite der Juden
In der AfD sieht man das naturgemäß anders. Judenfeindlichkeit? Gibt es in der Partei nicht, erklärte der baden-württembergische AfD-Vorsitzende Ralf Özkara unlängst der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Wir haben einige Juden in der Partei – wären wir so ein antisemitischer Haufen, wie es uns nachgesagt wird, dann wären die nicht bei uns." Und Dimitri Schulz, Gründungsmitglied der "Juden in der AfD", schrieb Ende September an eine Nachrichtenagentur: "Die AfD ist die einzige Partei der Bundesrepublik, die muslimischen Judenhass thematisiert, ohne diesen zu verharmlosen." Wie viele Juden jedoch tatsächlich Mitglied in der AfD sind, ist nicht bekannt; die Mainzer "Allgemeine Zeitung" stellte zuletzt sogar in Frage, ob Dimitri Schulz selbst Jude sei.
Linktipp: "Juden in der AfD": Scharfe Kritik an neuer Vereinigung
Jüdische Mitglieder der AfD wollen Anfang Oktober eine bundesweite Vereinigung gründen. Während das Vorgehen von verschiedenen Seiten scharf kritisiert wird, erklärt ein Gründungsmitglied, warum es eine solche Vereinigung geben muss. (Artikel von September 2018)Dennoch: Zur geplanten Gründung der "Juden in der AfD" am Sonntag in Wiesbaden werden nach Angaben von Schulz neben 20 Gründungsmitgliedern auch AfD-Bundesvorstandsmitglied Beatrix von Storch und der hessische AfD-Sprecher Robert Lambrou erwartet. Die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach, die seit März Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung ist, werde ein Grußwort sprechen.
Wer neben Schulz zu den weiteren Gründungsmitgliedern der neuen Gruppe zählt, ist noch unklar. Möglicherweise wird der baden-württembergische AfD-Politiker Alexander Beresowski dazu gehören, der wie Schulz aus der ehemaligen Sowjetunion stammt und nach eigenen Angaben Mitglied der Jüdischen Gemeinde ist. Zudem gehört der AfD-Vorsitzende des Kreisverbands Lörrach, Wolfgang Fuhl, zu den Gründungsmitgliedern. Fuhl war von 2007 bis 2012 Vorsitzender des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und damit Mitglied des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Aber was hat die jüdischen Parteimitglieder eigentlich dazu getrieben, die Gruppe "Juden in der AfD" zu gründen? Die "Grundsatzerklärung Juden in der AfD", die bereits vorab öffentlich bekannt wurde, nennt vor allem zwei Motive: die Islamkritik und die "Zerstörung der traditionellen, monogamen Familie" durch "Gender-Mainstreaming" und "Frühsexualisierung". Beide Themen finden sich auch bei der Gruppe der "Christen in der AfD", die sich bereits im August 2013 gegründet hat und deren Mitgliederzahl derzeit auf etwa 125 Personen geschätzt wird.
In der "Grundsatzerklärung" geht es weiter mit Kritik an einer "unkontrollierten Masseneinwanderung" junger Männer aus dem "islamischen Kulturkreis" mit "einer antisemitischen Sozialisation" und mit massiver Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Verhältnis zu Israel wiederum wird ausschließlich mit Blick auf die Bedrohung durch den radikalen Islam erwähnt. Weiter räumt die Erklärung zwar ein, das sich "Antisemiten wie Wolfgang Gedeon" in der AfD befänden, deren Einfluss werde aber "maßlos überschätzt". Und schließlich begegnet das Papier der Kritik des Zentralrats der Juden nicht inhaltlich, sondern mit dem Verweis auf eine "gewisse Konformität" zum Staat, weil der Zentralrat ähnlich wie die großen Kirchen staatliche Mittel erhalte.
Extremismusforscher: Das Objekt der Hetze ist austauschbar
Für den Rechtspopulismus-Forscher Matthias Quent ist der geplante Arbeitskreis vor allem ein taktisches Kalkül. Er sei Teil einer "janusköpfigen Strategie", sagte der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena dem "Handelsblatt". Einerseits würden antisemitische Karikaturen, Stereotype und Verschwörungstheorien von AfD-Funktionären verbreitet, andererseits werde das Verhältnis zu Juden instrumentalisiert. Dabei hätten Studien gezeigt, dass Antisemitismus in der Wählerschaft der AfD "signifikant weiter verbreitet ist, als bei den anderen Parteien und im Bevölkerungsdurchschnitt".
Der renommierte Extremismusforscher Wolfgang Benz hält die geplante Gruppe "Juden in der AfD" sogar "für komplett abstrus". Wörtlich sagte Benz der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Ist diesen Juden denn nicht klar, wie viele Antisemiten es in der AfD gibt und wie ungestraft Judenfeindschaft in dieser Partei geäußert werden kann?" Zugleich warnt er: "Wer wie die AfD gegen eine Minderheit aus rassistischen oder anderen Gründen hetzt, hat auch etwas gegen andere Minderheiten. Das Objekt der Hetze ist austauschbar." (mit Material von dpa und KNA)