Hirten "von Staates Gnaden"
Ein Bischof ist ein Hirte, kein Politiker. Dennoch zeigt die Geschichte, dass sich auch Staaten dafür interessieren, wer innerhalb ihrer Grenzen auf den Kathedren sitzt. Das aktuelle Beispiel ist China: Die kommunistische Regierung und der Vatikan haben kürzlich ein "vorläufiges Abkommen" abgeschlossen. Der genaue Inhalt ist bislang nicht bekannt, doch es geht darin unter anderem um das künftige Prozedere bei Bischofsernennungen. China beansprucht dabei ein Mitspracherecht. Papst Franziskus bekräftigte, dass das letzte Wort beim Vatikan liegt.
Immer wieder haben sich Staaten – nicht nur katholische, sondern auch offiziell religionsneutrale – ein mehr oder minder großes Mitspracherecht bei der Ernennung von Bischöfen gesichert. Der Grund ist recht simpel: Ein Bischof ist ein Akteur des öffentlichen Lebens und kann auf seine Diözesanen – die gleichzeitig Staatsbürger oder Untertanen sind – einwirken. Je nach Lage kann das dem sozialen Frieden in einem Land nützen – oder eben nicht. Deshalb verwundert es nicht, dass Staaten auf den Bischofsstühlen gerne ihnen genehme Leute sitzen hätten.
Bischöfe als Fürsten
Im Mittelalter waren Staat und Kirche eng miteinander verwoben, quasi deckungsgleich. Damals hatten die Bischöfe eine tatsächliche politische Funktion: Die sogenannten Fürstbischöfe regierten über ein staatliches Territorium und waren wichtige Stützen der königlichen Herrschaft. Jahrhundertelang störte sich keiner daran, dass die deutschen Könige Bischöfe einsetzen. Erst im 11. Jahrhundert kamen erste kritische Stimmen auf, ob das überhaupt mit dem Kirchenrecht vereinbar sei. So begann allmählich eine harte Auseinandersetzung darüber, ob der Papst oder der König Bischöfe einsetzen darf: der Investiturstreit (von lateinisch investire, einkleiden).
Als der deutsche König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. aufeinanderprallten, eskalierte der Streit. Gregor hielt die "libertas ecclesiae", die Freiheit der Kirche, hoch, und verbat sich eine Investitur durch den König. Doch Heinrich dachte nicht daran, auf sein "Gewohnheitsrecht" zu verzichten. Der Streit schaukelte sich hoch, bis sich die beiden gegenseitig für abgesetzt beziehungsweise exkommuniziert erklärten. Als Heinrich den Rückhalt seiner Fürsten zu verlieren drohte, machte er sich Ende 1076 als reumütiger Büßer auf den Weg über die Alpen nach Canossa, wo Gregor gerade weilte. Der "Gang nach Canossa" wurde zum Sprichwort.
Doch das war noch nicht das Ende der Auseinandersetzung. Erst 1122 wurde der Investiturstreit mit dem Wormser Konkordat beigelegt. Die Protagonisten waren längst andere. Der Kaiser akzeptierte den Anspruch der Kirche auf die Investitur mit Ring und Stab, den Symbolen für die geistliche Ehe mit der Kirche und das priesterliche Hirtentum. Die Bischöfe wurden durch die Domkapitel gewählt. Im Gegenzug räumte der Papst ein, dass die Wahl der deutschen Bischöfe und Äbte in Gegenwart kaiserlicher Abgeordneter verhandelt wird. Der Gewählte wurde darauf mit den Hoheitsrechten, die mit seinem geistlichen Amt verbunden waren, vom Kaiser belehnt.
Trotzdem unterlag die Wahl eines Bischofs im Laufe des Mittelalters und bis hinein in die Neuzeit weiterhin äußeren Einflüssen. Insbesondere der frühmoderne Staat hatte ein starkes Interesse an den Besetzungen der Bischofsstühle. Das Motiv lieferte die Vorstellung, dass die Obrigkeit für das Seelenheil der Untertanen zuständig ist. In der landesherrlichen Kirchenhoheit, also der staatlichen Steuerung und Überwachung des geistlichen Lebens, fand diese Tendenz im 15. Jahrhundert und noch einmal während der katholischen Gegenreformation im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt. In Süddeutschland versuchten die Wittelsbacher und die Habsburger über Wahlkommissare Personalentscheidungen im eigenen Sinn herbeizuführen.
Napoleon diktiert die Bedingungen
Einen schweren Stand hatte die katholische Kirche im Frankreich des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Französische Revolution bekämpfte die Kirche mit allen Mitteln: Ihre Vertreter wurden ermordet oder ins Exil getrieben, Kirchengüter enteignet und verstaatlicht. Ein neuer Kalender strukturierte fortan das Jahr, kirchliche Feiertage spielten keine Rolle mehr. Der Katholizismus sollte auf das öffentliche und private Leben keinen Einfluss mehr haben. Napoleon war es schließlich, der Gesprächsbereitschaft signalisierte: Seit Ende 1799 Erster Konsul der Französischen Republik, wollte er den geistlich-weltlichen Kampf mit der Kirche beenden – in seinem Sinne.
Ein Pakt mit dem französischen Staatsoberhaupt war in kirchenstaatlichen Kreisen höchst umstritten. Dennoch hoffte Papst Pius VII., dass sich dadurch das belastete Verhältnis mit Frankreich verbessert. Seinem Gesandten, Kardinal Ercole Consalvi, soll der Papst als Auftrag mitgegeben haben: "Bis vor die Pforten der Hölle wollen wir uns vorwagen – aber dann wollen wir haltmachen". 1801 unterzeichneten die beiden Parteien das Konkordat. Consalvi hatte einen Kompromiss aushandeln können: Der Papst fand sich mit Entlassung aller Französischen Bischöfe durch Napoleon ab, der Staat erhielt ein Mitspracherrecht bei der Neubesetzung der Stühle. Dadurch konnte Napoleon sie mit Vertrauensmännern besetzten. Im Gegenzug wurde der Katholizismus wieder zugelassen – allerdings nicht mehr als Staatsreligion, sondern "als Religion der Mehrheit der Franzosen". Die Kirche wurde finanziell abgesichert, Bischöfe erhielten ihre Gehälter vom Staat.
1905 beschloss Frankreich mit dem Laizismusgesetz eine strenge Trennung von Staat und Kirche. Somit war das Konkordat von 1801 obsolet. Doch es gibt zwei Regionen, in denen das Konkordat nach wie vor gültig ist: im Elsass und im Departement Mosel. Die beiden gehörten damals zum Deutschen Reich. Daher werden dort Geistliche vom Staat bezahlt, an öffentlichen Schulen gibt es katholischen Religionsunterricht.
Jener Napoleon sorgte indirekt auch dafür, dass sich die Kirche in deutschen Landen neu orientieren musste: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation löste sich auf, 1803 wurden mit dem Reichsdeputationshauptschluss kirchliche Territorien weltlichen Fürstentümern einverleibt. Das jahrhundertelange Reichskirchensystem gab es nicht mehr. Kirchliche beziehungsweise diözesane Angelegenheiten mussten neu verhandelt werden.
Der König ernennt – der Papst setzt ein
Ein Beispiel dafür ist das Konkordat zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl von 1817. Dieses sah ein königliches Recht vor, Kandidaten zu nominieren. Der Papst gestand dies dem Monarchen durch ein Indult, einen Gnadenerweis, zu. Dieses Recht erhielten im 19.Jahrhundert nur die Wittelsbacher. Mit der Benennung eines Kandidaten an den Papst und der Übersendung des königlichen Ernennungsdekrets war die Besetzung eines Bischofstuhls allerdings nicht abgeschlossen. Der königlichen "Nominatio" musste die päpstliche "Institutio" folgen. Erst mit der Einsetzung durch den Papst, gegebenenfalls der Bischofsweihe und der Besitzergreifung wurde das bischöfliche Amt wirklich übertragen.
Als das deutsche Kaiserreich nach dem Ersten Weltkrieg samt seiner inhärenten Königreiche unterging, machte das neue Verhandlungen nötig. In den 1920er Jahren handelte der Vatikan Konkordate mit Bayern, Baden und Preußen aus. Ein Konkordat mit der Weimarer Reichsregierung kam wegen positioneller Differenzen nicht zustande. Bald nach ihrer Machtübernahme starteten die Nationalsozialisten eine neue Initiative. Im Juli 1933 wurde das sogenannte Reichskonkordat schließlich von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli – dem späteren Papst Pius XII. – und dem deutschen Vizekanzler Franz von Papen unterzeichnet.
Der Vertrag gestattete der Kirche das Recht zur freien Besetzung ihrer Ämter, doch der Staat konnte ein Veto aufgrund politischer Bedenken gegen neu ernannte Bischöfe einlegen. Gleichzeitig wurden die Bischöfe zu einem Treueeid auf die staatliche Ordnung verpflichtet. Diese Regelungen gelten in Deutschland noch heute. In ähnlicher Form gibt es sie auch in Österreich.