Macht Franziskus Ernst mit der Dezentralisierung?
Bald fünf Jahre ist es her, dass Franziskus kurz nach seiner Wahl im April 2013 ein Mammutprojekt in Angriff nahm und dazu eigens einen beratenden Kardinalsrat ins Leben rief: Die Kurienreform. Bislang ging es vor allem um einen Umbau der vatikanischen Verwaltung. Der vatikanische Finanz- und Mediensektor ist umstrukturiert worden, zwei neue große Behörden, eine "für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen" und die andere für "Laien, Familie und Leben" sind entstanden, im Staatsekretariat wurde eine eigene Abteilung für vatikanische Diplomaten geschaffen und Kurien(erz)bischöfe dürfen nicht mehr automatisch am 75. Geburtstag in den Ruhestand treten. Für den normalen Katholiken in Deutschland oder andernorts ist das konkreteste Ergebnis wohl, dass "Radio Vatikan" jetzt "Vatican News" heißt.
Doch das soll sich nun auf der Zielgeraden der Kurienreform offenbar ändern: Nach der 23. Sitzung des Kardinalsrats teilte das vatikanische Presseamt in dieser Woche mit, dass das Gremium mit dem Papst auch über den "theologischen Status" der Bischofskonferenzen gesprochen habe. Es sei "noch nicht deutlich genug eine Satzung der Bischofskonferenzen formuliert worden, die sie als Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität", heißt es in der Mitteilung weiter. Das Presseamt zitierte hierbei einen Passus aus Franziskus' programmatischen Schreiben "Evangelii gaudium". Eine übertriebene Zentralisierung mache das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik komplizierter, anstatt ihr zu helfen. Laut Presseamt wollen die Kardinäle das Schreiben "Apostolos suos" über die Bischofskonferenzen von Johannes Paul II. von 1998 "im Geist einer gesunden Dezentralisierung", von der der Papst oft spreche, "gegenlesen". Das darf man wohl so verstehen, dass die Kompetenzen der Bischofskonferenzen erweitert werden sollen.
Bislang keine kirchenrechtlich fixierte Dezentralisierung
Die Forderung nach einer Dezentralisierung innerhalb der Kirche war im sogenannten Vorkonklave vor der Wahl von Franziskus im März 2013 laut geworden. Rom mische sich zu sehr in ortskirchliche Belange ein, so die Klage. Auch der Papst selbst hat sich seit seinem Amtsantritt wiederholt für eine Stärkung der Bischofskonferenzen im Verhältnis zu Rom ausgesprochen. Nach "Evangelii gaudium" tat er dies besonders nachdrücklich in seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen der Weltbischofssynode im Oktober 2015. In einer "synodalen Kirche" sei es nicht angebracht, "dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen", so der Papst damals. Er fuhr fort mit den Worten: "In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten".
Doch diesen Worten folgten bislang keine konkreten Taten. Zwar berichteten Bischöfe von einem weitaus offenerem Gesprächsklima, das sie im Vatikan erlebt hätten. Aber eine kirchenrechtlich fixierte Neujustierung erfolgte nicht. Nur in einem – allerdings nicht unwichtigen Detail – änderte der Papst das Kirchenrecht im September 2017 zugunsten der Bischofskonferenzen: Sie sind künftig allein für die Übersetzungen liturgischer Texte in die Landessprachen zuständig, der Vatikan behält sich nur noch die abschließende Billigung vor.
Auch in Deutschland spielte die Kompetenz-Frage der Bischofskonferenz in letzter Zeit mindestens in zwei Fällen eine größere Rolle. Der auf der jüngsten Vollversammlung gefasste Beschluss einer Mehrheit der deutschen Bischöfe, evangelische Ehepartner im Einzelfall zur Kommunion zuzulassen, hat aufgrund der begrenzten Kompetenzen der Bischofskonferenz nur den Status einer unverbindlichen "Orientierungshilfe". Es steht weiter jedem Bischof – auch jenen, die zugestimmt haben, frei, ob er den Empfehlungen dieses Schreibens folgt oder nicht. Denn Recht setzen kann nur ein Ortsbischof, wie Kardinal Reinhard Marx erklärte.
Beim Thema Kirchenfinanzen spielt der Status der Bischofskonferenz ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Das Ringen um einheitliche Standards für Transparenz und Kontrolle von kirchlichen Geldern nach den jüngsten Skandalen ist vor allem deshalb so kompliziert und langwierig, weil die Bischofskonferenz keine Kompetenzen hat.
Bislang befinden sich die Bischofskonferenzen theologisch in einem Schwebezustand. Sie sind weitgehend seelsorgerische Zweckbündnisse. Die eigentliche, theologische Geburtsstunde der Bischofskonferenzen als Institution war das Zweite Vatikanische Konzil. "Die Bischofskonferenz ist gleichsam ein Zusammenschluss, in dem die Bischöfe eines bestimmten Landes oder Gebietes ihren Hirtendienst gemeinsam ausüben, um das höhere Gut, das die Kirche den Menschen bietet, zu fördern, besonders durch Formen und Methoden des Apostolats, die auf die gegebenen Zeitumstände in geeigneter Weise abgestimmt sind", heißt es in dem Dokument Christus dominus über die "Hirtenaufgabe der Bischöfe". Die Kompetenzen, die das Schreiben den Bischofskonferenzen zuerkennt, sind jedoch sehr begrenzt.
Da die Aussagen des Konzilsdokuments sich für die Praxis als zu vage erwiesen, forderte die Weltbischofssynode 1985 eine umfassendere Arbeitsgrundlage für Bischofskonferenzen. Ein erster vatikanischer Entwurf von 1988, der den Bischofskonferenzen nur minimale Kompetenzen zugestand, stieß jedoch auf große Ablehnung bei den Bischöfen. Erst dreizehn Jahre nach der Weltbischofsynode veröffentlichte Johannes Paul II dann seinen Erlass "Apostolos suos" über "die theologische und rechtliche Natur der Bischofkonferenzen".
Schwerwiegende Einwände gegen eine Stärkung
Darin präzisierte und erweiterte er die Kompetenzen in bescheidenem Umfang, insgesamt jedoch wurde der theologische und rechtliche Schwebezustand der Bischofskonferenzen nicht beendet. Demnach können auch Bischofskonferenzen verbindliche Aussagen zur Glaubenslehre machen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass alle stimmberechtigten Mitglieder dem Beschluss zustimmen. Nicht einstimmig gefällte Entscheidungen sind nur dann verbindlich, wenn mindestens Zweidrittel der Mitglieder ihr zugestimmt haben und der Vatikan sie billigt. Damit erweiterte Johannes Paul II. die Kompetenzen der Bischofskonferenz faktisch auf Kosten der Ortsbischöfe. Den bis dahin schrieb das Kirchenrecht fest, dass der Ortsbischof in lehrrechtlichen Fragen alleine verantwortlich ist, sofern das Kirchenrecht es nicht ausdrücklich anders vorgibt.
„Die Reform wird gelingen.“
Gegen eine Stärkung der Bischofskonferenzen gibt es allerdings schwerwiegende Einwände. Nur die Ortsbischöfe und der Papst handeln im Namen und in der Vollmacht Jesu Christi. Den Bischofskonferenzen fehlt hingegen eine solche unmittelbare theologische Autorität. Besonders strittig ist deshalb die Frage, ob ein Beschluss der Bischofskonferenz die beteiligten Bischöfe binden kann. Ein weiterer Einwand lautet, dass Sonderwege einzelner Bischofskonferenzen der Einheit des Glaubens und der Lehre gefährden und die Gläubigen verwirren könnten. Auch die Befürchtung, dass die Stellung des Ortbischofs, die gerade erst durch das Zweite Vatikanische Konzil gestärkt wurde, nun wieder zu sehr beschnitten werden könnte, spielt eine Rolle.
Die Befürworter umfassenderer Kompetenzen argumentieren weniger theologisch, als vielmehr mit der seelsorgerischen Notwendigkeit. Eine wachsende Zahl von Entscheidungen lasse sich heute nur noch sinnvoll auf der Ebene der Bischofskonferenzen fällen. Theologisch berufen sich Befürworter darauf, dass auch Bischofskonferenzen Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe seien und nicht nur Äußerungen des weltweiten Bischofskollegiums mit dem Papst als seinem Haupt. Zudem verweisen manche Kritiker des status quo darauf, dass das Prinzip der Einstimmigkeit für Aussagen in Glaubensfragen die Arbeit der Bischofskonferenzen lähme, weil damit ein einziger Bischof, der mit 'Nein" stimme, faktisch ein Vetorecht habe.
Diese Argumente werden die Kardinäle, unter ihnen Kardinal Reinhard Marx, und Franziskus zu prüfen haben. Das Ergebnis ist noch nicht absehbar. Sicher ist laut dem Koordinator des Kardinalsrats, Oscar Andres Rodriguez Maradiaga, nur so viel: "Die Reform wird gelingen", wie er am Donnerstag in Rom versicherte. "Es ist ja nicht die Reform von Papst Franziskus, sondern die Reform durch Jesus und den Heiligen Geist."