Wie der Papst öffentlich seinen Kardinal korrigiert

Kardinal Sarah im Abseits

Veröffentlicht am 23.10.2017 um 14:05 Uhr – Lesedauer: 
Vatikan

Bonn ‐ Kardinal Robert Sarah ist der oberste Hüter der Liturgie im Vatikan. Doch auch er steht unter dem Papst. Das ließ ihn Franziskus jetzt spüren - öffentlich. Und das war nicht die erste Zurechtweisung.

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Es war ein beispielloser Vorgang in der jüngsten Kirchengeschichte: Papst Franziskus korrigiert öffentlich Kurienkardinal Robert Sarah, einen seiner leitenden Mitarbeiter. Der Vatikan verbreitete am Sonntag seinen Brief an den Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, in dem der Papst dessen Interpretation seines jüngsten Erlasses zur Übersetzung liturgischer Texte widerspricht. Damit wies der Papst seinen neben dem US-amerikanischen Kardinal Raymond Leo Burke prominentesten und schärfsten Kritiker im Kardinalskollegium zurecht.

Anlass des Konflikts ist der Erlass "Magnum principium". Damit hatte der Papst den nationalen Bischofskonferenzen im September umfassendere Kompetenzen bei der Übersetzung des Messbuchs und anderer liturgischer Texte in die jeweilige Landessprache zugestanden. Der Vatikan greift demnach künftig nicht mehr direkt in den Übersetzungsprozess ein und besteht nicht weiter um jeden Preis auf einer wortgetreuen Übersetzung. Priorität soll nun die Verständlichkeit der Übersetzung haben. Statt einer "recognitio", also Musterung, durch die Gottesdienst-Kongregation reicht jetzt eine "confirmatio", eine Bestätigung. So konnte man es einer Lesehilfe entnehmen, die der Vatikan gleichzeitig veröffentlichte. Autor war nicht Sarah, sondern der Sekretär von dessen Kongregation, der britische Kurienerzbischof Arthur Roche.

Sarah pocht auf "Liturgiam authenticam"

Sarah selbst meldete sich Mitte Oktober in der Frankreich erscheinenden katholischen Zeitschrift "L'homme noveau" mit einem eigenen Kommentar zu Wort. Dessen Tenor lautete allerdings ganz anders: Es bleibt alles beim Alten – zumindest fast. "Recognitio" und "confirmatio" seien "eng beieinanderliegende Synonyme", heißt es darin. Oberste Richtschnur ist demnach weiterhin die wortgetreue Wiedergabe des lateinischen Textes, wie es der Erlass "Liturgiam authenticam" von 2001 vorschreibt. Die neuen Kompetenzen der Bischofskonferenzen sind laut Sarah minimal. Seine Interpretation wurde über katholische Blogs und Internetportale verbreitet.

Der ehemalige Kurienkardinal Raymond Leo Burke und Kardinal Robert Sarah gehören zu den prominentesten und deutlichsten Kritikern von Papst Franziskus.
Bild: ©picture alliance/AP Photo

Der ehemalige Kurienkardinal Raymond Leo Burke und Kardinal Robert Sarah gehören zu den prominentesten und deutlichsten Kritikern von Papst Franziskus.

Der Kardinal aus dem westafrikanischen Guinea gilt schon seit längerem als schärfster Kritiker des Papstes neben Kardinal Burke. Im Umfeld der beiden Bischofssynoden zu Ehe und Familie und der Debatte über "Amoris laetitia" war er einer der Wortführer des konservativen Flügels. Den vier Kardinälen, die in einem gemeinsamen Brief 2016 Zweifel an "Amoris laetitia" anmeldeten, schloss er sich gleichwohl nicht an. Seit November 2014 steht Sarah der Gottesdienst-Kongregation vor. Zuvor leitete er bis zu dessen Auflösung den Päpstlichen Rat "Cor Unum", der die humanitäre Hilfe des Vatikan koordinierte. Sarahs Berufung zum obersten Verantwortlichen für liturgische Fragen nach dem Papst hatte damals Verwunderung ausgelöst, weil er kein ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet ist. In seiner Behörde ist Sarah nach Einschätzung von Beobachtern weitgehend isoliert, weil seine leitenden Mitarbeiter keine Sympathien für von ihm gewünschte Änderungen an der Liturgiereform hegten. Zudem ernannte Franziskus eine Reihe von Mitgliedern für die Kongregation, die als progressiv gelten, und verlängerte das Mandat einiger Sympathisanten des tridentinischen Ritus nicht, etwa das von Kardinal Burke. Nachdem Franziskus die Zulassung von Frauen zur Fußwaschung am Gründonnerstag 2016 in einem Erlass gestattete, fiel Sarah durch den Hinweis auf, dass heiße ja nicht, dass man Frauen nun die Füße waschen müsse. 

Franziskus macht klar, wer der Chef ist

In dem nun veröffentlichten Brief macht der Papst Sarah klar, wer hier Papst ist, und wer Kardinal, wenn auch im Ton durchaus höflich. Sarah selbst hatte Franziskus seinen Kommentar am 30. September zukommen lassen, wie aus dem päpstlichen Schreiben hervorgeht. Er erlaube sich, so Franziskus, "einige Anmerkungen" zu Sarahs Kommentar zu machen, "einfach und ich hoffe, klar". Man könne nicht sagen, dass "recognitio" und "confirmatio" "eng beieinanderliegende Synonyme" seien. Und sein neuer Erlass bedeute auch nicht, dass die Übersetzungen weiter "in allen Punkten" dem Erlass "Liturgiam authenticam" folgen müssten. Anders als früher, sei es nun Aufgabe der Bischofskonferenzen, die Treue der Übersetzungen zum lateinischen Original zu beurteilen, "wenn auch im Dialog mit dem Heiligen Stuhl". Gefordert sei nicht mehr eine "detaillierte Wort-für-Wort-Überprüfung", so der Papst. Die Bestätigung werde vom Vatikan im "Geist des Dialogs und der Hilfe" erteilt.

 Ausgenommen hiervon sind laut dem Brief nur "evidente Fälle", die den Bischöfen vom Vatikan zu einem "weiteren Nachdenken" vorgelegt würden. Das gelte insbesondere für die Eucharistischen Hochgebete und für die Texte zur Feier der Sakramente, die vom Papst gebilligt wurden.

Wer in solchen Zweifelsfällen künftig das letzte Wort hat, geht aus dem Schreiben von Franziskus nicht ganz eindeutig hervor. Die Passage könnte auf den Streit über die Widergabe des lateinischen "pro multis" im Eucharistischen Hochgebet anspielen. Im Deutschen und in den meisten anderen Landessprachen heißt es an dieser Stelle aus theologischen Gründen Jesus sei "für alle" gestorben. Benedikt XVI. hatte die deutschen Bischöfe 2012 ausdrücklich aufgefordert, in der neuen Übersetzung des Messbuchs die wörtliche Übersetzung zu verwenden. Die deutschen Bischöfe kamen dem jedoch ebenso wenig nach wie die Italienische und andere Bischofskonferenzen.

Linktipp: Papst bekräftigt Reform bei liturgischen Texten

Für die Übersetzung liturgischer Texte aus dem Lateinischen hatte Papst Franziskus kürzlich Spielraum geschaffen. Doch Konservative interpretierten es anders. Das wies der Papst jetzt öffentlich zurück.

Bereits im Sommer 2016 hatte das vatikanische Presseamt Sarah wohl auf Weisung des Papstes oder des Kardinalstaatsekretärs in einem ähnlich ungewöhnlichen Schritt öffentlich zu Recht gewiesen. Damals hatte er mit einigen Aussagen den Eindruck erweckt, als wolle Franziskus die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in einigen Punkten wieder rückgängig zu machen. Sarah hatte in einem Vortag Priester dazu ermuntert, im Advent probeweise die Messe mit dem Rücken zur Gemeinde zu feiern. Zudem berichtete er im selben Vortrag davon, der Papst habe ihn mit einer "Reform der Reform" beauftragt, also damit, die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in einem konservativen Sinne zu bearbeiten. Der Vatikan stellte daraufhin klar, dass das Messbuch von 1970 weiter vollständig gültig ist und dass es "besser" sei, den Ausdruck "Reform der Reform" nicht zu verwenden, weil er bisweilen Missverständnisse hervorrufe. Doch der Vatikan stellte sich damals noch entschuldigend vor Sarah und übte Medienschelte: Der Kardinal sei "schlecht interpretiert" worden.

So glimpflich wollte der Papst Sarah diesmal offenbar nicht davonkommen lassen. Das vatikanische Presseamt veröffentlichte den Brief von Franziskus zwar nicht als offizielle Pressemitteilung. Es versandte das Schreiben jedoch als "nützliche Information" im Wortlaut an alle beim Vatikan akkreditierten Journalisten. Das dürfte nicht ohne Wissen und Wunsch des Papstes passiert sein.

Extremfall: Entzug der Kardinalswürde

Derweil spekulieren manche Beobachter, wie weit der Konflikt zwischen dem Papst und Sarah noch eskalieren könnte.  Entlassen wollte Franziskus Sarah offenbar nicht. Denkbar wäre, dass der Papst wie im Fall von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, abwartet, bis Sarahs reguläre fünfjährige Amtszeit in zwei Jahren abgelaufen ist und diese dann nicht verlängert. Im Extremfall kann ein Papst laut Kirchenrecht unbotmäßigen Kardinälen sogar ihren Kardinalstitel wegnehmen. Zuletzt entzog Pius XI. 1927 dem französischen Kardinal Louis Billot seine Kardinalswürde. Der Dekan der Römischen Rota, Bischof, Vito Pinto, hatte an diese Möglichkeit im Dezember 2016 erinnert, in der Debatte um die vier Kardinäle, die Zweifel an "Amoris laetitia" geäußert hatten. Weil Pinto als kirchenrechtlicher Berater des Papstes gilt, war dies bisweilen als Drohung verstanden worden. Ob der Papst selbst je über eine solche Möglichkeit nachgedacht hat, ist nicht bekannt.

Doch Franziskus will Sarah ganz offensichtlich eine Brücke bauen und ihm noch eine Chance geben. Er stellt Sarah in seinem Brief nicht gänzlich bloß und öffnet ihm ein Hintertürchen, um sich halbwegs gesichtswahrend aus der Affäre zu ziehen. Nur so kann man wohl die erste Hälfte des letzten Satz in seinem Brief verstehen: "Schließlich, Eminenz, bekräftige ich meinen brüderlichen Dank für Ihre Bemühungen und stelle fest, dass die Note "Commentaire", die auf einigen Internetseiten publiziert wurde, fälschlicherweise Ihrer Person zugeschrieben wurde". Es folgt die Bitte, dafür zu sorgen, dass auch die päpstliche Antwort von besagten Internetportalen veröffentlicht werde. Unterzeichnet ist der Brief mit: "Brüderlichst, Franziskus".

Von Thomas Jansen