Papst Franziskus erlässt neue Normen gegen Missbrauch
Einen Monat nach dem internationalen Anti-Missbrauchgipfel im Vatikan hat Papst Franziskus wie angekündigt neue Normen zum Kinderschutz erlassen. Die drei am Freitag veröffentlichten Dokumente beziehen sich zwar nur auf den Vatikanstaat und die Kurie; sie können aber Vorbildcharakter haben - und halten ihrerseits aktuellen internationalen Maßstäben stand.
Es handelt sich um ein Gesetz über den "Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen", das zum staatlichen Recht im Vatikanstaat gehört, und um entsprechende "Leitlinien" für den kirchlichen Bereich, wie sie Bischofskonferenzen in anderen Staaten schon 2011 erarbeiten mussten. Hinzu kommt ein päpstlicher Erlass, ein sogenanntes Motu proprio; er regelt die gleiche Materie in knapperer Form für die Kurie, den zentralen Verwaltungsapparat der Weltkirche.
Verfahren bei Verdachtsfällen
Es sind nicht die ersten rechtlichen Regeln zum Thema Missbrauch: Ein ergänzendes Strafgesetz des Vatikanstaats von 2013 behandelt neben Delikten wie Piraterie und Atomwaffenbesitz auch sexuelle Gewalt gegen Minderjährige und Kinderpornografie. Auch das allgemeine Kirchenrecht kennt bereits einschlägige Normen. Bei den neuen Bestimmungen geht es dagegen vor allem um Kinderschutz - näherhin die Verfahren bei Verdachtsfällen und um Missbrauchsverhinderung.
Auch im Vatikanstaat gibt es Minderjährige - Ministranten oder Chorsänger etwa. Im letzten Bericht vor der UN-Kommission für Kinderrechte sprach der Vatikan von 30 Kindern unter 14 Jahren und weiteren 38 Jugendlichen. Wenn man von einer durchschnittlichen Missbrauchs-Täterquote von 1,5 bis 5 Prozent unter Klerikern ausging, ergibt sich bei den weit mehr als tausend Geistlichen in Kurie und Vatikanstaat zumindest statistisch ein Gefährdungspotenzial.
Nach den neuen Normen werden Übergriffe gegenüber Schutzbedürftigen im Vatikan als Offizialdelikte verfolgt, also auch ohne die Anzeige eines Geschädigten. Vatikanische Mitarbeiter sind verpflichtet, etwaige Vorkommnisse und Verdachtsfälle zu melden, wobei allerdings das Beichtgeheimnis geschützt bleibt. Wer eine Meldung unterlässt oder unzulässig verschleppt, hat mit 1.000 bis 5.000 Euro Strafe zu rechnen; säumigen Justizbeamten drohen sogar bis zu sechs Monate Haft. Einzig hier thematisiert das neue Gesetz so etwas wie Vertuschung.
Kandidaten für eine Tätigkeit im Vatikan müssen künftig auf ihre Eignung zum Umgang mit schutzbedürftigen Personen geprüft werden. Auch werden Mitarbeiterschulungen zu Kinderschutz in den Einrichtungen der Kurie und des Vatikanstaats eingeführt - eine beachtliche Neuerung angesichts dessen, dass "betriebliche Fortbildung" dort bislang ein Fremdwort ist.
Recht auf Gehör und Begleitung
Was die Opfer angeht, betonen die Dokumente deren Recht auf Gehör und Begleitung sowie "geistliche, ärztliche, psychologische und juristische Hilfe". Das Thema Entschädigung wird nicht angeschnitten. Hinsichtlich der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens zielt das neue Gesetz auf größtmögliche Schonung des Opfers; dazu gehören Vorkehrungen zur Kontaktvermeidung mit dem Täter, etwa auch durch Aussagen per Videoschaltung.
Für den Umgang mit Minderjährigen geben die Leitlinien Kriterien vor: Wer immer mit jungen Menschen zu tun hat, muss über angemessenes Verhalten, Anzeichen für Missbrauch und das Vorgehen in Verdachtsfällen belehrt worden sein. Strikt verboten sind körperliche Züchtigungen jeder Art, aber auch die affektive Bevorzugung einzelner Jugendlichen, etwa durch Geschenke. Das Fotografieren und Filmen von Minderjährigen, geschweige denn die Verbreitung der Bilder im Netz, erfordert die schriftliche Zustimmung der Erziehungsberechtigten.
Beschuldigten wird ein rechtsstaatliches Verfahren und eine Strafe nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugesichert. Zu Unrecht Verdächtigte haben Anrecht auf Rehabilitation; wer verurteilt wird, verliert seinen Kurienjob, darf aber psychologische und geistliche Unterstützung zum Zweck der gesellschaftlichen Wiedereingliederung erwarten.