Kardinal Zen spricht von "unglaublichem Verrat"
Seit Jahren verhandeln der Vatikan und China über ein Abkommen. Ende März hieß es, ein Vertragsabschluss stehe unmittelbar bevor. Doch nichts passierte. Jetzt aber ist es so weit: Die historische Übereinkunft zwischen Papst und kommunistischer Führung, die seit Jahrzehnten Antagonisten sind und erst neuerdings eine Annäherung suchen, ist am Samstag in Peking unterzeichnet worden.
Francesco Sisci, ein italienischer Sinologe, der seit vielen Jahren in Peking lebt, meint: "Chinas Führung hat erkannt, dass der Heilige Stuhl eine globale 'Soft Power' ist, eine sogenannte weiche Macht - und dass China es sich als ambitionierte Großmacht nicht leisten kann, ihn zu ignorieren."
Im Kern geht es um die Frage, wer künftig die Bischöfe in China ernennt. Normalerweise beansprucht dieses Recht der Papst für sich. Das aber wollen die Kommunisten nicht, weil sie jeden Einfluss von außen ablehnen. So spielt sich die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit in China in engen Grenzen ab. Die Regeln stellt das staatliche Religionsamt auf; für die Katholiken ebenso wie für die anderen vier zugelassenen Religionen und Konfessionen: Protestantismus, Buddhismus, Taoismus und Islam.
Kritiker fürchten Ende der "Untergrundkirche"
Parallel zur offiziellen Kirche haben sich deshalb über die Jahrzehnte sogenannte Haus- und Untergrundgemeinden gebildet. Diese Spaltung zeigt sich auch beim Episkopat: Es gibt vom Papst ernannte Bischöfe und andere, die von Peking installiert wurden. Ein Großteil dieser für die Staatskirche tätigen Bischöfe wird auch vom Vatikan anerkannt; sieben von ihnen allerdings nicht; drei davon sind exkommuniziert. Um diese Bischöfe und um das Prozedere künftiger Bischofsernennungen wurde seit Monaten verhandelt.
Vehemente Kritiker des Deals fürchten, dass Peking den Vatikan über den Tisch gezogen haben und am Ende von der inoffiziellen, sogenannten Untergrundkirche Chinas, der rund die Hälfte der schätzungsweise 13 Millionen Katholiken angehören, nicht mehr viel übrig bleiben könnte.
Wortführer dieser Kritiker ist ausgerechnet ein Kardinal: Joseph Zen Ze-kiun, von 2002 bis 2009 Bischof von Hongkong. In China sei "alles Fake", sagt er. Es herrsche eine "Kultur der Lüge". Auch nach Rom sandte er in den vergangenen Monaten scharfe Töne. Von "Ausverkauf" 'war da die Rede, von "Unkenntnis", "Fehleinschätzungen", "Naivität". Tatsächlich geht die Entwicklung seit geraumer Zeit in Richtung stärkerer staatlicher Kontrollen. Das betrifft sowohl katholische als auch protestantische Gemeinden in vielen Regionen des Landes. Auch in der Hauptstadt Peking werden größere, nicht registrierte Gemeinden zerschlagen. Zuletzt traf es die Zion-Gemeinde.
Einschränkungen der Religionsfreiheit selbst in Hongkong
Zwar blieben kleinere Hauskirchen meist unbehelligt, berichtet ein Insider aus Peking. Zum Teil stellten die Gemeinden ihre Aktivitäten aber von sich aus ein. Zudem bestellte der chinesische Geheimdienst Kirchenvertreter zum Rapport ein; einen Priester, nachdem er einem Journalisten ein Interview gegeben hat; eine Oberin einer italienischen Ordensgemeinschaft. "Man will alles registrieren", so der Kirchenkenner.
Selbst im zu China gehörenden, aber eigentlich autonomen Hongkong wurde kürzlich ein Visum für einen Pastor, der eine ausländische Gemeinde betreuen sollte, nur erteilt, nachdem diese zugesagt hatte, keine religiöse Erziehung zu betreiben - was de facto eine Einschränkung der Religionsfreiheit bedeutet.
Immerhin: Der Zulauf zu den Kirchen in China, zu den offiziellen wie inoffiziellen, ist seit Jahrzehnten ungebrochen; es werden immer neue Kirchen gebaut. Die Religionen stillen das weit verbreitete Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität, auf das der Kommunismus keine Antwort hat. Das weiß auch die Führung in Peking - die deshalb eigentlich ein Interesse daran hat, Glaubensgemeinschaften zu fördern.
Linktipp: "Ein Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt wäre heikel"
Einen Tag vor dem Abkommen zwischen China und dem Vatikan warnte die Sinologin Katharina Wenzel-Teuber: Ein solches Abkommen berge für die chinesischen Gläubigen auch erhebliche Risiken.Gleichzeitig warnt der Kirchenkenner aus Peking vor einem immer perfekteren und besser organisierten Staat. "Ich glaube kaum, dass ein Abkommen die Lage der katholischen Kirche im Land verbessern kann. Es bedeutet eher noch vollkommenere Kontrolle und weniger Unabhängigkeit. Die Kirche wird noch mehr eingebunden in das chinesische System, das alles gleichschalten möchte."
Für Katharina Wenzel-Teuber, Chefredakteurin der vom China-Zentrum in Sankt Augustin bei Bonn herausgegebenen Zeitschrift "China heute", passen die jüngsten Entwicklungen in den Kontext des neuen chinesischen Religionsgesetzes, das Anfang Februar in Kraft trat und dem Staat mehr Kontrolle und Durchgriff auf inoffizielle Religionsgemeinschaften verschafft. Die bisherigen Grauzonen, innerhalb derer eine gewisse Toleranz der lokalen Behörden etwa für die Hauskirchen möglich war, sollen besser ausgeleuchtet, die Spielräume geringer werden.
"Ein Auge auf und ein Auge zu", so beschreibt Wenzel-Teuber die bisherige Praxis. Allerdings: Auch die romtreue Untergrundkirche agiert immer schon ohne gesetzliche Grundlage. Ein Zugriff des chinesischen Staates wäre im Ernstfall jederzeit möglich.
Kardinal Zen frodert Kardinalstaatssekretär Parolin zu Rücktritt auf
Bis zuletzt kämpfte Kardinal Zen gegen das Abkommen. Im Gespräch mit der "South China Morning Post" sprach er von einem "unglaublichen Verrat". Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin forderte er zum Rücktritt wegen "Verrats des katholischen Glaubens" auf. Die vatikanische Nummer zwei liefere seine Herde "den Wölfen zum Fraß".
Auf die Frage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), was er mache, wenn Franziskus wirklich irgendwann ein solches Abkommen unterzeichnete, sagte er zuletzt: "Dann bin ich raus. Gegen den Heiligen Vater kämpfe ich nicht. Dann sage ich gar nichts mehr und lebe künftig ein monastisches Leben!" Nun hat sich Franziskus anders entschieden.