Khorchide: Glaube und Meinung im Islam unterscheiden
Mohammed habe deutlich unterschieden zwischen seinen Rollen als Gesandter und Verkünder einer göttlichen Botschaft und ethischer Prinzipien in Mekka sowie als "Staatsoberhaupt" und Gründer eines "Rechtsstaates" in Medina. Dabei verweist Khorchide auf die "für einen säkular zu verstehenden Islam heute wichtige Anmerkung" Mohammeds, die er so zitiert: "Ich bin nur ein Mensch. Wenn ich hinsichtlich eurer Religion etwas ... anordne, so befolgt es. Wenn ich euch jedoch etwas aufgrund meiner Meinung anordne, so bin ich nur ein Mensch. Ihr kennt euch besser aus in euren irdischen Angelegenheiten als ich."
Dagegen, so Khorchide, betrachteten viele islamische Gelehrte heute die Bemühungen Mohammeds in seiner Funktion als Staatsoberhaupt als Teil seiner göttlichen Verkündung. Alle juristischen Regelungen und die gesamte Gesellschaftsordnung in Medina inklusive der Geschlechterrollen erschienen daher als "kontextunabhängige, verbindliche göttliche Gesetzgebung, der alle Muslime unterliegen".
Dieses Verständnis aber blockiere jeden Versuch, die juristische Ordnung weiterzuentwickeln und zwinge jeden Muslim, rückwärtsgerichtet zu denken. Verorte man hingegen das Wirken Mohammeds als Staatsoberhaupt in seinem historischen Kontext, dann sei es heute "der spirituelle und der ethische Geist des Korans, der für Muslime verbindlich ist. Die Rechtsordnung erscheint dagegen als Ausdruck einer bestimmten historischen Epoche und muss mit dem Wandel der Gesellschaften Schritt halten."
Verortung von Rechtsvorschriften in ihrem historischen Kontext
Diese Verortung von Rechtsvorschriften in ihrem historischen Kontext sei die Voraussetzung dafür, "den Islam heute mit demokratischen Grundwerten sowie mit unserem Verständnis von Menschenrechten in Einklang zu bringen". Einem spirituell und ethisch verstandenen Islam gehe es nicht um Körperstrafen oder Geschlechterrollen des siebten Jahrhunderts.
Ein Hauptproblem der islamischen Theologie heute, so der Wissenschaftler, bestehe in der Vorstellung, die islamische Lehre sei unveränderbar. Mohammed selbst aber habe "auf die essenzielle Notwendigkeit einer ständigen Reform des Verständnisses des Islam" hingewiesen.
Zudem leide der Islam auch stark darunter, dass viele Muslime ihn "primär auf eine juristisch-normative Ebene reduzieren". Der Gläubige wolle dann an erster Stelle wissen, was erlaubt und was verboten sei: "Der Koran will aber den Menschen zu einem mündigen Wesen erziehen, das sich auch als religiöse Person selbst entfaltet." (KNA)