Informationen aus dem Pell-Prozess mit Nachrichtensperre

Missbrauch: Kardinal Pell verurteilt – und die Medien schweigen

Veröffentlicht am 13.12.2018 um 17:50 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ein Gericht in Melbourne hat den australischen Kurienkardinal George Pell wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gesprochen. Dies geschah bereits am Dienstag, aber berichtet wurde darüber kaum. Das ist der Grund dafür.

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Seit mehr als einem halben Jahr steht der bislang ranghöchste katholische Geistliche wegen Missbrauchs vor einem weltlichen Gericht. Aber über die Gerichtsverhandlung gegen den australischen Kurienkardinal George Pell (77) erfährt die Welt bislang fast nichts. Eine gerichtliche Anordnung verbietet eine detaillierte Berichterstattung. Nun, nachdem die Geschworenen zu einem Urteil gelangt sind, sickern erste Informationen durch: Nach Angaben der italienischen Webseite "Vatican Insider" wurde Pell am Dienstag in fünf Anklagepunkten für schuldig erklärt.

Viermal handele es sich um "obszöne Handlungen in der Öffentlichkeit", einmal um "Gewalt" gegen einen Minderjährigen in den 1990er Jahren. Das Strafmaß soll am 4. Februar verkündet werden, so "Vatican Insider", die sich auf "Quellen aus Melbourne" berufen, wo Pell bis 2001 Erzbischof war.

Das erste von zwei Verfahren ist beendet

Im Mai begann die Hauptverhandlung gegen Pell. Er ist Chef des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, für die Dauer der Verfahren ist er aber seit Juni 2017 von seinen Pflichten freigestellt. Die Vorwürfe gegen ihn stammen aus zwei unterschiedlichen Zeiträumen, den 1970er Jahren und den 1990er Jahren. Deshalb habe sich Richterin Sue Pullen für zwei getrennte Verfahren entschieden. Im März 2019 beginnt das zweite Verfahren, das sich auf die Vorfälle aus den 70er-Jahren bezieht.

Durch eine Nachrichtensperre soll eine äußere Beeinflussung des County Court of Victoria beziehungsweise der Jury durch Medienberichte vermieden werden. Die "Suppression Order" richtet sich an sämtliche Agenturen und Medienhäuser, die Nachrichten verbreiten, die in Australien abrufbar oder physisch erhältlich sind. Im Falle einer Missachtung der Anweisung können Journalisten laut "Vatican Insider" auch strafrechtlich verfolgt werden. Die Anordnung verhindere zwar, dass Details über das Verfahren zirkulierten, aber nicht, dass sich die Nachricht einer Verurteilung des Kardinals verbreitete, schreibt der Vatikanist Salvatore Cernuzio.

Linktipp: Der Fall Pell - Kardinal unter Missbrauchsverdacht

Der australische Kardinal George Pell ist als Präfekt des vatikanischen Wirtschaftsrats einer der wichtigsten Mitarbeiter des Papstes. Doch nun überschatten Vorwürfe aus seiner Heimat sein Wirken: Er soll Missbräuche vertuscht haben und sogar selbst übergriffig geworden sein.

Nichtregierungsorganisationen wie "Reporter ohne Grenzen" kritisiert die Praxis australischer Gerichte, immer wieder Nachrichtensperren zu verhängen, um Berichte über bestimmte Themen zu verhindern. Bekannte Fälle der "Supression Order" sind etwa die Sperren bei Verstößen der Regierung gegen die internationale Flüchtlingskonvention oder der über Wikileaks ans Tageslicht gekommene Korruptionsskandal, in den 17 hochrangige asiatische Politiker verwickelt waren. Nach Angaben des Melbourner Medienrechtlers Jason Bosland haben Gerichte im Bundesstaat Victoria zwischen 2008 und 2013 rund 200 Berichtsverbote pro Jahr verhängt – oft mit unklarer Begründung und für unbegrenzte Zeit. In diesem bevölkerungsdichtesten Staat des Kontinents finden auch die Prozesse gegen Kardinal Pell statt.

Am Mittwoch gab der Vatikan bekannt, dass der Papst Pell – und zwei weitere Kardinäle – bereits im Oktober aus seinem K9-Rat zur Kurienreform entpflichtet hat. Vordergründig wurde den anwesenden Reportern das hohe Alter der drei Purpurträger als Grund genannt. Vatikansprecher Greg Burke sagte mit Blick auf die Details der Entpflichtungen aber auch, dass der Heilige Stuhl "größten Respekt vor den australischen Gerichten" habe. "Wir wissen, dass es eine 'Supression Order' gibt, und wir respektieren diese Anordnung," so Burke weiter.

Jury befindet Pell einstimmig für schuldig

Die Anklagepunkte gegen Pell sind offiziell unbekannt. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass es um zwei Fälle geht: Vor rund 40 Jahren soll Pell als Priester in Ballarat mehrere männliche Jugendliche in einem Schwimmbad sexuell belästigt haben. Der zweite Vorwurf lautet, er habe 1996 als Erzbischof in der Sakristei der Kathedrale von Melbourne zwei Chorknaben zu Oralsex gezwungen.

Ein mit Pflastern zugeklebter Kindermund.
Bild: ©picture alliance / blickwinkel

In Australien können schwere Fälle von sexuellen Übergriffen gegen Kinder und Jugendliche mit bis zu 25 Jahre Haft bestraft werden.

Die Fälle der beiden ehemaligen Chorsänger wurden getrennt verhandelt. Nach Angaben der US-Webseite "Crux" endete das erste Verfahren im September nachdem die Jury sich nicht einigen konnte. Bei dem am 9. November begonnenen und am 11. Dezember abgeschlossenen zweiten Verfahren haben laut "Crux" ehemalige Chorknaben, ein Zeremonienmeister und ein Organist ausgesagt. Lange seien die Fragen behandelt worden, ob Pell die Möglichkeit hatte, mit den Sängern allein zu sein und ob es ihm möglich war, die ihm vorgeworfenen Handlungen auszuführen während er Messgewänder trug. Im Anschluss habe sich die Jury fast vier Tage lang beraten und Pell am Dienstag einstimmig für schuldig befunden.

Pell war zunächst Priester im Bistum Ballarat bei Melbourne und dann von 1996 bis 2001 Erzbischof von Melbourne. Von 2001 bis zu seiner Berufung als Finanzminister in den Vatikan im Jahr 2014 leitete er das Erzbistum Sydney. Der Kardinal wies die Vorwürfe bisher zurück und erklärte sich im April für nicht schuldig. Zuvor waren mehrere Anklagepunkte zurückgezogen worden, weil einer der Zeugen aus "medizinischen Gründen" nicht aussagen konnte; eine andere Klagewurde nach dem Krebstod eines Hauptzeugen im Januar zurückgezogen. Bereits 2008 war ihm vorgeworfen worden, Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Pell richtete daraufhin eine Untersuchungskommission ein.

Der 77 Jahre alte Kardinal ist auf Kaution frei und soll sich in den kommenden Tagen in Sydney einer Knieoperation unterziehen. Pells Anwälte haben nach Angaben von "Vatican Insider" noch keine Berufung eingereicht – das geht erst, nachdem das Strafmaß bekannt ist. Am 4. Februar werden die Anwälte demnach dem Richter ihre Einwände und "nützliche Informationen" präsentieren bevor dieser dann das Strafmaß spricht. In Australien gibt es keine Verjährungsfristen bei sexuellen Übergriffen gegen Kinder und Jugendliche und die Strafen sind hoch: Schwere Fälle können mit bis zu 25 Jahre Haft bestraft werden.  

Von Agathe Lukassek