Russischer Metropolit wirft Konstantinopel "Krieg" vor
Der schwelende Konflikt um die Zukunft der orthodoxen Kirche in der Ukraine hat deutlich an Schärfe gewonnen. Rund eine Woche nach einem Treffen der orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel und Moskau, Bartholomaios I. und Kyrill I., meldete sich jetzt der Moskauer Metropolit Hilarion mit scharfer Kritik am Patriarchat von Konstantinopel zu Wort. Dieses sei "offen auf dem Kriegspfad" gegen die russische Kirche, das orthodoxe Kirchenvolk in der Ukraine und die Einheit der Weltorthodoxie, sagte Hilarion, der das Außenamt des Moskauer Patriarchats leitet und als engster Mitarbeiter Kyrills gilt.
Hintergrund des verbalen Angriffs ist der Plan von Bartholomaios, die ukrainische Kirche gegen den Willen der russisch-orthodoxen Kirche als autokephal (eigenständig) anzuerkennen und damit unabhängig von Moskau zu machen. Mit Blick auf dieses Ziel hatte das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie am Wochenende zwei Exarchen (Bischöfe) für die Ukraine ernannt. Die beiden Bischöfe sollen nach Angaben von Metropolit Emmanuel, einem engen Mitarbeiter Bartholomaios', "zum Aufbau einer unabhängigen Ortskirche" in der Ukraine beitragen.
Hilarion: Ernennung von Exarchen war rechtswidrig
Hilarion bezeichnete die Ernennung der beiden Exarchen in seiner Stellungnahme als rechtswidrig. "Die Entsendung von Exarchen oder anderen Vertretern in eine andere Ortskirche kann nur mit Zustimmung dieser Ortskirche erfolgen", so der Metropolit. Demnach hätte Bartholomaios vor der Ernennung die Zustimmung des Moskauer Patriarchats einholen müssen.
Linktipp: Streit um die orthodoxe Kirche in der Ukraine
Die orthodoxe Kirche ist die letzte bedeutende Institution, die die Ukraine mit Russland verbindet. Kiew will aber eine von Moskau unabhängige Kirche. Nun muss das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel entscheiden. (Artikel von April 2018)Hilarion warf Konstantinopel vor, mit der Ernennung der Exarchen kirchliche Vorschriften verletzt zu haben. Dies könne nicht ohne Antwort bleiben. "Wir hoffen, dass Konstantinopel seine Entscheidung noch einmal überdenken wird. Wenn dies nicht geschieht, müssen wir eine angemessene Entscheidung treffen, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen", erklärte der Metropolit. Er unterstellte Bartholomaios zudem, mit seiner Entscheidung für die Anerkennung einer unabhängigen ukrainischen Kirche das bestehende Schisma in dem Land zu legitimieren. "Ich denke, dass Patriarch Bartholomaios vor dem Gericht Gottes und dem Gericht der Geschichte die persönliche Verantwortung für diese Aktion tragen wird", so Hilarion wörtlich.
Der aktuelle Konflikt ist der vorläufige Höhepunkt in einer seit 1991 andauernden Auseinandersetzung. Damals hatte sich die orthodoxe Kirche der Ukraine im Zuge der Unabhängigkeitserklärung des Landes gespalten. Seither ringen die dem Moskauer Patriarchat unterstehende ukrainisch-orthodoxe Kirche und das 1992 gegründete Kiewer Patriarchat um die Vormachtstellung in dem Land. Bislang erkennen das Patriarchat von Konstantinopel und die mehr als ein Dutzend orthodoxen Landeskirchen offiziell nur die russisch-orthodoxe Kirche an, die in der Ukraine über die meisten Pfarreien verfügt.
Stark befeuert wurde der Konflikt zwischen den beiden Patriarchaten durch den seit 2014 andauernden Krieg in der Ostukraine zwischen von Moskau unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen. Seither wurde in der Ukraine der Ruf nach einer von Russland unabhängigen orthodoxen Kirche immer lauter. Nachdem Kiewer Kirchenverantwortliche den Wunsch nach kirchlicher Unabhängigkeit vor einigen Monaten offiziell in Konstantinopel geäußert hatten, hatte eine Delegation des Konstantinopeler Patriarchats Ende Juli dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko die Botschaft überbracht, dass die kirchliche Verselbstständigung der ukrainischen Orthodoxie "beschlossene Sache" sei.
Das Moskauer Patriarchat, das die Ukraine seit dem späten 17. Jahrhundert in einer gemeinsamen Jurisdiktion hält, hatte diese Zusage im Anschluss als "Katastrophe für die Orthodoxie" bezeichnet. Vor diesem Hintergrund fand Ende August in Istanbul das Treffen zwischen Bartholomaios und Kyrill statt – doch eine Annäherung zwischen beiden Seiten im Streit um die Zukunft der ukrainischen Kirche konnte nicht erzielt werden.
Droht die Spaltung der griechisch-orthodoxen Kirchenfamilie?
Nach der jüngsten Eskalation und den Aussagen Hilarions sprechen kirchenpolitische und diplomatische Beobachter bereits von einer möglichen Spaltung der griechisch-orthodoxen Kirchenfamilie zwischen den von Konstantinopel und Moskau geführten Blöcken. Diese hatten sich bereits in der Frage des vom Ökumenischen Patriarchat einberufenen Orthodoxen Konzils von Kreta 2016 herausgebildet. Bartholomaios wird insbesondere von Rumänien unterstützt, Kyrill von Serbien und vom zweithöchsten Kirchenfürsten der Orthodoxie, Patriarch Theodoros II. von Alexandria.
Auch die Bischofssynode der russisch-orthodoxen Kirche sprach in einer Stellungnahme am Wochenende von einer "Bedrohung der Einheit der Orthodoxie". Ob der Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau doch noch gelöst werden kann, ist derzeit völlig unklar. Das Leitungsgremium des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, der Heilige Synod, berät voraussichtlich Mitte Oktober über die Autokephalie für die Ukraine.