Radio Vatikan: Es funkt immer noch
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Für Radio Vatikan zu arbeiten ist nicht wie für irgendeinen anderen Sender zu arbeiten. Das sage ich nicht, weil ich so kompromisslos papsthörig wäre, weil wir unter ständiger Zensur stünden oder weil das Ambiente so gediegen wäre (alle drei: eher nicht), und auch nicht weil der Papst seinem journalistischen Personal die Überstunden zahlt (das tut er wirklich). Radio Vatikan ist aus vielerlei Gründen anders. Man kann es "schräg" nennen, ich nenne es "eine Klasse für sich".
Zunächst, Radio Vatikan heißt eigentlich gar nicht mehr Radio Vatikan, sondern "Vatican News". Das ist der Medienreform zu danken, die Papst Franziskus auf den Weg gebracht hat. Wie die Idee zustandekam, eine in 85 Jahren gewachsene mediale Weltmarke einzustampfen und durch einen Allerweltsnamen – englisch und in 40 Sprachen identisch – zu ersetzen, bleibt dahingestellt und wird uns hier nicht zu unbedachten Kommentaren veranlassen.
Der Eingangsgruß als ästhetische Herausforderung
Jedenfalls, der vertraute lateinische Gruß am Anfang und Ende unserer Sendungen an die Leute, die uns hören, kommt zumindest mir in der neuen Kombi nicht mehr so richtig glatt über die Lippen. "Hier ist Vatican News, Laudetur Jesus Christus", das finde ich ästhetisch herausfordernd. Ein Kollege sagt aus Protest auf Sendung nach wie vor unerschütterlich "Radio Vatikan", obwohl der Jingle gerade "Vatican News" eingetrommelt hat. Ein wenig schräg eben.
Das alte Radio Vatikan ist aufgegangen in der neuen Multimedia-Webseite, und die heißt Vatican News. Deshalb gibt es bei uns jetzt zwischen den Beiträgen und Meldungen immer auch ein, zwei Videos, Papstmessen und Pressekonferenzen werden live gestreamt. Socials sind auch eingebettet. Aber immer noch haben wir als deutschsprachiger Dienst pro Tag eine Radiosendung, nach anderer Zählung sogar zwei, aber die kürzere Sendung ist einfach die längere minus dem langweiligsten Beitrag, ich will da ganz transparent sein. Diese Radiomagazine kann man als Podcast auf unserer Seite hören, und Partnersender strahlen sie auf ihren Kanälen aus.
Zum Glück haben wir das Funken nicht gelassen, wie uns eine Zeitlang nahegelegt worden war. Wir machen trotz des Mehraufwands gerne Radio, unseren Hörern und Hörerinnen zuliebe und überhaupt. Unlängst haben wir herausgefunden, dass Papst Franziskus niemals die Absicht hatte, seinem Radio das Radiomachen abzustellen. War wohl ein Missverständnis, Stille-Post-Spirale, Rauschen im Äther oder Rausch im Reformieren, wir wissens nicht genau. Deshalb will auch ich hier, ganz vintage, weiter von "Radio Vatikan" sprechen.
Was ich so cool an diesem 88 Jahre alten Sender finde, ist seine gelassene Vielfalt in der Einheit. Wir arbeiten alle für denselben Mann (den derzeit 265. Stellvertreter) und dieselbe Sache, den Glauben. Das ist die Einheit. Die Vielfalt ist, wie das im Alltag aussieht und sich anfühlt. In dem kantigen 30er-Jahre-Palazzo an der Via della Conciliazione sitzen, geografisch sorglos sortiert, die arabische neben der koreanischen Redaktion und die deutschsprachige neben der afrikanisch-englischen, die auch Suaheli umfasst. Inder (die fünf Sprachen bedienen), Weißrussen und Musikredakteure blicken über die Raucherterrasse auf die Engelsburg. Wenn ich wissen will, wie Japans Katholiken zur Abdankung eines Papstes oder eines Kaisers stehen, gehe ich hinunter und befrage die Kollegin (Japanisch ist eine Ein-Frau-Abteilung). Steht eine Papstreise an, sind die Leute der betreffenden Redaktionen Anlaufstellen erster Wahl. In unserer Kapelle, die ein sendefähiges Radiostudio ist, finden Messen in mehreren Riten statt. Alle feiern dasselbe, nur in anderer Form. Gut katholisch eben.
Manchmal befeuern kulturelle Vorurteile gewisse Gereiztheiten, das soll nicht verschwiegen sein, Mitteleuropa-Abteilungen wundern sich über Westeuropa-Abteilungen, Französisch für Afrika hat es nicht leicht mit Französisch, Chinesisch macht sein eigenes Ding. Bei uns im Haus schreiben sie in zwölf verschiedenen Alphabeten und unfassbar weit auseinanderliegenden journalistischen Stilen. Ukrainisch bringt viel geistliche Betrachtung, Slowenisch übersetzt jedes Papstwort, Deutsch weicht selten einer Streitfrage aus. Am Ende kann man sich meistens aufeinander verlassen. Es ist wie in einer Familie, es ist Weltkirche.
Und es ist ein Sender, der ausstrahlt in einem eigenen Sinn. Radio Vatikan ist im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines beliebigen Landes nicht primär den Bürgern im eigenen Staat zugedacht, sondern allen anderen, überall. Deshalb ist der Sender auch so riesig. Er beschäftigt fast so viele Leute, wie der Staat Einwohner hat (so, als ob drei von vier Bayern beim Bayerischen Rundfunk arbeiten würden). Radio Vatikan ist seinem Namen zum Trotz kein Lokalsender, sondern ein Globalsender. Ein Geschenk aus Rom, sozusagen. Er funkt auch dorthin, wo es einen nationalen Rundfunk kaum gibt, geschweige denn eine Zeitung, und wo Leute nur selten Internet haben, noch darin lesen könnten. Afrikanische oder indische Programme von Radio Vatikan tragen dem Rechnung. Sie senden mehr als nur Informationen über Papst und Vatikan.
Überhaupt ist jedes Sprachprogramm selbständig, weil es seine Kultur am besten kennt. Standards wie die Generalaudienz oder das Angelusgebet am Sonntag kommen klarerweise in allen 40 Sprachen. Geben wir es zu, eine Präferenz fürs Päpstliche ist da – und damit hat es seine Richtigkeit. Denn Leute, die Radio Vatikan hören oder lesen, wollen verlässlich und ohne Verzerrung darüber ins Bild gesetzt werden, was der Mann in Weiß sagt und tut. Weil er der Papst ist und weil er als Weltgewissen gilt.
Einordnung in existenzielle Überthemen
Darüber hinaus verbindet alle Programme von Radio Vatikan eine inhaltliche Linie, die ich "big talk" nennen würde, im Gegensatz zum Smalltalk. Wir machen nicht den Wetterfrosch, wir ignorieren Fußballtabellen, und ob das neue Urenkelkind der Queen endlich da ist oder nicht, erfährt von uns keiner. Was bei uns vorkommt, und sei es die kleinste Meldung aus einer entlegenen Weltgegend, sortiert sich ein in die Überthemen der menschlichen Existenz. Letztlich reden wir, in tausend Variationen, von Gerechtigkeit, Glaube und Liebe – oder deren Fehlen.
Warum Radio Vatikan im Vatikan selbst nicht von allen geliebt wird, muss ich mal in einem gesonderten Stück erörtern, und da will ich auch das Selbstverständnis des Senders zwischen institutioneller Kommunikation und "unabhängigem Medium" (das Radio Vatikan nicht ist) beleuchten. Mein Punkt für heute ist: Der römische Papstsender mag etwas schräg sein und jedenfalls "semper reformanda". Aber er ist aus meiner Sicht von einer katholischen Vielfalt und Tiefe, die manch anderer Medienrealität gerne zum Vorbild gereichen könnte.