Strafmaß gegen Kardinal Pell verkündet
Der des Missbrauchs schuldig gesprochene australische Kardinal George Pell ist zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das Bezirksgericht von Victoria in Melbourne verkündete am Mittwoch das mit Spannung erwartete Strafmaß für den 77-Jährigen. Richter Peter Kidd sprach mit Blick auf Pells Alter von einer "nicht unerheblichen" Gefängnisstrafe. Er habe bei der Höhe der Haftstrafe das bis zu der Straftat unbescholtene Vorleben des Verurteilten berücksichtigt. Eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung sei nach drei Jahren und acht Monaten möglich.
Kidd warf dem Kardinal "atemberaubende Arroganz" vor und wies ihm eine "hohe moralische Schuld" zu. Pell habe seine Macht missbraucht und Vertrauen gebrochen. Der Richterspruch wurde live im Fernsehen übertragen und vor dem Gericht vom Applaus einiger Zuschauer begleitet. Kidd betonte, er habe sich bei der Festsetzung der Strafe ausschließlich von den Zeugenaussagen während des Prozesses leiten lassen. "Sie werden nicht zum Sündenbock für das Versagen oder vermutliche Versagen der katholischen Kirche gemacht", sagte er an Pell gerichtet.
Pell, der frühere Finanzminister des Vatikan, ist weltweit der ranghöchste katholische Würdenträger, der wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und verurteilt wurde. Er war im Dezember von einer Geschworenen-Jury für schuldig befunden worden, 1996 als Erzbischof einen 13 Jahre alten Jungen in der Sakristei der Kathedrale von Melbourne missbraucht und einen anderen belästigt zu haben. Der Geistliche beteuert seine Unschuld. Seine Verteidiger kündigten Berufung an; der Berufungsprozess könnte im Juni beginnen. Unterdessen droht Pell ein weiteres Verfahren. Ein 50-jähriger Mann plant laut australischen Medien eine Zivilklage gegen ihn. In dem weiteren Fall geht es um Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens in einem Schwimmbad in Pells Heimatort Ballarat in den 70er Jahren.
"Für mich gibt es noch keine Ruhe"
Mit emotionalen Worten kommentierte der Hauptbelastungszeuge die Verurteilung Pells. "Ich schätze es, dass das Gericht gewürdigt hat, was mir als Kind angetan wurde", hieß es in einer Erklärung, die die Anwältin des Mannes, dessen Aussage zur Verurteilung des Kardinals geführt hatte, am Mittwoch verbreitete. "Allerdings gibt es für mich noch keine Ruhe. Das alles wird von der bevorstehenden Berufung überschattet", sagte der nur unter dem Kürzel "J" bekannte Mann weiter. In australischen Medien kritisierten Missbrauchsopfer das Urteil als "zu milde". In den Sozialen Netzwerken bezeichneten Nutzer die Strafe für Pell ebenfalls als "zu leicht".
Der Kardinal war von dem Geschworenengericht aufgrund einer einzelnen Zeugenaussage schuldig gesprochen worden. Weitere Indizien oder Hinweise gab es nicht. In australischen Medien führte der Schuldspruch zu einer kontroversen Debatte darüber, ob Pell tatsächlich eine Schuld nachgewiesen werden konnte.
Pell war seit 2014 Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariates und damit eine Art "Finanzminister des Papstes". Wegen der Strafrechtsprozesse gegen ihn war er bereits seit Juni 2017 von Papst Franziskus als Finanzchef beurlaubt; vor kurzem endete seine reguläre fünfjährige Amtszeit. Die Ausübung seines priesterlichen Amtes in der Öffentlichkeit wurde ihm durch den Vatikan untersagt.
Vor seiner Zeit im Vatikan war der dem konservativen Kirchenflügel zugerechnete Pell Erzbischof von Melbourne (1996-2001) und Sydney (2001-2014). Von 1990 bis 2000 war er Mitglied der Römischen Glaubenskongregation. (tmg/KNA)
13.3., 8:50 Uhr: Ergänzt um Absatz 4 und in den Absätzen 2 und 3.