Bundesarbeitsgericht urteilt über kirchliches Arbeitsrecht

Kirche muss konfessionslose Bewerberin entschädigen

Veröffentlicht am 25.10.2018 um 17:11 Uhr – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Eine konfessionslose Frau, die sich auf eine Stelle bei der Diakonie beworben hatte und abgelehnt worden war, muss von der Kirche entschädigt werden. Die Folgen dieser Entscheidung für das kirchliche Arbeitsrecht sind noch unklar.

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Es ist ein Urteil, dessen Folgen für die beiden großen Kirchen in Deutschland noch nicht absehbar sind: Das Bundesarbeitsgericht hat einer vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung abgelehnten Stellenbewerberin eine Entschädigung in Höhe von rund 3.900 Euro zuerkannt. Das Werk habe die Bewerberin wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit ungerechtfertigterweise benachteiligt, urteilte das Gericht am Donnerstag in Erfurt unter Berufung auf das Europarecht.

Die konfessionslose Sozialpädagogin hatte sich bei der Einrichtung um eine Referentenstelle beworben, in deren Rahmen ein Bericht zur Umsetzung der Antirassismus-Konvention durch Deutschland erarbeitet werden sollte. In der Ausschreibung zu der Stelle hatte die Diakonie die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche vorausgesetzt. Nach ihrer Ablehnung klagte die Frau wegen Diskriminierung aufgrund der Religion. Sie strebte eine Entschädigung in Höhe von mindestens rund 10.000 Euro an.

Linktipp: Kirche präzisiert Anforderungen an Mitarbeiter

Immer wieder landen Fälle, in denen das kirchliche Arbeitsrecht eine Rolle spielt, vor dem Europäischen Gerichtshof. Ein Grund für die Kirchen, die Anforderungen an die Mitarbeiter klarer zu fassen. (Artikel von Mai 2018)

In der Verhandlung des achten Senats erklärten die Diakonie-Vertreter, im vorliegenden Fall sei die Kirchenzugehörigkeit des Stelleninhabers unverzichtbar gewesen, um die Position der Kirche bei dem Antirassismusprojekt glaubwürdig zu vertreten, an dem auch nichtkirchliche Träger beteiligt waren. Vertreter der Klägerin erklärten dagegen, für die Aufgabe sei keine Konfessionszugehörigkeit erforderlich gewesen.

Die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing betonte jetzt, Bewerber dürften nur dann wegen ihrer Religion benachteiligt werden, wenn die Kirchenzugehörigkeit eine berechtigte Anforderung sei. Daran habe das Gericht im vorliegenden Fall "erhebliche Zweifel". Es habe keine Gefahr bestanden, dass die Bewerberin das Ethos der Kirche beeinträchtigt hätte. Sie hätte bei ihrer Aufgabe als Referentin nicht unabhängig handeln können.

Das Bundesarbeitsgericht hatte den Fall bereits 2016 verhandelt. Damals legte es den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, weil Europarecht betroffen war. Der Gerichtshof in Luxemburg bestätigte im April, dass die Kirchen grundsätzlich berechtigt seien, Mitarbeiter nach Religionszugehörigkeit auszuwählen. Allerdings müssten nationale Gerichte die Einstellungskriterien für Jobbewerber auch bei Kirchen prüfen dürfen.

Eine Reinigungskraft wischt den Boden im Kölner Dom.
Bild: ©picture alliance / dpa/Jürgen Effner

Die Frage, welche Tätigkeit in der Kirche eine Konfessionszugehörigkeit erfordert, könnte sich nach dem Erfurter Urteil neu stellen.

Evangelische Kirche und Diakonie äußerten sich enttäuscht über die Entscheidung des Erfurter Gerichts. Sie weiche erheblich von der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ab, erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Nichtchristen könnten an vielen Stellen in Kirche und Diakonie arbeiten. Die Anforderung an die Kirchenmitgliedschaft werde nicht willkürlich gestellt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte dagegen das Urteil. Die Kirchen müssten in jedem Einzelfall gerichtsfest begründen, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit nötig sei.

Inwieweit das Erfurter Urteil zu einem Präzedenzfall für die kirchliche Einstellungspraxis wird, wird sich erst noch zeigen. Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing, der die Kirchen in der Vergangenheit auch vor Gericht vertrat, dem Urteil jedoch eine große Bedeutung zugemessen. "Es könnte zu einer Neuausrichtung des kirchlichen Arbeitsrechts kommen", so Thüsing. Schon der EuGH habe "sehr streng entschieden" und die Freiheit der Kirchen, bestimmte Anforderungen an Mitarbeiter zu stellen, enger definiert.

Klar ist in jedem Fall, dass das Urteil potentiell viele Menschen betrifft. Schließlich sind die beiden großen Kirchen große Arbeitgeber in Deutschland. Jährlich werden tausende Stellen allein bei der Diakonie neu besetzt, unter anderem Mitarbeiter in Kitas, in Altenheimen oder Krankenhäusern. Die Diakonie hat nach Angaben eines Sprechers mehr als 525.000 hauptamtlich Beschäftigte. In den Einrichtungen und Diensten der Caritas arbeiten rund 620.000 Menschen. (stz/dpa/KNA)

25.10.2018, 18.15 Uhr: ergänzt um Reaktion der Diakonie und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes