Trierer Heilig-Rock-Tage: Feiern ohne Wallfahrt
Wer die Hauptattraktion des Trierer Doms, den Heiligen Rock – die Tunika Jesu – sehen will, hatte dazu in den vergangenen 200 Jahren genau sechs Mal die Möglichkeit: 1844, 1891, 1933, 1959, 1996 und 2012 wurde das Gewand im Rahmen einer Wallfahrt gezeigt. Ansonsten ruht die Reliquie in einen Schrein geschlossen in der Heilig-Rock-Kapelle der Kathedrale. 1196 wurde der Heilige Rock erstmals erwähnt. Für das Bistum der damaligen Zeit war er ein wichtiges Pfund gegen die Abtei Prüm, die seit 752 im Besitz der Sandalen Christi ist. Öffentlich gezeigt wurde die Tunika erstmals 1512, seitdem gab es in größer werdenden Abständen Wallfahrten. Die Echtheit der Reliquie ist bis heute hoch umstritten. Dennoch wurde die Heilig-Rock-Wallfahrt 1891 zu einem internationalen Medienereignis, zwei Millionen Pilger kamen.
Die Abstände zwischen den Wallfahrten sind zum Teil recht groß, dennoch waren die Pilgerfahrten stets "ein Kristallisationspunkt für das Bistum", sagt Pressesprecherin Judith Rupp. Deshalb kam im Umfeld der Wallfahrt 1996 die Idee zu jährlichen Treffen auf. Die Tunika selbst ist dabei im Gegensatz zu den Wallfahrten nicht zu sehen, die Kapelle aber zu Gebet und Besinnung geöffnet. Dass die Reliquie nicht gezeigt wird, hält Rupp nicht für ein großes Problem: "Sie ist ja eher ein hinweisendes Zeichen auf Jesus Christus", sagt sie. Vielmehr sollten die Tage von Anfang an ein Bistumsfest sein, das 1997 zum ersten Mal stattfand. Beginn ist seitdem stets am Fest des Heiligen Rocks, dem Freitag nach dem Weißen Sonntag. Ab dann wird zehn Tage gefeiert.
Das Konzept der Tage setzt auf ein geistliches und ein kulturelles Programm: Jeden Tag wird mittags die Kapelle geöffnet, am Nachmittag gibt es ein Pontifikalamt und den Tag beschließt um 21 Uhr ein Abendlob aus Gebeten und Musik. Daneben gibt es jeden Tag Konzerte. Thematisch wendet sich das Treffen an unterschiedliche Zielgruppen: So stehen je nach Tag Ehrenamtler, Frauen, Ehejubilare, Menschen mit Behinderung oder Priester im Mittelpunkt. Für sie werden beispielsweise Workshops und Gesprächsrunden organisiert. Die Diskussionen stehen aber nicht im Vordergrund, sagt Rupp. "Es geht mehr darum, bei Musik und Kultur den Glauben miteinander zu teilen und zu feiern."
Kirchenreform im Fokus
Doch in der derzeitigen Umbruchsituation bleibt die (Kirchen-)Politik nicht ganz außen vor: Wie andere Diözesen auch hat das Trierer Bistum einen Reformprozess angestoßen, um die kirchlichen Strukturen den veränderten Gegebenheiten von weniger Priestern und Gläubigen anzupassen. In Trier geschah das in Form einer Diözesansynode. Diese beschloss, aus den bisher 887 Pfarreien künftig 60 "Pfarreien der Zukunft" zu machen, später wurde diese Zahl auf 35 reduziert. Die ersten sollen mit dem Jahreswechsel 2020 entstehen. Das führte zu teils lautstarken Protesten, die unter anderem bemängelten, das Gemeindeleben vor Ort würde durch diese Strukturen aussterben.
Um diesen Vorwürfen und Ängsten zu begegnen, gibt es während der Heilig-Rock-Tage einen Aktions- und Informationsraum: In der St.-Antonius-Kirche wird eine Art Ausstellung mit Informationen zum neuen Strukturkonzept aufgebaut, außerdem präsentieren sich dort Projekte, die schon überregional vernetzt sind, also nach den von der Synode geforderten Grundsätzen arbeiten. Die Synode ist als Symbol stets präsent: Das Abschlussdokument erschien unter dem Motto "Herausgerufen" – das ist seitdem auch das Leitwort der Heilig-Rock-Tage, jeweils ergänzt um einen anderen Untertitel. So ging es etwa im vergangenen Jahr passend zum 200. Geburtstag von Karl Marx um den Wert der Arbeit. Dieses Mal lautet die Überschrift "Du schaffst unseren Schritten weiten Raum!" und nimmt Bezug auf Psalm 18. Der Trierer Bischof Stefan Ackermann schreibt in seinem Grußwort, der "weite Raum" gebe die Freiheit, über bisherige Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. "Und er fordert uns heraus, Seelsorge neu zu denken, Verantwortlichkeiten neu zu definieren und unsere Bilder von Pfarrei und Gemeinde zu überprüfen. So weist das Leitwort auf eine Spannung hin, in der wir derzeit stehen, und drückt gleichzeitig eine Hoffnung aus." Auch im Programm der einzelnen Gruppen wird die Kirchenstruktur eine Rolle spielen: So ist etwa am Priestertag der Erzbischof der brasilianischen Diözese São Paulo, Odilo Pedro Scherer, zu Gast. In südamerikanischen Bistümern gibt es schon lange Pfarreien mit großer Fläche, die in mancher Hinsicht Vorbild für Großpfarreien hierzulande sein können.
Seit der ersten Ausgabe 1997 hat sich die inhaltliche Arbeit an den Tagen verstärkt, beobachtet Judith Rupp, "das Programm hat sich sehr geweitet". Von Anfang an ein wichtiger Punkt ist die Ökumene: Wie bei der schon in den 1990er Jahren konfessionsübergreifend gefeierten Wallfahrt sind auch die Heilig-Rock-Tage von der Ökumene geprägt, so wird es in diesem Jahr einen ökumenischen Gottesdienst geben und der Trierer Bischof wird konfessionsverbindende Ehepaare treffen.
Geschichte einer umstrittenen Wallfahrt
Dieses friedliche Zusammenfeiern der beiden Konfessionen ist vor allem im Hinblick auf den Heiligen Rock keinesfalls eine Selbstverständlichkeit: 1545 warnte Martin Luther vor der "Bescheißerei" in Trier. "Und das noch das Allerärgest ist, dass sie die Leute hiemit verführet und von Christo gezogen haben, auf solche Lügen zu trauen und bauen." Eine Kritik, die es im 19. Jahrhundert auch von katholischer Seite gab. Der Priester Johannes Ronge kritisierte die Trierer Wallfahrt 1844 mit den Worten, dass die meisten Pilger einfache Leute seien, "aus den niedern Volksklassen, ohnehin in großer Armut, gedrückt, unwissend, stumpf, abergläubisch und zum Theil entartet". Diese würden durch die Wallfahrt unnötig in Unkosten gestürzt. Die Äußerung führte zu Ronges Exkommunikation und der Gründung der deutschkatholischen Bewegung.
Bis heute ist der Heilige Rock im Bistum präsent und zieht Gläubige wie Touristen gleichermaßen in die älteste Bischofskirche Deutschlands. Wann es die nächste Wallfahrt gibt und die Tunika gezeigt wird, entscheidet das Domkapitel – offiziell gibt es noch keinen neuen Termin. Beobachter tippen auf das Jahr 2033, den 2000. Todestag Jesu. Doch das bleibt Spekulation, zu der auch Bistumssprecherin Judith Rupp nicht mehr sagen will. Sie blickt zunächst auf die am 3. Mai beginnenden Heilig-Rock-Tage. Dazu wird zwar kein Millionenpublikum erwartet, mit etwa 35.000 Menschen rechnet das Bistum aber schon.