Ist das Gemeindeleben im Bistum Trier vom Aussterben bedroht?
"Stirbt das Ehrenamt vor Ort, ist die Kirche auch bald fort", steht auf einem Plakat, "Pfarrei klein = lebendig, groß = tot" auf einem anderen. Akustisch untermauert wird die Demonstration vor dem Trierer Dom von den traditionellen Klapperkästen aus Holz, die Messdiener sonst in der Karwoche benutzen: Dass Gläubige auf die Straße gehen und lautstark gegen ein Vorhaben ihres Bistums demonstrieren, ist in der katholischen Kirche eher eine Seltenheit. Doch in Trier kochen die Emotionen hoch: Grund ist die anstehende Strukturreform, mit der sich das Bistum fit machen will für die Zukunft.
Die Eckdaten klingen drastisch: Anstelle der bisher 887 Pfarreien soll es ab dem 1. Januar 2020 nur noch 35 Großpfarreien geben. Die Stadt Saarbrücken beispielsweise wäre dann nur noch eine einzige Pfarrei – mit knapp 100.000 Mitgliedern die bisher größte in ganz Deutschland. Bei so manchem Gläubigen verursachen die anstehenden historischen Umwälzungen nicht nur Bauchgrummeln, sondern auch Ärger. Gegen die Reform hat sich eine Initiative "Kirchengemeinde vor Ort" gegründet. Nach Angaben ihres Sprechers Harald Cronauer haben sich inzwischen über 250 Pfarreien angeschlossen – also mehr als ein Viertel der Pfarreien im Bistum.
"Das Gemeindeleben vor Ort wird aussterben"
Dass es ausgerechnet in der Diözese Trier solche Widerstände gegen die anstehende Strukturreform gibt, wirkt von außen betrachtet erst einmal überraschend. Schließlich stehen ähnliche Vorhaben derzeit in allen deutschen Diözesen an – von ähnlich lautstarken Protesten war bisher aber kaum zu hören. Zudem hatte der Trierer Bischof Stephan Ackermann als einziger deutscher Bischof eine mehrjährige Synode eingesetzt, durch die Menschen aus verschiedenen Gruppen und Gremien des Bistums über die Zukunft mitentscheiden konnten. Zu Beginn diese Synode im Jahr 2013 hatte sich Ackermann außerdem dazu verpflichtet, die Beschlüsse als bindend zu akzeptieren. "Das ist nach den Maßstäben der katholischen Kirche eine maximal transparente Vorgehensweise, mit einem maximalen Maß an Beteiligung", findet der Pastoraltheologe Matthias Sellmann. Ackermann habe die Spielräume des Kirchenrechts zur Partizipation der Gläubigen voll ausgenutzt und durch seine Selbstverpflichtung sogar übererfüllt – normalerweise könne der Bischof allein über die Geschicke seines Bistums entscheiden.
Warum sind jetzt, zwei Jahre nach Ende der Synode, dennoch so viele Gläubige unzufrieden? Harald Cronauer, Sprecher der Protest-Initiative "Kirchengemeinde vor Ort", ist die Wut schon durch das Telefon hindurch deutlich anzumerken. Es ist die Art, wie die Synodenergebnisse nun umgesetzt werden, die ihn stört. "Das Gemeindeleben vor Ort wird im Bistum Trier praktisch aussterben", glaubt Cronauer. Für viele Ehrenamtliche, die sich jetzt in einer der bisherigen Pfarreien engagierten, sei die Situation extrem "demotivierend". Durch das radikale Zusammenstreichen auf nur 35 neue Pfarreien fühlten sie sich "abgewatscht". "Die Botschaft ist doch 'Ihr seid überflüssig, wir brauchen euch nicht mehr'", schimpft Cronauer. Er prognostiziert: Wird die Reform so durchgezogen, dann bricht ein Großteil des ehrenamtlichen Engagements weg, weil die Menschen sich frustriert zurückziehen.
Inzwischen ist die Bistumsreform auch über die Kirchengrenzen hinaus ein Thema: Kommunalpolitiker schalten sich ein und führen Gespräche mit Gläubigen und Bistumsleitung, sogar ein Gespräch zwischen dem saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) und Bischof Stephan Ackermann soll es geben.
Die Liste der Kritikpunkte ist lang: Ein Knackpunkt ist die Angst vor einem zu starken Zentralismus. Künftig seien alle wichtigen Strukturen und Gremien weit weg auf Ebene der Großpfarrei angesiedelt, klagt Cronauer, der sich selbst seit Jahrzehnten im Pfarrgemeinderat und anderen Gremien engagiert. "Es darf aber nicht in Saarbrücken entschieden werden, ob das Dorf-Gemeindehaus im Umland geschlossen wird oder nicht", fordert er. Außerdem sind aus seiner Sicht die bisherigen Angaben des Bistums zur konkreten Umsetzung der Synodenergebnisse zu schwammig, die Kommunikation unglücklich, der Zeitplan bis zum 1. Januar 2020 zu straff. Für den Fall, dass das Bistum weiter an seinem Plan festhält, will die Initiative vor Verwaltungsgerichten gegen die Auflösung der Pfarreien klagen. Diese seien schließlich Körperschaften öffentlichen Rechts – also gehe ihre Veränderung auch den Staat etwas an.
Heckmann: Keine Alternative zu Großpfarreien
Christian Heckmann kennt diese Drohung und die einzelnen Argumente der Initiative "Kirchengemeinde vor Ort" gut. Aus der Ruhe bringen sie ihn nicht. Im Gegenteil: Den Leiter des Synodenbüros des Bistums Trier hätte es überrascht, wäre eine so tiefgehende Reform ohne Widerstände über die Bühne gegangen. "Die Veränderungen sind einschneidend. Wir schaffen jetzt die Pfarreistrukturen ab, die das Bistum seit über 200 Jahren geprägt haben. Damit nehmen wir vielen Gläubigen ein Stück Heimat", weiß auch er. Dennoch sieht Heckmann keine Alternative. "Die kirchliche Praxis der vergangenen Jahrzehnte passt einfach nicht mehr auf die Wirklichkeit." Die sehe nun mal so aus, dass es vielerorts schwierig sei, die Gremienstrukturen aufrecht und lebendig zu halten, die eine Pfarrei braucht; dass kaum noch junge Leute in den jetzigen Strukturen mitwirkten und dass sich perspektivisch auch der Priestermangel immer stärker bemerkbar mache.
Deswegen würden die klein-räumlichen Pfarreistrukturen immer mehr zu einem Ballast. "Für die Zukunft brauchen wir eine neue Pastoral: Andere und vielfältigere Formen als nur die Gemeinde, um den Menschen als Kirche noch nah zu sein", ist Heckmann überzeugt. Unterhalb der Ebene der 35 Großpfarreien soll es im Bistum Trier daher kaum noch territoriale Strukturen, sondern verstärkt vielfältige "Orte von Kirche" – so der Arbeitstitel – geben: Das heißt, dass Seelsorger und Gläubige sich nicht mehr nur rund um den Kirchturm begegnen werden, sondern vermehrt etwa in Gebetskreisen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Brennpunkten, so die Vision. Heckmann erklärt das so: "Das kirchliche Leben vor Ort bleibt – nur die Form ändert sich. Wir wollen als Kirche hinein in die Gesellschaft, die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, aber auch Hoffnungen da abholen, wo sie sind."
An all diesen Orten erhofft sich Heckmann viel ehrenamtliches Engagement – punktuell und projektgebunden, wie es sich laut Studien viele Menschen heutzutage wünschten. Und natürlich gehörten dazu die Traditionen und Angebote, die den Menschen in ihren Dörfern wichtig sind und die sie lebendig halten. Auch Gottesdienste als Herzstück der Feier des Glaubens solle es so weit wie möglich weiterhin regelmäßig auch in der Fläche geben.
Recht gibt Heckmann der Initiative allerdings in dem Kritikpunkt, dass das Bistum die Kommunikation der Reform noch verbessern muss. "Wir müssen jetzt informieren, informieren, informieren; erklären, erklären, erklären", sagt Heckmann selbstkritisch. "Es muss klarer werden, wie die Großpfarreien genau aussehen sollen, welche Formen von Verantwortlichkeit es dort geben wird. Außerdem müssen wir uns fragen, wie wir die Menschen motivieren, ihre Energien weiter einzubringen". Der enge Zeitplan stehe zwar, aber der 1. Januar 2020 sei kein End- sondern eher ein Startpunkt: "Dann ist die strukturelle Veränderung soweit abgeschlossen, und die inhaltliche Entwicklung der neuen Pfarreien und Kirchorte kann dann erst richtig losgehen."
Trierer Katholikenrat unterstützt Weg des Bistums
Der Trierer Katholikenrat als Laienvertretung trägt den eingeschlagenen Weg des Bistums mit. "Uns war schon zu Beginn der Synode klar: Wenn wir so weitermachen, dann fahren wir in zehn Jahren mit 'Vollkaracho' gegen die Wand", sagt der Vorsitzende Manfred Thesing. Auch damit, wie das Bistum seit dem Ende der Synode agiert, ist der Katholikenrat einverstanden – die pauschale Kritik der Initiative "Kirchengemeinde vor Ort" teilt er nicht.
Gleichzeitig kennt auch Thesing das Gefühl: Es fällt schwer, das Alte, Vertraute aufzugeben und "auf die Chancen des Neuen zu vertrauen". Im Konflikt zwischen Bistum und Protestinitiative prallen seiner Ansicht nach verschiedene Meinungen aufeinander, auf welche Art und Weise die notwendige Reform umgesetzt werden soll.
Dass es dazu unterschiedliche Wege gibt, sagt auch Pastoraltheologe Sellmann. So gebe es in Deutschland auch Diözesen, die zwar die Pfarreien zu größeren organisatorischen Einheiten zusammenschlössen, auf der Ebene darunter aber weniger die thematisch geordneten Kirchorte betonten, sondern eher an territorialen Strukturen ähnlich der früheren Gemeinden festhielten. An tiefgreifenden Veränderungen, so Sellmann, komme jedoch kein Bistum vorbei. "Und das können rationale Schritte sein, die am Ende aber alle emotional überfordern: Gläubige vor Ort und auch die Verantwortlichen in den einzelnen Ämtern." Möglicherweise war die Demonstration Mitte Oktober in Trier also nicht die letzte vor einem deutschen Gotteshaus.