Himmel, Hölle, Fegefeuer: Warum für die Toten beten?
Am Fest Allerseelen beten Katholiken für die Verstorbenen. Doch warum eigentlich? Ist das nicht unlogisch? Sind die Verstorbenen nicht schon auferstanden, also längst bei Gott? Wofür brauchen sie dann noch das Gebet der Lebenden? Die Antwort auf diese Fragen ist das Fegefeuer. Allerseelen ist traditionell verbunden mit der Vorstellung eines Reinigungsortes. Demnach müssen die Verstorbenen erst noch geläutert werden, bevor sie in den Himmel kommen. "Unser Gebet will ihnen diese Zeit erleichtern", heißt es im Gebets- und Andachtsbuch der katholischen Kirche.
Das Feuer hatte bereits in biblischen Zeiten einen besonderen Stellenwert. Gott zeigt sich dem Mose im brennenden Dornbusch. Auf der Wanderung ins Gelobte Land begleitet er die Israeliten in Gestalt einer Feuersäule durch die Nacht. Am ersten Pfingstfest kommt der Heilige Geist in Form von Feuerzungen auf die Jünger herab. Von Gott geht im Feuer nichts Bedrohliches aus. Er brennt vor Liebe zu den Menschen. "In früheren Zeiten war Feuer eher ein Bild für kraftvolle Reinigung als für Vernichtung", erklärt Domvikar Monsignore Christoph Huber, Diözesan- und Landespräses des Kolpingwerkes München. "Zugleich stiftet Feuer mit Licht und Wärme Gemeinschaft. Nicht umsonst sind Lagerfeuer und auch die Osterfeuer so beliebt."
Ort der Reinigung
Christen in den ersten Jahrhunderten kannten nur Himmel und Hölle. Erst allmählich kamen den Theologen Zweifel: Was ist – abgesehen von Mord, Totschlag und andern schweren Sünden – mit den üblichen Verfehlungen im Alltag? Der große Kirchenlehrer Augustinus sprach von einem Ort, an dem Schmerzen eine reinigende Funktion übernehmen. Theorien und Vorstellungen gab es unendlich viele – teilweise sehr diffus. Für Ordnung in diesem Gedankenkarussell sorgte schließlich Papst Gregor der Große in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts. Er bestätigte den Glauben an ein Reinigungsfeuer. Doch der Begriff Purgatorium – Ort der Reinigung – wurde erst im 12. Jahrhundert eingeführt
Es dauerte lange, bis sich der Glaube an das Fegefeuer in der katholischen Kirche entfaltete. Die orthodoxe Kirche – und später auch die protestantische – lehnten ihn ab. Eine Definition des Fegefeuers findet sich im Katechismus der Katholischen Kirche (Nummer 1030): "Wer in der Gnade und Freundschaft Gottes stirbt, aber noch nicht vollkommen geläutert ist, ist zwar seines ewigen Heiles sicher, macht aber nach dem Tod eine Läuterung durch, um die Heiligkeit zu erlangen, die notwendig ist, in die Freude des Himmels eingehen zu können." "Auch in meinem Leben gibt es Dinge, die selbst ich nicht im Paradies dabei haben möchte: schlechte Gewohnheiten etwa, von denen ich mich trotz aller Vorsätze nicht trennen kann", sagt Huber. "Zum Glück gibt es das Angebot, dass Gott mich vor dem Eintritt ins Paradies reinigt."
Erst im 20. Jahrhundert gab es Tendenzen, den Begriff des Fegefeuers kritisch zu überdenken. Die Theologie suchte nach einem neuen Verständnis. Das Fegefeuer geschehe in der Gottesbegegnung im Tod, erklärte der frühere Papst Benedikt XVI. Er definiert es als reinigende Begegnung mit Jesus Christus. "In unserem Tod werden wir Gott endgültig und für immer begegnen", sagt der Tübinger Neutestamentler Gerhard Lohfink. Gott halte uns den Spiegel vor, schaue uns voller Liebe an. Und dann würden einem Menschen die Momente im Leben bewusst, in denen er aus Engstirnigkeit oder Angst nicht imstande war, gottgefällig zu handeln. Das Fegefeuer wäre demnach ein Ort der Gotteserfahrung und Erkenntnis.
"Gott zeigt mir, was nicht vollkommen ist in meinem Leben", erklärt Huber. "Er nimmt weg, was auch ich nach dieser Erkenntnis nicht mit ins Paradies nehmen möchte – damit ich dort die vollkommene Glückseligkeit finde, die ich auf Erden bei allem guten Willen nicht erreicht habe. Wenn das keine froh machenden Aussichten sind!"
Freikaufen durch Ablass?
Einen bitteren Geschmack erhielt die Lehre von Himmel, Hölle und Fegefeuer zur Zeit der Reformation. Es war damals üblich, Vergebung der Sünden durch den so genannten Ablass zu erlangen. Martin Luther prangerte die Gepflogenheit des Klerus an, Sünden zu erlassen, wenn der Beichtende durch großzügige Geldspenden Buße tat. Man könne, so die Auffassung damals, den Aufenthalt im Fegefeuer verkürzen, indem man möglichst viele Ablässe sammelte. Ein Werbespruch aus dem 15. Jahrhundert war allen geläufig: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."
Den Ablass generell zu verachten, würde der Sache aber nicht gerecht werden. Viele Ablässe wurden auch zur Zeit der Reformation nicht durch Geldspenden, sondern durch Werke der Barmherzigkeit erteilt: Unterstützung von Bedürftigen, von Witwen und Waisen oder Ordensleuten. Darüber hinaus erhielt jeder einen Ablass, der sich am Bau von Kirchen, anderen Gebäuden, Straßen und Brücken beteiligte – finanziell oder durch körperliche Arbeit. Berühmte Beispiele sind der Petersdom in Rom, der Kölner Dom und andere große Kathedralen. Doch nicht nur gut Betuchte, sondern auch Arme kamen in den Genuss von Ablässen – durch Werke der Frömmigkeit. Etwa wenn sie den Pfarrer auf dem Weg zu einem Sterbenden begleiteten oder beim Glockenläuten mit gebeugten Knien ein Vaterunser oder Ave Maria sprachen.