Kirchenhistoriker Wolf: Aufhebung des Pflichtzölibats geboten
Eine Aufhebung des Pflichtzölibats in der katholischen Kirche wäre nach Auffassung des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf kein Traditionsbruch und kein Verstoß gegen ein Dogma. Papst und Bischöfe vollzögen keinen Paradigmenwechsel und keinen Bruch der kirchlichen Tradition, wenn sie sich für die Weihe verheirateter Männer zu Priestern aussprächen, schreibt Wolf in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag).
Es gebe vielmehr gute Gründe, in der heutigen Zeit die verpflichtende Ehelosigkeit der katholischen Priester aufzuheben, so der Wissenschaftler, der selber Priester ist. Papst und Bischöfe hätten angesichts zunehmenden Priestermangels die Pflicht, den Gläubigen die regelmäßige Feier der Eucharistie zu ermöglichen. In vielen Teilen der Weltkirche sei der Zölibat aber eines der ausschlaggebenden Hindernisse für die Entscheidung zum Priesteramt. Zudem sei kaum ein Gut höher zu bewerten als der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass der Zölibat nicht Ursache des Missbrauchs sei, "aber doch ein entscheidender Risikofaktor".
Weder göttliches Gebot noch Anordnung Jesu oder der Apostel
In der gesamten Kirchengeschichte sei die Entscheidung für oder gegen den Zölibat stets das Resultat von Güterabwägungen gewesen und ganz unterschiedlich ausgefallen, schreibt Wolf. Die Ehelosigkeit sei weder ein göttliches Gebot noch eine Anordnung Jesu oder der Apostel, betont er. Die frühe Kirche habe verheiratete Priester und Bischöfe gekannt. Noch heute seien die Priester der katholischen Ostkirchen selbstverständlich verheiratet.
Die Priesterweihe für verheiratete Männer wird auch bei der kommenden Amazonien-Synode Thema sein. Die Synode solle die Möglichkeit prüfen, in entlegenen Gegenden ältere und angesehene Familienväter zur Priesterweihe zuzulassen, um eine sakramentale Versorgung zu gewährleisten, heißt es unter anderem im vor einem Monat veröffentlichten Arbeitspapier. Das Bischofstreffen findet vom 6. bis 27. Oktober in Rom statt.
In seinem am Donnerstag erscheinenden Buch "Zölibat. 16 Thesen" erläutert Wolf, der seit langem systematisch in den Akten des Vatikan forscht und dafür 2002 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis - und damit den renommiertesten deutschen Wissenschaftspreis - erhielt, ganz unterschiedliche Phasen des Umgangs der Kirche mit dem Zölibat. So sei von einer "Geschichte der zunehmenden Einschränkungen der Ehe von Geistlichen" auszugehen. Seit dem vierten Jahrhundert habe es Forderungen nach sexueller Enthaltsamkeit der Priester unmittelbar vor dem Altardienst gegeben, dann folgten Forderungen nach sexueller Enthaltsamkeit der Priester in der Ehe. Weil das offenbar nur schlecht funktionierte, hätten die Päpste seit dem 12. Jahrhundert den im Mönchtum geforderten Zölibat auch auf die Weltpriester zu übertragen versucht. (tmg/KNA)