So findet man die eigene Berufung
Wenn auf dem Weltjugendtag Tausende Jugendliche miteinander beten und feiern, dann bietet das auch den Nährboden für Glaubenserfahrungen und existientielle Fragen nach dem Sinn des eigenen Lebens. Um dem Rechnung zu tragen, sind dieses Mal erstmals zwei deutsche Ordensleute vor Ort, deren ausschließliche Aufgabe es ist, da zu sein, wenn junge Menschen Fragen zum Thema Berufung haben. Wir haben Schwester Madgalena Morgenstern und Pater Clemens Blattert in Panama getroffen. Im Interview sprechen sie über die Sinnhaftigkeit des Begriffes, ihre Erfahrungen auf dem WJT und ihre ganz persönliche Berufungsgeschichte.
Frage: Was ist Berufung?
Pater Clemens: Es ist die tiefe Überzeugung, dass jeder Mensch dazu da ist, seine Einmaligkeit zu leben. Deswegen sprechen wir auch davon, die Berufung für das eigene Leben zu SUCHEN – was ist das, was mich glücklich macht, zu einem gelingenden Leben führt? Wir Christen denken, dass es einen gibt, der uns ruft – Gott.
Schwester Magdalena: Ich verstehe das Leben als solches als Berufung. Denn ich habe mich ja nicht selbst gemacht, sondern ich wurde von Gott ins Leben gerufen. Deswegen muss ich mich fragen: Was erhofft sich Gott von meinem Leben? Berufung fällt nicht vom Himmel als etwas, das mir fremd ist. Ich lerne im Gehen Antwort zu geben auf das, was mir entgegen kommt, Schritt für Schritt.
Pater Clemens: Ja, sie ist wie ein Puzzle, das sich durch unterschiedliche Erfahrungen langsam zusammensetzt. Beispiele für Berufung findet man auch im Alltag. Wenn ich ein Buch lese und es ruft mein Interesse wach, das weckt Kräfte in mir, die ganze Nacht durchzulesen. Oder noch schöner: Wenn man sich verliebt, dann hat man auf einmal unglaubliche Kräfte, die der andere oder die andere in einem auslöst. Und ich glaube, dass Gott noch größere und tiefere Dinge in uns frei setzt, wenn wir uns ihm öffnen.
Frage: Geht es bei Berufung also vor allem um Priestertum und Ordensleben?
Pater Clemens: Nein. Jeder Getaufte hat den Ruf von Gott, seine Einmaligkeit und Besonderheit zu leben und zu entfalten. Jesus folgten nicht nur die zwölf Apostel, es wird immer auch von den Jüngerinnen und Jüngern gesprochen.
Frage: Aber warum sollte das junge Leute interessieren? Ich könnte mir vorstellen, dass sie das Wort Berufung erstmal abschreckt, weil es so elitär klingt…
Schwester Magdalena: Das Gefühl und das Image, das lange Zeit mit dem Begriff verbunden war, könnte man als elitär beschreiben. Aber das hat sich gewandelt. Berufung ist das, was Gott von mir erbittet – das kann sich in jeder alltäglichen Erfahrung und Lebensform ereignen.
Pater Clemens: Als ich die Berufungspastoral der Jesuiten übernommen hatte, habe ich auch überlegt, ob ich lieber ein anderes Wort verwende. Aber letztlich gibt es kein Treffenderes. Und ehrlich gesagt: Wenn ich mit Menschen wirklich ins Gespräch komme, dann checken sie sofort, worum es geht. Ich habe mal in einer Abiturklasse gefragt, ob es für sie wichtig ist, die eigene Berufung zu finden. Und da sagten wirklich alle, dass das für sie eng mit dem eigenen Glück verbunden ist.
Frage: Sind Weltjugendtage ein besonderer Nährboden für Berufungen?
Schwester Magdalena: Ja. Auf Weltjugendtagen treffen sich junge Menschen, die auf der Suche sind, die im Begriff sind, grundlegende Lebensentscheidungen zu treffen. Sie fangen an, die Flügel auszustrecken und zu fragen: Was will ich vom Leben, was will das Leben von mir? Von daher gehört das Thema Berufung zur Jugend.
Pater Clemens: Es gibt aber auch Menschen Anfang 20 oder Anfang 30, die sind auf einer bestimmten Schiene unterwegs: Schule, Ausbildung, erste Arbeitsstelle, Familiengründung. Und sie kommen gar nicht dazu, sich zu fragen: Will ich das wirklich? So ein Weltjugendtag "stört" da in einem positiven Sinn, der reißt einen raus, zeigt andere Kulturen und Milieus, geistliche Erfahrungen. Da gibt es viele Anstöße, nach der eigenen Berufung zu fragen.
Frage: Was ist Ihrer beider Rolle am Weltjugendtag?
Pater Clemens: Wir stellen uns dort vor, wo große Ansammlungen von Pilgern sind und sind dann einfach da als Ansprechpartner. Das Hauptziel ist es, überhaupt mal bekannt zu machen, dass es geistliche Begleitung gibt und was das ist. Denn das ist etwas anderes als die Beichte. Zur Beichte gehe ich, weil ich die Wahrheit missachtet habe, weil ich etwas abladen möchte, weil ich Befreiung möchte. Geistliche Begleitung ist etwas, bei dem ich meine Wahrheit, meine Berufung entdecken möchte. Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwas Schlechtes gemacht habe.
Frage: Wie ist das bisher angekommen?
Schwester Magdalena: Es macht den Jugendlichen Mut, dass sie mit jemandem sprechen können, den sie nur hier auf dem Weltjugendtag sehen und vielleicht nicht zu Hause Zu mir kam zum Beispiel eine Frau, die sich irgendwie fürs Kloster interessiert, aber noch nicht genau weiß, was das jetzt bedeutet. Und in der Essensschlange konnte ein Jugendlicher einfach seine Fragen los werden.
Pater Clemens: Wir leben auf dem Weltjugendtag ein Charisma, das mit unserem Glauben zu tun hat: Die Unverschämtheit, Zeit zu verschwenden. Einfach da zu sein, einfach ansprechbar zu sein. Mit mir hat zum Beispiel auch jemand über die Leidenschaft für seinen Beruf gesprochen und die Gefahr, dass daneben anderes zu kurz kommt. Ich merke aber auch, dass manche vielleicht Fragen hätten, aber die Hürde, uns anzusprechen doch irgendwie zu groß ist.
Frage: Wie kann es in der katholischen Kirche denn wieder mehr Berufungen zu Priestertum und zum Ordensleben geben?
Pater Clemens: Zahlen sind ehrlich gesagt gar nicht mein Fokus bei der Arbeit in der Berufungspastoral. Man könnte es ja auch mal so sehen: Vielleicht will Gott momentan gar nicht, dass Klöster und Orden sprießen, vielleicht will er momentan gar nicht so viele Priester. Vielleicht will er ja anderen zeigen, wie wichtig deren Berufung im Moment ist.
Schwester Magdalena: Ich verstehe Berufungspastoral auch überhaupt nicht als Nachwuchsrekrutierung. Dann hätten junge Menschen eigentlich keinen Grund mehr, mit mir zu sprechen. Dann ginge es gar nicht mehr um sie, sondern es wäre von Anfang an ein bestimmtes Ziel im Blick. Das freie Suchen nach dem eigenen Weg, nach der eigenen Berufung funktioniert dann aber nicht mehr.
Frage: Kann man sich also einfach damit zufrieden geben, sich zurücklehnen und darauf ausruhen, dass es so wenige Priester und Ordensleute gibt?
Pater Clemens: Es geht ja nicht ums Zurücklehnen. Im Gegenteil: Die Berufungspastoral ist heute die Form von Pastoral, in die die Kirche Geld und Personal investieren muss. Wir müssen Räume schaffen, wie junge Menschen das Evangelium kennenlernen können. Aber wenn sie Berufungspastoral verantwortlich machen wollen, dann müssen sie frei sein vom Zahlendruck. Sonst können Sie ihrem Gegenüber nicht gerecht werden.
Frage: Was kann Menschen helfen, offen zu sein für ihre Berufung?
Pater Clemens: Vor allem Stille. Stille ist wie der Stern, den die drei Sterndeuter gesehen haben und durch den sie dann das Jesuskind gefunden haben. In der Stille lösen sich Dinge, man kommt an die eigenen inneren Schätze. Nur Mut: Am Anfang mag die Stille ein wenig daher kommen wie ein Gespenst, aber es lohnt sich. Die Stille ist die große Freundin der Berufungssuche.
Schwester Magdalena: Und die zweite Freundin der Berufungspastoral ist die Großzügigkeit. Wir im Kloster Sießen haben regelmäßig Besucher im "Kloster auf Zeit" bei uns zu Gast. Und wir stellen einige Mitschwestern frei, für diese Gäste als Ansprechpartner einfach da zu sein. Wir schenken sozusagen Zeit. Und in dieser Großzügigkeit spüren die Gäste dann, hier will niemand was von uns, sondern etwas für uns. Deswegen kann sich in dieser Großzügigkeit etwas öffnen. Diese Großzügigkeit zeigt sich übrigens auch im Motto des Weltjugendtags: Maria sagt: Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lk 1,38). So gibt sich Maria großzügig hin.
Zu den Interviewpartnern: Schwester Magdalena Morgenstern ist Konventsverantwortliche im Mutterhaus der Franziskanerinnen von Sießen. Der Jesuit Clemens Blattert leitet die Zukunftswerkstatt der Jesuiten in Frankfurt.
Berufungsgeschichte: Schwester Magdalena
Ich habe zwei wichtige Kindheits - und Jugenderfahrungen. Als ich vier Jahre alt war, habe ich mit meinem Freund Thomas gemalt. Und Thomas sagte: Der liebe Gott weiß ganz genau, welchen Stift du jetzt nimmst. Ich: Gut, dann nehme ich eben einen anderen. Aus dieser Episode entstand das Gefühl, Gott ist jemand, aber ich bin auch jemand und ich darf Entscheidungen treffen. Das war sehr wichtig für mich. Die zweite Geschichte: Ich war auf einer katholischen Schule. In der Fastenzeit wurde dort ein Getränkeautomat aufgestellt. Und ich wollte unbedingt eine Cola haben. Ich habe mit mir gerungen, was ich jetzt mache soll. Und dann bin ich auf eine glorreiche Idee gekommen: Gott ist ja der größte auf der Welt und es passiert nichts, was Gott nicht will. Wenn ich mir jetzt eine Cola-Dose kaufe, dann war es auch gut so. Als ich meiner Mutter von meiner "Lösung" erzählte, sagte sie: "Natürlich kannst Du machen, was Gott nicht will. Du bist doch frei." Da ist mir am Beispiel dieser unbedeutenden Cola-Dose klar geworden, dass ich empfindlich gegen die Liebe verstoßen kann. Ich kann Dinge tun, die anderen und mir wehtun.
Kurze Zeit später habe ich dann gebetet: Lieber Gott, es wäre so schön, wenn mein Wille und dein Wille sich ähnlich wären. Und dann habe ich angefangen zu fragen, was will Gott mit mir? Doch sehr lange dachte ich, dass meine Berufung die Ehe sei, dass sie der Weg sei, Gott mein Leben zu schenken. Aber ich stand zweimal kurz vor der Ehe und konnte nicht Ja sagen. Immer wenn es um die Entscheidung ging, bin ich innerlich unruhig und friedlos geworden. In Exerzitien ist mir klar geworden: Das geweihte Leben ist meine eigene Sehnsucht. Ab dann war ich offen für den Ruf Gottes. Und ich habe seinen Vorschlag für mein Leben angenommen. (Protokoll: gho)
Berufungsgeschichte: Pater Clemens
Auf meinem Berufungsweg gab es drei markante Puzzleteile. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich eine Kirchenmusik-Ausbildung gemacht und Gemeinschaft, Singen und Liturgie erlebt. Da kam zum ersten Mal der Gedanke: Warum eigentlich nicht Priester werden? Das ist doch einer, der dafür verantwortlich ist, dass Gemeinschaft entsteht und dass die Menschen nach oben, zu Gott hin, offen sind. Als ich 21 Jahre alt war, habe ich dann einen Text des Nazi-Widerstandskämpfers und Jesuiten Alfred Delp entdeckt. Darin steht der Satz: "Man muss die Segel seines Lebens in den unendlichen Wind Gottes stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind". Das hat mich unglaublich fasziniert. Und drittens habe ich dann etwas später selbst Exerzitien gemacht und dabei tief meine Berufung zum Clemens-Sein gespürt. Einfach nur zu dieser Person. Und da war mir klar: Diese Erfahrung, ja zu mir selbst sagen zu können, das möchte ich weitergeben. Dafür will ich Priester werden. (Protokoll: gho)