Warum der Papst in Bayern freie Hand hat
In Bayern ticken auch die Kirchenuhren anders, zumindest wenn es um die Ernennung von Bischöfen geht. Allerdings ist die übliche Rollenverteilung in diesem Fall auf den Kopf gestellt: Der Freistaat ist in der katholischen Kirche der Normalfall und der Rest der Bundesrepublik die Ausnahme. Die Bayern sind die Zentralisten, die anderen die Föderalisten.
Denn für den Freistaat gilt bis heute ein eigener Staatskirchenvertrag, das bayerische Konkordat vom 29. März 1924. Und das unterscheidet sich gerade bei Bischofsernennungen erheblich von den beiden anderen hier einschlägigen Verträgen für Deutschland: dem preußischen und dem badischen Konkordat.
Bayern nah am weltkirchlichen Standard
In den sieben bayerischen Bistümern hat der Papst – anders als sonst in Deutschland – bei der Auswahl neuer Bistumsleiter weitgehend freie Hand. Damit entspricht die Situation hier annähernd dem weltkirchlichen Standard. Die Domkapitel haben in Bayern bei Bischofsernennungen hingegen nur ein sehr eingeschränktes Vorschlagsrecht. Anders als etwa die Domkapitel in Köln oder Freiburg konnte das Augsburger Domkapitel keinen Kandidaten aus einer Dreierliste des Vatikans auswählen, der dann vom Papst bestätigt werden musste. Die bayerischen Domkapitel können lediglich eine Liste mit aus ihrer Sicht geeigneten Kandidaten beim Vatikan einreichen. Weitere Listen senden, wie andernorts auch, die Bischöfe der benachbarten Bistümer ein, die zu einer Kirchenprovinz gehören.
Linktipp: Bertram Meier im Porträt: Das ist der neue Bischof von Augsburg
Ein Einheimischer wird neuer Bischof in Augsburg: Mit dieser Neuigkeit überraschte Papst Franziskus am Mittwoch. In Rom ist der Auserkorene freilich kein Unbekannter. Wir stellen den neuen deutschen Oberhirten Bertram Meier im Porträt näher vor.Dass der Papst heute im Freistaat weitgehend freie Hand hat, verdankt er der Rom-Treue der bayerischen Bischöfe in der Weimarer Republik. Nachdem die Revolution die Monarchien in Deutschland 1918 hinweggefegt hatte, musste das Verhältnis zwischen Kirche und Staat neu geregelt werden. In Bayern hatte das alte Konkordat von 1817 festgelegt, dass der König die Bischöfe nominiert, so wie es auch in anderen katholischen Monarchien üblich war. Die Frage war nun, ob dieses Recht nach dem Wegfall der Monarchie allein dem Papst zustehen sollte, oder aber den Domkapiteln, wie es seit dem 19. Jahrhundert in Preußen geregelt war. Weil die Hohenzollern-Dynastie evangelisch war, hatte ihr Rom kein Nominierungsrecht für Bischöfe zugestehen wollen. Weil die Hohenzollern jedoch ihrerseits Rom nicht die alleinige Zuständigkeit für Bischofsernennungen geben wollten, hatte man sich als Kompromiss darauf geeinigt, dass die Domkapitel die Bischöfe nominieren.
Als es in der Weimarer Republik um die Neuregelung der Bischofsernennungen ging, hatten außerbayerische Domkapitel den Vatikan mit Unterstützung des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Breslaus Erzbischof Adolf Bertram, dazu aufgefordert, die freien Bischofswahlen durch die Domkapitel beizubehalten. Diese Forderung widersprach jedoch dem 1917 in Kraft getretenen neuen Kirchenrecht. Der sogenannte Codex Iuris Canonici sah die freie Ernennung der Bischöfe durch den Papst vor.
Die bayerischen Bischöfe schlugen sich auf die Seite des Kirchenrechts und plädierten für eine starke Rolle des Papstes bei den Bischofernennungen. Einige bayerische Domkapitulare wollten sich damit zwar nicht abfinden und versuchten ohne Wissen ihrer Bischöfe ebenfalls ein freies Bischofswahlrecht der Domkapitel durchzusetzen. Das verhinderten die bayerischen Bischöfe mit Hilfe des Apostolischen Nuntius in Bayern, Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. (1939-1958), jedoch erfolgreich.
Nicht zuletzt auch weil ein Konkordat mit dem Deutschen Reich insgesamt nicht in Sicht war, entschloss sich Bayern eigene Vertragsverhandlungen mit dem Vatikan aufzunehmen. Das bayerische Konkordat gilt nicht nur für die sieben bayerischen Bistümer München und Freising, Passau, Eichstätt, Augsburg, Würzburg, Bamberg und Regensburg, sondern auch noch für ein nichtbayerisches Bistum: das Bistum Speyer. Denn das gehörte zum Königreich Bayern, als 1817 das erste Konkordat abgeschlossen wurde. Diesen Geltungsbereich haben die Vertragspartner 1924 beibehalten.
Kurze Sedisvakanzen, wenige bayerische Eigengewächse
Vergleicht man die Bischofernennungen in Bayern mit jenen in anderen Bistümern, fallen vor allem zwei Dinge auf: Erstens sind die Bischofsstühle in der Regel kürzer vakant, als in Diözesen für die das preußische oder badische Konkordat gilt. Im Fall von Augsburg dauerte es knapp sieben Monate, bis mit Bertram Meier ein Nachfolger für den im Juli 2019 aus Altersgründen zurückgetretenen Konrad Zdarsa ernannt wurde – in Würzburg waren es gar nur fünf Monate, bis im Februar 2018 Franz Jung zum Nachfolger von Friedhelm Hofmann bestimmt wurde. Und zweitens werden in Bayern deutlich seltener Eigengewächse der Bistümer zu Bischöfen. Vor dem designierten Oberhirten Meier, der aus dem Diözesanklerus kommt, saß seit Abschluss des Bayern-Konkordats mit Josef Stimpfle (1963-1992) nur ein Augsburger auf dem dortigen Bischofsstuhl. Auch in anderen bayerischen Bistümern kamen deutlich weniger Einheimische zum Zuge als außerhalb Bayerns. In Paderborn und Freiburg kamen sogar alle Bischöfe nach dem Krieg aus dem eigenen Bistum.
Dass ein bayerischer Bischof im Jahr 2005 sogar Papst wurde, hat allerdings nichts mit dem bayerischen Konkordat zu tun. Oder besser: fast nichts. Joseph Ratzinger wurde am 29. Juni 1951 vom Münchener Kardinal Michael von Faulhaber zum Priester geweiht, jenem Kardinal, der 27 Jahre zuvor maßgeblich am Zustandekommen des bayerischen Konkordats beteiligt war.
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Februar 2018 und wurde aktualisiert.