"Von jedem Kreuz kenne ich die Geschichte"
Misstrauisch schaut Max zur Tür, späht mit seinen gelben Augen, die so sehr aus dem schwarzen Fell hervorstechen, in Richtung Türe. Herein kommt Herrchen Rainer Propson mitsamt zwei Besuchern - kein Grund also für den Kater, den Neuankömmlingen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. So bleibt er entspannt auf dem blau-weiß gepolsterten Holzstuhl liegen, wie ein stiller Wächter inmitten unzähliger Kruzifixe.
Große, kleine, hölzerne, filigrane Kreuze
Auf Tischen, in Kästen, an den Wänden: überall Kreuze. Große, kleine, hölzerne, blecherne, schlichte, pompöse, filigrane, grobe, traubenbehangene, selbst haarumrankte Kruzifixe, mit Christus-Corpus und ohne - schier unendlich scheint ihre Zahl. Es ist eine Herausforderung für die Augen, in dem 200 Quadratmeter großen Raum einen Fixpunkt zu finden. Traditionelle handwerklich gefertigte Kreuze aus der Eifel hängen zwischen koptischen Kreuzen aus Ägypten, neben griechich-orthodoxen, russisch-orthodoxen und Jerusalemer Kruzifixen.
"Wir zeigen zur Zeit rund 1.100 Kreuze, aber wir haben noch Hunderte auf Lager", erzählt Propson. Alleine im Außenbereich, im Hof des Museums, stehen und hängen rund 500 der Heilszeichen. Von der Straße aus gut sichtbar prangt an der Seitenwand ein großes Kruzifix vor blauem Hintergrund; es ist die Nachbildung einer Vorlage aus dem Kloster Sankt Peter im Schwarzwald. Dort zeigt eine meterhohe traditionelle Darstellung den bekehrten römischen Soldaten Longinus an der Seite Jesu. "Dieses Longinus-Kreuz hat mir so imponiert, dass wir es hier in etwa zu 80 Prozent nachbauen", erklärt Propson.
Zu diesem Zwecke hat er Haselnussäste gesammelt und mit großer Liebe zum Detail passend geschnitten, gestrichen und zusammengenagelt. "Weil Jesus 33 Jahre alt wurde, bringen wir 33 Symbole der Kreuzigung an, darunter die Würfel, der Beutel des Judas mit den 33 Silberlingen, die Leiter, die Zange und Nägel. "
Aber wie kommt ein 58-Jähriger aus dem Eifelkreis Bitburg-Prüm dazu, binnen weniger Jahre ein solches Museum der Volksfrömmigkeit aufzubauen?
Lange Leidenschaft
Rainer Propson und seine Frau Anita, 56 Jahre alt, leben im 580-Seelen-Dorf Lünebach, einem prosperierenden Ort mit eigener Bäckerei, mehreren Firmen und zwei Attraktionen: dem 1972 errichteten Eifelzoo und dem noch jungen, erst 2016 eröffneten Kreuzmuseum. Doch die Leidenschaft Propsons für Kreuze reicht viel länger zurück.
Angefangen hat alles im Jahr 1966, als die baufällige Lünebacher Kirche in Teilen abgerissen und neu gebaut werden musste. Als Bub, so erinnert sich der nach eigenen Worten "tief religiöse" Mann, habe er nicht verstehen können, dass mehrere Kreuze wegkommen sollten. Propson versteckte sie also in der Scheune eines Onkels, ohne dass die Eltern das wussten. "Damit hat es angefangen - nicht aus Sammelleidenschaft, sondern weil ich überzeugter Katholik bin. "
Das Museum ist keine öffentliche Einrichtung, sondern eine privat finanzierte Initiative der Eheleute, sozusagen das Hobby der Propsons. In Lünebach kauften sie Anfang des Jahrtausends ein altes Haus direkt am Prümtalradweg und bauten es 2003 um; aus einem alten Kuhstall mit Scheune wurde das "Cafe 1900". Möbel, ein alter Ofen, historische Küchengeräte versprühen den Charme vergangener Zeiten - und natürlich Kruzifixe, Engel und Bilder. Das Cafe ist ein Nebenerwerb des kinderlosen Paares, das eine Messeagentur für Märkte und Events betreibt.
Würdevolle Bleibe
Weil sich die Sammelleidenschaft für Kreuze irgendwann herumsprach, kamen immer mehr Menschen auf die Beiden zu. 2014 überstand Rainer Propson eine Tumor-OP - und fasste in der Zeit seiner Regeneration einen Entschluss. Auf seinem Grundstück, keine 15 Meter vom Cafe entfernt, würde er einen Neubau errichten, um den Kreuzen eine dauerhafte und würdevolle Bleibe zu schaffen.
Es sind keine goldenen oder mit Edelsteinen besetzten Kruzifixe, für die sich das Paar interessiert. Materiell kostbare Schätze finden sich in dem Museum kaum - vielmehr volkstümliche Kreuze, die einen hohen immateriellen Wert besitzen. Etwa das "Aleppokreuz": Materialwert fast bei Null. Doch es verbigt sich eine Geschichte hinter dem unscheinbaren, völlig verformten und verbogenen Metallwerk. "Da kommen eines Sonntagabends zwei Motorradfahrer mit ihren Harleys angefahren", erzählt Propson; "die Figuren, die drauf saßen, waren entsprechend. Und da sagt der Mann mit dem dichtem Bart zu mir: Zu dir wollen wir! " Breitete sich nicht ein Grinsen im Gesicht des Eifelers aus, würde man denken, zwielichtige Gestalten hätten ihn da vor ein paar Jahren heimgesucht. Doch es waren nicht etwa Gangmitglieder, sondern höchst seriöse Menschen: Zwei medizinische Helfer, die seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs mehrfach für die Vereinten Nationen in Aleppo tätig waren.
Linktipp: Das Kreuzzeichen
Wir machen es wie selbstverständlich zum Gebet und zu anderen Anlässen: Das Kreuzzeichen. Doch woher kommt dieses Symbol?"Die haben die ganzen Granatsplitter, die sie aus den Körpern Schwerverletzter herausoperiert haben, zu einem Kreuz zusammengefasst", erzählt Anita Propson. Durch Zufall wurden die Mediziner auf das Museum aufmerksam und entschieden sich, bei einem Urlaub dort vorbeizufahren und es abzugeben. Zahlreiche Kreuzspenden erhalten die Propsons von Einzelpersonen, aber auch von Gemeinden, Kirchen und Klöstern. "Da sind mittlerweile solche Unikate drin - das ist sagenhaft. "
Es gibt individuelle Kreuze armer Moselwinzer, die im 18. Jahrhundert von Familien aus Rebstöcken gefertigt wurden, aber auch industriell produzierte Massenware von Devotionalienhändlern des 19. Jahrhunderts. "Die Händler aus dem Wallfahrtsort Kevelaer gingen den Matthiasweg zum Trierer Apostelgrab entlang, 1,95 Mark das Kreuz. Ihre Devotionalien landeten dann in Pfarrhäusern oder Läden der Eifel", erklärt Propson.
Über Jahrzehnte hat sich viel Fachwissen bei ihm angesammelt. "Von jedem Kreuz kenne ich die Geschichte; ich schaue auf den Gekreuzigten und sehe anhand der Bein- oder Schädellage, was für ein Typ es ist, wo er herkommt und aus welcher Zeit er stammt. "
"Mit der Zeit gehen heißt nicht, in der Kirche Gitarre zu spielen"
Es wurden auch schon Messen im Museum gefeiert; regelmäßige Kirchgänger sind die Propsons aber nicht, weil sie mit liturgischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fremdeln: "Mit der Zeit gehen heißt nicht, dass man in der Kirche zum Beispiel Gitarre spielt. In Ländern wie Polen erlebe ich eine ganz andere Spiritualität", beklagt Rainer.
Verwurzelt sind sie dennoch in ihrer Heimatgemeinde. "Wir verschenken gerne Kreuze oder einen Engel an Besucher oder an ein Kommunionkind aus dem Dorf", sagt Anita. "Bei den Kindern sind aber auch Weihwasserkessel beliebt. Ich sage den jungen Leuten dann: Behalte ihn, und bewahre ihn in deinem Herzen!"