"Nicht vorschnell aufgeben"
Kardinal Reinhard Marx hat das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA verteidigt. Die Verantwortlichen sollten weiter um ein gutes Ergebnis verhandeln "und nicht einfach vorschnell aufgeben", sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am Freitag in einem Interview. Marx ist zudem Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE.
Frage: Herr Kardinal, die Proteste gegen die großen Freihandelsabkommen TTIP und CETA reißen nicht ab. Wirtschaftsminister Gabriel und die Regierung in Paris haben TTIP für gescheitert erklärt. Auch einige kirchliche Gruppierungen äußern sich klar ablehnend. Warum halten Sie trotzdem daran fest?
Kardinal Reinhard Marx: Die Frage ist doch: Was wird besser, wenn wir TTIP nicht abschließen? Sicherlich wäre eine neue multilaterale Welthandelsrunde wünschenswerter. Die sind aber bislang nie richtig vorangekommen oder kurz vor dem Abschluss gescheitert. Das ist sehr bedenklich. Nur deshalb sprechen wir jetzt über bilaterale Abkommen. Und dann ist es gut, wenn von uns auch ethisch fundierte Standards gesetzt werden. Das kann zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung beitragen, vor allem wenn man das Abkommen für Drittländer öffnen kann, so dass auch die ärmeren Länder profitieren. Mit Blick auf die immensen globalen sozialen und ökologischen Herausforderungen habe ich kein gutes Gefühl, wenn sich Europa aus der Gestaltung der Globalisierung herauszieht und das Heft des Handelns den anderen überlässt.
Frage: Sie haben sich - auch im Einklang mit den amerikanischen Bischöfen - besorgt über einige Aspekte von TTIP geäußert. Was sind aus Ihrer Sicht die Knackpunkte, die beseitigt werden müssen, um TTIP zu retten?
Marx: In der Tat haben sich die Bischofskonferenzen der EU und der USA anlässlich der TTIP-Verhandlungen erstmals gemeinsam zu Wort gemeldet und ethische Grundsätze formuliert. Auch die deutschen Bischöfe haben sich konkreter mit TTIP auseinandergesetzt und sieben Empfehlungen formuliert von der Transparenz über Standards bis zum Investitionsschutz. Gerade dabei können die Verhandlungen viel Vertrauen in der Öffentlichkeit kaputt machen, sie können aber auch zukunftsorientierte Lösungen für globale Probleme finden. Das ist gerade die Chance, die in TTIP liegt. Und deshalb sollte man weiterverhandeln, um ein gutes Ergebnis zu erzielen, und nicht einfach vorschnell aufgeben.
Frage: Gibt es eigentlich eine klare Haltung der katholischen Kirche zum Freihandel oder ist es gar fester Bestandteil der katholischen Soziallehre?
Marx: Aus sozialethischer Perspektive sind internationale Handelsverflechtungen grundsätzlich erst einmal zu begrüßen, weil sie Wirtschaftswachstum fördern, Arbeitsplätze schaffen und Armut reduzieren. Aber wie auf allen Märkten müssen eben die Regeln stimmen, um eine gerechte Ordnung herzustellen. Und genau darum muss es ja gehen: ein faires Handelssystem als Teil einer Globalen Sozialen Marktwirtschaft.
Frage: Papst Franziskus hat sich wiederholt sehr kritisch zu Wirtschaftswachstum und Kapitalismus geäußert. Teilen Sie diese Fundamentalkritik?
Marx: Natürlich müssen wir den Auswüchsen des kapitalistischen Systems entgegentreten. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich lege aber schon großen Wert darauf, dass die Soziale Marktwirtschaft nicht mit dem Kapitalismus gleichzusetzen ist. Das hat der Papst in seiner Rede zur Karlspreisverleihung ebenfalls unterstrichen und eine solche sozial verantwortete Wirtschaftsordnung positiv herausgestellt. Aber dort, wo sich die Wirtschaft in die falsche Richtung entwickelt, wo sie Menschen ausschließt oder die Umwelt zerstört, muss man eben auch deutlich Kritik üben. Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen. Das war immer Standpunkt der Katholischen Soziallehre. Und das ist auch völlig vernünftig.