Männlich, weiblich, divers: Die Kirche steht vor einem Problem
Im Katechismus der Katholischen Kirche ist die Welt noch in Ordnung: "Als Mann und Frau schuf er sie", heißt es dort. Entweder – oder; ein drittes Geschlecht gibt es nicht. Im weltlichen Recht ist es dagegen komplizierter: Es gibt eben doch ein Drittes, hat 2017 das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die staatlichen Melderegister entschieden. Intersexuelle Menschen, also Menschen, die biologisch nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, haben ein Recht darauf, dass ihre besondere Situation auch Niederschlag im Geburtenregister findet. Wie genau, debattiert der Bundestag gerade.
Im Arbeitsrecht sind die Konsequenzen heute schon sichtbar: Immer mehr Stellen werden vollständig inklusiv ausgeschrieben. Anzeigen suchen dann beispielsweise nicht nur einen "Altenpfleger m/w", sondern "m/w/d" – männlich/weiblich/divers. Dazu sind Arbeitgeber verpflichtet. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet ihnen, bei der Stellenbesetzung nach Geschlecht zu diskriminieren.
Völlig neue Fragen für kirchliche Arbeitgeber
Für kirchliche Arbeitgeber wirft das völlig neue Fragen auf. Bisher waren Lehramt und weltliches Recht sich einig: Es gibt Männer, und es gibt Frauen. Doch mit der neuen Rechtsprechung treffen Staat und Kirche nun grundsätzlich unterschiedliche Aussagen dazu – und die Folgen sind noch weitgehend unklar. Kann die Kirche rechtlich dazu verpflichtet zu sein, eine Stelle für Männer, Frauen und diversgeschlechtliche Menschen auszuschreiben, wenn das ihrer grundlegenden Anthropologie, ihrer theologischen Lehre vom Menschen und seiner Geschlechtlichkeit, widerspricht?
Für den Arbeitsrechtler Jacob Joussen ist die Sache klar. "Grundsätzlich haben sich die Kirchen in den Bereich des weltlichen Arbeitsrechts hineinbegeben, weil sie Arbeitsverträge abschließen. Damit sind sie auch den allgemeinen arbeitsrechtlichen Anforderungen unterworfen", sagt der Leiter des Bochumer Instituts für Kirchliches Arbeitsrecht. Das AGG sieht Ausnahmen für die Kirchen nur mit Blick auf die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft vor: Wenn eine Kirche in begründeten Fällen nur Menschen einer bestimmten Konfession einstellen will, ist das zulässig. Außerdem können Kirchen von ihren Beschäftigten ein "loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen". Geschlecht ist aber kein Verhalten – und auf Grundlage des Geschlechts dürfen Kirchen gemäß AGG bei ihren Angestellten nicht diskriminieren. Folglich wären sie dazu verpflichtet, ihre Stellen auch für Angehörige des dritten Geschlechts auszuschreiben – auch, wenn die Lehre der Kirche es eigentlich gar nicht kennt.
Die ersten kirchlichen Reaktionen auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts waren noch sehr entspannt. "Im Regelfall ist die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht dem Menschen vorgegeben", die Geschlechtlichkeit gehöre zu den "Naturbedingungen, unter denen er seine Selbstbestimmung ausübt und sein personales Dasein vollzieht", sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 2017. Doch er betonte auch: "Wenn bei einem Menschen eine eindeutige Zuordnung zu der binären Einteilung als Frau oder Mann nicht möglich ist, darf er nicht durch rechtliche Vorschriften oder gesellschaftliche Gewohnheiten dazu gezwungen werden, sich entgegen seinen eigenen Empfindungen einem Geschlecht zuzuordnen, das nicht zu ihm passt."
Zu Folgen für das kirchliche Arbeitsrecht äußerte er sich damals allerdings nicht. Und auch heute, gut ein Jahr später, gibt es noch keine einheitliche Linie. Zwar findet man in einschlägigen Stellenbörsen immer wieder Stellen bei kirchlichen Arbeitgebern, die mit dem Zusatz "m/w/d" ausgeschrieben werden; einige Online-Job-Börsen lassen eine andere Ausschreibung auch gar nicht mehr zu. Auf Nachfrage erklären allerdings verschiedene kirchliche Arbeitgeber, bei denen schon Mitarbeiter "m/w/d" gesucht werden, dass man damit im wesentlichen weltliches Recht erfülle, eine theologische Wertung sei damit nicht verbunden.
Bischofskonferenz empfiehlt vorläufig keine Anpassung
Systematische Entscheidungen gibt es noch nicht. Die Bischofskonferenz empfehle vorläufig, so Kopp, keine Anpassung an Ausschreibungstexten für Stellen vorzunehmen. Das Thema beschäftige aber verschiedene Gremien, so dass in den nächsten Monaten mit einer Präzisierung zu rechnen sei. Auch beim Deutschen Caritasverband, immerhin der Spitzenorganisation des größten Arbeitgebers nach dem Staat, will sich der Vorstand erst im Dezember darüber verständigen.
Linktipp: Was bedeutet das dritte Geschlecht für Weihe und Ehe?
Weder männlich noch weiblich: Künftig ist in Deutschland ein dritter Geschlechtseintrag im Geburtenregister möglich. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht daher Klärungsbedarf für die Sakramente. (Artikel vom November 2017)Ungeklärt ist auch, was auf Menschen des dritten Geschlechts zukäme, wenn sie erst einmal für die Kirche arbeiten. Denn für Mitarbeiter der Kirche gelten besondere Verpflichtungen zur Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber. Diese Pflichten haben die Bischöfe in der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" festgelegt – und hier drohen Konflikte, spätestens, wenn der diversgeschlechtliche Mitarbeiter heiraten will: Was nach Zivilrecht seit der "Ehe für alle" kein Problem ist, ist kirchenrechtlich unmöglich: Die Ehe nach kirchlichem Verständnis bleibt Paaren vorbehalten, die aus einem Mann und einer Frau bestehen. Katholische kirchliche Angestellte dürfen aber nur Zivilehen schließen, wenn diese auch kirchenrechtlich erlaubt sind. Wäre das also ein Grund für eine Abmahnung oder gar eine Kündigung?
Müssen kirchliche Mitarbeiter an Zweigeschlechtlichkeit glauben?
Doch schon die bloße Tatsache, dass es überhaupt Angestellte geben könnte, die nicht ins zweigeschlechtliche Schema passen, ist momentan eine Grauzone. Von der Bischofskonferenz hört man zwar moderate Töne. Doch es ist nicht gesagt, dass alle kirchlichen Arbeitgeber das so sehen. Wenn die Kirche nämlich klar lehrt, dass es nur Männer und Frauen gibt: Was heißt das für Menschen, die aus eigener Perspektive wie aus der des weltlichen Rechts nicht in dieses Raster passen? Gehört die Lehre von der Zweigeschlechtlichkeit, immerhin nach katholischer Ansicht Teil der Schöpfungsordnung, zu den "Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre", die katholische Mitarbeiter anerkennen und beachten müssen? Gehört sie zu den "Wahrheiten und Werten des Evangeliums", die sonstige christliche Mitarbeiter achten müssen? Gefährdet es die Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn diversgeschlechtliche Mitarbeiter, die es nach Lehre der Kirche eigentlich nicht gibt, zu ihrem Geschlecht offen stehen?
Eine derartige Interpretation würde das Faktum Geschlecht, bei dem das AGG keine Diskriminierung zulässt, plötzlich in den Bereich einer Handlung bringen, wo die Kirche auch nach weltlichem Recht Loyalität verlangen kann. Der Arbeitsrechtler Joussen glaubt nicht, dass eine solche Interpretation vor den Gerichten standhalten könnte. In zwei Fällen hatte jüngst der Europäische Gerichtshof staatlichen Gerichten einen größeren Spielraum bei der Beurteilung eingeräumt, welche Anforderungen Kirchen an die Konfessionszugehörigkeit von Bewerbern und Mitarbeitern stellen können. Ähnlich sei es nach Joussens Auffassung mit dem Geschlecht, da es hier um eine für die Betroffenen existentielle Situation geht. Hier vor Gericht zu Lasten des Arbeitnehmers zu entscheiden, sei nur schwer denkbar: "Man könnte durchaus Fälle konstruieren, bei denen das Geschlecht eines Mitarbeiters angesichts des Ethos der Kirche so wesentlich ist, dass es auch für eine ganz bestimmte Tätigkeit eine Rolle spielt und ein Bekenntnis zu einem dritten Geschlecht zu einer Loyalitätsfrage wird. Aber da müsste man schon sehr besondere Fälle finden."