Jetzt offiziell: Kardinal Pell wegen Missbrauchs verurteilt
Der ehemalige Finanzchef des Vatikans, der australische Kardinal George Pell, ist wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gesprochen worden. Der 77-Jährige wurde von einem Gericht in Melbourne für schuldig befunden, sich als damaliger Erzbischof der Metropole an zwei 13-jährigen Jungen vergangen zu haben. Am Mittwoch dieser Woche wird das Gericht die Beratungen über die Länge der Gefängnisstrafe für Pell aufnehmen. Pell muss dafür persönlich erscheinen. Die Entscheidung wird für die kommende Woche erwartet. Dem Kardinal drohen insgesamt bis zu 50 Jahre Haft.
Die Entscheidung der Jury gegen den Kardinal fiel bereits am 11. Dezember einstimmig, wurde bislang aber aufgrund einer gerichtlichen Anordnung unter Verschluss gehalten. Am Dienstag hob die Justiz diese Nachrichtensperre offiziell auf. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet, in einem weiteren Prozess andere Vorwürfe zu verfolgen, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen.
Opfer: Ich bin kein Sprecher zum Thema sexueller Missbrauch
Gegen Pell gibt es bereits seit Jahren verschiedene Missbrauchsvorwürfe. Die Fälle, wegen denen er nun verurteilt wurde, reichen bis in die Jahre 1996/97 zurück. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er seinerzeit nach einem Sonntagsgottesdienst in der Kathedrale der australischen Stadt einen 13-jährigen Jungen zum Oral-Sex zwang und einen anderen ebenfalls sexuell belästigte. Einige Monate später bedrängte er demnach eines der beiden Kinder dann erneut.
Die Jungen waren damals Schüler des renommierten St. Kevin's College in Melbourne. Einer der beiden starb 2014 an einer Überdosis Heroin. Der andere ging nach vielen Jahren des Schweigens schließlich 2015 zur Polizei und sagte nun auch im Prozess aus. In einer emotionalen Erklärung bat der Mann die Medien um Achtung seiner Privatsphäre. Er wolle keine Interviews geben, er wolle seine junge Familie und seine Eltern schützen. "Ich bin kein Sprecher zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern. Es gibt viele andere Opfer und Aktivisten, die diese Rolle mutig ausfüllen", hieß es in der in australischen Medien im Wortlaut veröffentlichten Erklärung.
Damit ist Pell nun der höchstrangige Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der jemals wegen Kindesmissbrauchs angeklagt und verurteilt wird. Als Leiter des vatikanischen Wirtschaftssekretariats war der Australier hinter Papst Franziskus und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin de facto die Nummer drei des Vatikans. Wegen der Vorwürfe hatte er sich im Sommer 2017 aber beurlauben lassen. Seither lebt er wieder in seiner Heimat Australien. Im vergangenen Dezember - kurz nach dem Schuldspruch gegen Pell - entließ ihn Franziskus auch aus seinem engsten Beratergremium, dem sogenannten K9-Rat. Man sei dem Wunsch auf Entpflichtung bereits Ende Oktober aus Altersgründen nachgekommen, hieß es offiziell seitens des Vatikan.
Kardinal Pell bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe von Anfang an energisch. Zu Beginn des Hauptverfahrens im August 2018 plädierte er auf "nicht schuldig" und demonstrierte vor Prozessbeginn öffentlich Gelassenheit. Zuvor hatte Pell noch gut gelaunt in Sydney an der Verlobungsparty der Tochter des Kanzlers der katholischen Erzdiözese teilgenommen. Über seine Anwälte wies er nun nochmals alle Vorwürfe zurück. Die Verteidigung hat außerdem bereits Berufung eingelegt. Sein Anwalt Paul Galbally erklärte: "Kardinal Pell hat immer seine Unschuld beteuert. Das macht er auch weiterhin." Darüber hinaus werde sein Mandat keine weiteren Erklärungen abgeben. Pell hatte die Entscheidung im Dezember verschiedenen Medienberichten zufolge ohne sichtliche Regung zur Kenntnis genommen. Selbst dazu geäußert hat er sich nie. Gegen Kaution ist Pell weiterhin auf freiem Fuß.
Australische Kirchenvertreter "geschockt"
Australische Kirchenführer reagierten mit "Schock" und "Überraschung" auf den Schuldspruch. "Die Nachricht der Verurteilung von Kardinal George Pell wegen historischer Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat viele in Australien und in aller Welt, einschließlich der katholischen Bischöfe von Australien, schockiert", erklärte Erzbischof Mark Coleridge, Vorsitzender der Bischofskonferenz, auf deren Webseite. Die Bischöfe stünden zum Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz und respektierten das australische Rechtssystem. "Das gleiche System, auf dessen Grundlage das Urteil gefällt wurde, wird die Berufung prüfen, die das Anwaltsteams des Kardinals eingelegt hat", fügte Erzbischof Coleridge hinzu.
Ähnlich äußerte sich der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, zur Verurteilung seines Vorvorgängers. "Es ist jetzt wichtig, dass wir mit Respekt vor den laufenden juristischen Verfahren das Ergebnis der Berufung abwarten", betonte der Erzbischof. Sowohl Coleridge als auch Comensoli versicherten alles zu tun, dass die Kirche ein "sicherer Ort" für Kinder ist.
Die katholische Kirche steht wegen Missbrauchsvorwürfen in zahlreichen Ländern unter Druck. Zum Abschluss eines Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan hatte Papst Franziskus am Sonntag versprochen, dass solche Fälle nicht länger vertuscht werden. Konkrete Schritte, wie das erreicht werden soll, nannte er nicht. (bod/dpa/KNA)
26.02.2019, 10.00 Uhr: ergänzt um Stimmen aus der Kirche