Neue Bibelübersetzung im Gottesdienst

Feine Unterschiede und herbe Schönheit: Das bringt das neue Lektionar

Veröffentlicht am 20.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Trier ‐ Schon seit 2016 gibt es die neue Einheitsübersetzung der Bibel – doch im Gottesdienst hört man bisher noch die alte Fassung. Das ändert sich nun – worauf sich Kirchgänger und Lektoren jetzt einstellen müssen, verrät Liturgie-Bischof Stephan Ackermann.

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2016 wurde im deutschsprachigen Raum erstmals seit Jahrzehnten eine neue Einheitsübersetzung der Bibel vorgestellt. Daraufhin machten sich Experten an die Arbeit, auch die Lesungsbücher, aus denen die biblischen Passagen in den Gottesdiensten vorgetragen werden, anzupassen. Zum Advent 2018 wird in den Pfarreien nun das erste von acht zu überarbeitenden Lektionaren zum dann aktuellen Lesejahr C eingeführt. Was an Arbeit dahinter steckt und was auf die Tausenden Lektoren in den Pfarreien zukommt, hat die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) den Trierer Bischof Stephan Ackermann gefragt. Er ist Vorsitzender der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Frage: Bischof Ackermann, im ganzen deutschsprachigen Raum wird zum ersten Advent 2018 ein neues Messlektionar eingeführt. Was war der Anlass dafür?

Ackermann: Vor zwei Jahren, Ende 2016, haben die deutschsprachigen Bischöfe eine neue Bibelübersetzung veröffentlicht. Sie ist eine moderate Überarbeitung der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift von 1979. Seitdem war die Bibelforschung weitergegangen, und unsere Sprache ist auch nicht stehengeblieben. Es stand also eine Überarbeitung an. Das Ergebnis nach zehnjähriger Arbeit ist die Bibelübersetzung von 2016. Sie zeichnet sich vor allem durch eine noch größere Treue zum biblischen Urtext aus, und ist nun der neue offizielle katholische Bibeltext in deutscher Sprache. Als solcher wird sie nicht nur in Dokumenten, Predigten, Broschüren oder Ansprachen verwendet, sondern hat ihren Platz auch im Gottesdienst. Sie wird daher Schritt für Schritt in die liturgischen Bücher eingearbeitet. Den Anfang machen die insgesamt acht Bände des Messlektionars, da sie beinahe ausschließlich aus biblischen Texten bestehen.

Frage: Die neue Bibel-Einheitsübersetzung ist bereits seit Dezember 2016 erhältlich. Warum folgt das neue Lektionar zwei Jahre später? Hätte man nicht einfach den neuen Text kopieren und einfügen können?

Ackermann: Nein, mit copy and paste wären wir hier nicht weit gekommen. Allein schon deshalb, weil das Lektionar bisher immer noch mithilfe von Druckplatten hergestellt worden ist. Eine Digitalisierung war hier unabdingbar, und zwar so, dass sie heutigen Standards der Buchproduktion entspricht. Ich denke da auch an die Notwendigkeit, blinden und sehbehinderten Menschen einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Die Digitalisierung ist aber nur ein Aspekt. Das Entscheidende ist die Buchgestaltung selbst. Das Lektionar ist ja nicht irgendeine Gebrauchslektüre. Deshalb stellt sich die Frage: Welche Größe sollen die Bücher künftig haben? Welche Schriften sollen verwendet werden und wie groß sollen sie je nach Funktion sein? Wo muss ein Zeilen- und wo ein Seitenumbruch hin, damit das Vorlesen erleichtert und nicht gestört wird? Welches Papier braucht es? Wie viele Lesebändchen? Farbiger Seitenschnitt ja oder nein? Und natürlich war es Zeit für eine Auffrischung der bisherigen Einbandgestaltung. Das alles will sauber durchdacht und geplant sein. Bei einem immerhin achtbändigen Werk wie dem Lektionar müssen die Weichen gleich zu Beginn richtig gestellt werden.

Stephan Ackermann, Bischof von Trier, am 26. September 2017 in Fulda.
Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Stephan Ackermann ist Bischof von Trier und Vorsitzender der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Frage: Nennen Sie bitte einige Neuerungen, die sofort ins Auge springen. Werden sich Lektoren und Gottesdienstbesucher stark umstellen müssen?

Ackermann: Da ist zum einen die optische Neugestaltung des Lektionars. Das Wort Gottes, sein Wesen, seine Dynamik und Kostbarkeit sollen sich hier widerspiegeln, nicht wuchtig oder überladen, aber klar und ausdrucksstark. Hier hat uns mit seinen Entwürfen der international tätige Künstler und Designer Christof Cremer überzeugen können: schräg einfallende, einander überschneidende Ellipsen über die ganze Breite des Einbands hin. Nur der untere Scheitelpunkt ist jeweils sichtbar. Der obere Scheitelpunkt liegt quasi außerhalb des Buches, er sprengt den Rahmen. Die Linien auf dem Einband lassen eine dynamische Ab- und Aufstiegsbewegung erkennen, auch eine Assoziation mit Schallwellen scheint mir nicht abwegig. Ich finde, das passt alles sehr gut zum Wort Gottes, was es ist und wie es wirkt. Aber hierzu wird es bald sicher weitere Deutungen geben. Ich will da gar nicht vorgreifen.

Abgesehen vom Einband gibt es eine Reihe von Elementen im Layout, die nicht annähernd so augenfällig sind, aber große Bedeutung für eine ordentliche liturgische Bibellesung haben. Hier verfügen wir über Standards, die sich in der Vergangenheit eindeutig bewährt haben. Schauen Sie sich nur die sinn- und satzgliedernde Zeileneinteilung an oder die eigens für liturgische Bücher entwickelte, leserfreundliche Schriftart "Adamas antiqua", die wir jetzt in Überschriften und Rubriken bewusst von einer serifenlosen Schrift kontrastieren lassen. Lektoren werden nichts, was sie bisher an Satz und Schrift geschätzt haben, vermissen. Ich würde aber sagen, dass durch die neuen Herstellungsverfahren das Gesamtbild etwas schlanker wirkt und dadurch an Klarheit sogar noch gewonnen hat.

Und was den Wortlaut der Schriftlesungen selbst betrifft, so sind die Unterschiede zur früheren Fassung in der Regel nicht so stark, dass sich ein wirkliches Fremdheitsempfinden einstellen müsste. Gewöhnlich werden es eher feine Unterschiede sein, die beim Lesen und Hören auffallen und dann natürlich genügend Stoff für Predigt und eigenes Nachdenken bieten werden.

Frage: Es gibt schon auffallende Änderungen. Etwa, wenn Gott sich in der Lesung zum Dritten Fastensonntag dem Moses offenbart. Bislang hieß es: "Ich bin, der ich bin da." Künftig heißt es: "Ich bin, der ich bin." Kann so etwas nicht die Gläubigen, die diese Lesungen seit Jahrzehnten hören, irritieren?

Ackermann: Sicher kann das irritieren, aber das darf es auch. Zwar war die bisherige Übersetzung des Gottesnamens JHWH im Buch Exodus (3,14) nicht einfach falsch. Aber sie hat den Aussagegehalt dieser vier Konsonanten "JHWH", die im Hebräischen den Namen Gottes bezeichnen, doch sehr eingegrenzt. Die neue Wiedergabe "Ich bin, der ich bin" weist auf die Gegenwart Gottes hin - darum geht es ja schließlich bei der Namensoffenbarung -, aber gleichzeitig bringt sie die Unverfügbarkeit Gottes zum Ausdruck. Wohl keine Übersetzung wird in der Lage sein, den Sinngehalt der vier Buchstaben mit einem einzigen Wort oder Ausdruck voll wiederzugeben, aber mit der jetzigen Übersetzung sind wir doch deutlich näher dran als zuvor.

Was im neuen Lektionar wirklich auffallen, vielleicht sogar irritieren wird, sind die Psalmen. Wie gesagt, die Revision der früheren Einheitsübersetzung ist bei den meisten biblischen Büchern eher sanft erfolgt. Die Psalmen sind dagegen an vielen Stellen eine wirkliche Neuübersetzung. Die Vorgängerfassung hatte zugunsten von Satzmelodie und unmittelbarer Verständlichkeit etliche Glättungen vorgenommen. Hier geht die neue Übersetzung nicht mehr mit: Sie will der poetischen Eigenart der Psalmensprache und ihrer herben Schönheit nahekommen. Ich sehe darin eine Chance, die Psalmen auch persönlich neu und tiefer kennenzulernen. Warum nicht auch durch ein vergleichendes Lesen der alten und der neuen Übersetzung?

Frage: Im alten Lektionar waren die Texte der Psalmen und des Neuen Testaments noch ökumenisch übersetzt worden. Das ist nun nicht mehr der Fall. Ist das nicht ein Rückschritt?

Ackermann: Man kann das in der Tat bedauern, aber es ist weder ein Rückschritt noch eine Katastrophe. Dass für die Einheitsübersetzung von 2016 die ökumenische Zusammenarbeit nicht fortgeführt werden konnte, hing vor allem an Verfahrensfragen. Das Wohl und Wehe der Ökumene entscheidet sich daran aber nicht. Dabei steht außer Frage, dass die Heilige Schrift von zentraler Wichtigkeit für unser gemeinsames Bekenntnis zu Christus bleibt. Und da im Vorfeld ökumenischer Gottesdienste auch bisher immer zu klären war, aus welcher Übersetzung konkret die Schriftlesungen entnommen werden sollten, ändert sich auch hier in der Praxis nichts - bis auf die Tatsache, dass nun eben die Einheitsübersetzung von 2016 und die Lutherbibel von 2017 zur Auswahl stehen.

Das gold-rote Cover des neuen Messlektionars
Bild: ©DBK/Kopp

Das neue Messlektionar mit den Texten der neuen Einheitsübersetzung. Der Wiener Künstler und Designer Christof Cremer hat das Cover gestaltet.

Frage: Warum findet man das Wort "Jahwe" im Lektionar nicht, stattdessen aber die Formulierung "HERR"?

Ackermann: Sie werden im neuen Lektionar tatsächlich an keiner Stelle mehr den Gottesnamen "Jahwe" ausbuchstabiert finden. Damit kehren wir wieder zu der alten jüdischen und christlichen Gepflogenheit zurück, den Namen Gottes aus Gründen der Ehrfurcht mit einem Ersatzwort wiederzugeben. Das geschieht konkret mit der Hoheitsbezeichnung "Herr", in direkter Fortführung der traditionellen griechischen Ersatzbezeichnung Kyrios bzw. des lateinischen Dominus. Die Sonderschreibung des Wortes "HERR" mit Kapitälchen markiert dabei zumindest im Druckbild, dass an dieser Stelle eigentlich die vier Buchstaben des Gottesnamens stehen. Ich finde es schön, dass wir hier - auch gegenüber unseren jüdischen Brüdern und Schwestern - Sensibilität zurückgewonnen haben.

Frage: Hat sich auch am Zuschnitt der Lesungstexte etwas geändert?

Ackermann: Nein. Wir haben eine neue offizielle Bibelübersetzung, und die muss nun schrittweise in die bestehenden liturgischen Bücher eingearbeitet werden. Neu am künftigen Lektionar ist der Wortlaut der biblischen Lesungen, nicht aber das weltkirchlich geltende und im Übrigen sehr komplexe formale Konzept. Die Auswahl und der Zuschnitt der Bibelstellen folgen nach wie vor der Leseordnung von 1969.

Frage: Sind zur Einführung des Lektionars bestimmte Aktionen geplant?

Ackermann: In der Tat wird es einiges an Begleitung und Unterstützung geben. Zum einen sind da die ganz unterschiedlichen Aktivitäten aus dem Verlagsbereich sowie natürlich die Angebote von kirchlicher Seite. So hat zum Beispiel das Deutsche Liturgische Institut für den Ersten Adventssonntag ein kleines Modell zur Einführung des Lektionars während der Heiligen Messe erstellt. Ein weiteres Modell gibt Hilfestellung, wenn das Lektionar im Rahmen einer Wort-Gottes-Feier eingeführt werden soll. Und ein drittes Modell zeigt, wie auf diözesaner Ebene eine feierliche Übergabe des neuen Buchs an die Gemeinden aussehen kann. Ich halte das für eine gute Idee. Im Bistum Trier werden wir eine solche Übergabe haben, in einer eigenen Wort-Gottes-Feier am Freitagabend vor dem Ersten Advent. Darüber hinaus gibt es rund um das künftige Lektionar und die Einheitsübersetzung von 2016 viele Angebote zur Information und Vertiefung: vom Deutschen Liturgischen Institut und vom Katholischen Bibelwerk in Stuttgart, aber auch in Eigenverantwortung der Diözesen und länderübergreifend. Immerhin wird das neue Lektionar ja nicht nur in Deutschland eingeführt, sondern im ganzen Sprachgebiet, also auch in Österreich, in der Schweiz und überall sonst, wo die deutschsprachige Liturgie zum festen Bestand gehört.

Frage: Was passiert eigentlich mit den vielen Tausend alten, wertvollen Lektionaren? Sind diese ab Dezember ungültig? Und werden die Bücher aufbewahrt, verschenkt oder entsorgt?

Ackermann: Eine gute Frage. Die Situation ist aber diesmal anders als etwa bei der Einführung des neuen "Gotteslob" vor sechs Jahren. Damals hatten wir es mit einer ungleich größeren Anzahl von Büchern zu tun. Und da stellte sich tatsächlich die Frage, wie man sinnvoll und verantwortlich damit umgehen kann. Es gab in dem Zusammenhang auch einige kreative Ideen, wie etwa die Herstellung von Christbaumengelchen aus den Blättern der alten Bücher.

Was die alten Lektionare betrifft, so gehe ich davon aus, dass sie in den meisten Sakristeischränken einfach stehenbleiben werden oder vielleicht zwei Regalböden höherwandern, zu den anderen Büchern vergangener Tage. Bestimmt spricht auch nichts dagegen, einem interessierten Abnehmer damit eine Freude zu machen. Der Altpapiercontainer wäre sicher kein angemessener Platz. Außerdem wird es ja noch ein paar Jahre dauern, bis alle acht Bände der neuen Ausgabe vorliegen und in der Liturgie genutzt werden können. Sobald die drei Bände für die Lesejahre A bis C und das Evangeliar vorliegen, wird der Gebrauch auch formal verpflichtend sein. Jetzt dürfen wir erst einmal neugierig sein auf den ersten Band.

Von Michael Merten (KNA)