Johannes Paul II. setzt ein Zeichen
Eigentlich ein Katzensprung, aber die Hindernisse, die dem Besuch eines katholischen Kirchenoberhaupts im Weg standen, schienen lange unüberbrückbar. Zu den Klängen des Halleluja schritten die beiden Kirchenmänner durch die Synagoge und nahmen unter minutenlangem Applaus auf der Empore vor dem verschlossenen Schrein mit den Schriftrollen, der Thora, Platz. Ein nachdenklicher Moment in dem Tempelrund, denn schließlich war es im Jahr 1555 Papst Paul IV. gewesen, der die Errichtung des Ghettos angeordnet hatte, auf dessen Boden sich der polnische Pontifex nun befand. Bis zur Einigung Italiens 1870 lebten die Juden der Stadt hier eingepfercht auf wenigen Hektar Land. "Es war sicher seine längste Reise", würdigte die französische Zeitung "Liberation" diesen "wirklich außergewöhnlichen Papst".
In seiner Rede erkannte Johannes Paul II. die Diskriminierungen und das zugefügte Leid an und bezeichnete die Juden mit Hinweis auf die gemeinsamen Wurzeln im Alten Testament als "Lieblingsbrüder". Er verurteilte die Judenverfolgungen und "alle Ausdrucksformen des Antisemitismus gegen Juden in allen Zeiten und von welcher Seite auch immer - ich wiederhole: von welcher Seite auch immer". Die 1000 Gäste bei der Zeremonie waren tief beeindruckt. "Für den Vatikan war das ein Meilenstein", sagt der Chef der deutschen Redaktion von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord.
Der Weg war jedoch zwei Jahrzehnte zuvor von einem anderen geebnet worden - dem beliebten Johannes XXIII. Er war es, der die Revision der Kirchenhaltung gegenüber den zuvor als "Christusmördern" und "ungläubig" geschmähten Juden eingeleitet hatte. Sie kulminierte in der Erklärung "Nostra Aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65): Erstmals erkannte der Vatikan hier die Pluralität der Religionen als Teil des göttlichen Heilsplans an und machte so einen Dialog mit den Juden erst möglich.
Zunächst verwirrt und dann begeistert
"Die Katholische Kirche musste sich selbst erst einmal darüber klar werden, was sie unter 'Dialog' eigentlich versteht und wie sie andere Religionen einschätzt", erklärt Hagenkord. Diese wie auch viele weitere Fragen seien beim Konzil geklärt worden, "und dort hat auch der Dialog mit dem Judentum begonnen". In dem Konzilsdokument heißt es weiter: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen." Johannes XXIII. war auch der bis dahin einzige Papst, der an einem Samstag sein Auto vor der Synagoge anhalten ließ, um die Menschen, die gerade das Gotteshaus verließen, zu segnen. Die waren zunächst verwirrt - und dann begeistert von dieser überraschenden Geste der Versöhnung. Ein Besuch des Gotteshauses sollte Johannes XXIII. jedoch nicht mehr gelingen.
Aber auch Johannes Paul II. konnte den Juden in der Synagoge ihren großen Herzenswunsch noch nicht erfüllen: die diplomatische Anerkennung des Staates Israel. Auf die Äußerung von Gemeindevorsteher Giacomo Saban und Rabbiner Toaff, der Vatikan könne eine solche Anerkennung nicht länger verweigern, ging der Papst gar nicht ein.
Es sollte noch weitere sieben Jahre dauern, bis am 30. Dezember 1993 ein Grundlagenvertrag unterzeichnet wurde, mit dem der Vatikan als letzter europäischer Staat diplomatische Beziehungen zum Staat Israel aufnahm. Ohne diesen Vertrag wäre die historische Reise Johannes Pauls nach Israel im Jahr 2000 wohl kaum möglich gewesen.
Auch seine Nachfolger Benedikt XVI. und Franziskus besuchten nicht nur Israel, sondern auch die Synagoge: Joseph Ratzinger ging am 17. Januar 2010 über die Schwelle, Jorge Mario Bergoglio genau sechs Jahre später. In den Beziehungen ist eine gewisse Normalität eingekehrt, die beiden Religionen haben sich angenähert. Hagenkord sagt: "Der wechselseitige Respekt ist gewachsen. Seit Jahren lebt man nun friedlich beieinander und das auch dank dieses ersten Besuches eines Papstes in der Synagoge."