Warum ein Priester die Toiletten anderer putzt
Frage: Pfarrer Thillainathan, Sie sind mit 17 in ein Kloster eingetreten? Warum?
Thillainathan: Es gab einschneidende Erlebnisse in meiner Jugend, ganz konkret ein Suizid in meinem Freundeskreis. Das hat mich sehr erschüttert. In einem Gottesdienst hörte ich dann den Satz, der alles veränderte: "Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben." Ich stellte fest, dass ich großes Glück in meinem Leben hatte: meine Eltern mussten wegen des Bürgerkrieges aus ihrer Heimat Sri Lanka nach Deutschland fliehen, ich hingegen bin wohlbehütet und glücklich zufrieden in Deutschland aufgewachsen. Mir war klar, dass ich reich beschenkt war. Jetzt wollte ich auch etwas von dem Glück, das ich erfahren hatte, weitergeben.
Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?
Thillainathan: Es gab erst einmal Riesenärger zu Hause. Meine Eltern waren sehr traurig darüber, dass ich ins Kloster gehen will. Doch dann haben sie es mir erlaubt, weil sie davon ausgingen, dass ich es dort nicht lange aushalten werde. "Du wirst schon sehen, dass das auf Dauer nichts für dich ist", meinten sie. Ich wusste aber, dass das mein Weg war. Ich wollte mein Leben mit Sinn füllen und ich fand, dass ein Leben in einer Ordensgemeinschaft genau das Richtige für mich ist. Im Neusser Sebastianuskloster habe ich mich damals wohl gefühlt und ich habe unglaublich viel gelernt.
Frage: Wie ging es dann weiter?
Thillainathan: Ich ging weiterhin zur Schule, wohnte aber im Kloster bei meinen Mitbrüdern. Es galten für mich natürlich die gleichen Regeln und manches, wie etwa die Stufenfahrt, wurde gestrichen. Aber damit konnte ich leben. Nach drei Jahren bin ich allerdings mit Blick auf die Auflösung des Klosters nach Bonn gezogen. Während des Theologiestudiums bin ich auf dem weiteren Weg auf das Beispiel Mutter Teresas gestoßen.
Frage: Was haben Sie konkret gemacht?
Thillainathan: Das Studium allein genügte mir jetzt nicht mehr. Ich bewarb mich für ein Freisemester in Indien, in einem der Sterbehäuser der Missionarinnen der Nächstenliebe. Dort in Pune hat es mich dann schließlich richtig gepackt. Die Schwestern haben mir gezeigt, was es heißt, echte Liebe für die Ärmsten der Armen zu empfinden und diese zu leben. Schade, dass ich Mutter Teresa selbst nie kennen gelernt habe. An einen Satz von ihr denke ich oft: "Nicht jeder von uns kann große Dinge tun. Aber wir alle können kleine Dinge mit großer Liebe tun."
Frage: Warum gibt es Sterbehäuser in Indien?
Thillainathan: In Indien leben zwar viele Menschen oft in Großfamilien. Aber aufgrund von Armut und mangelhafter ärztlicher Versorgung kommt es vor, dass Menschen sogar ihre Verwandten, die im Sterben liegen, einfach auf die Straße legen, weil sie sich nicht um sie kümmern können. Manchmal werden die Menschen aber auch von den anderen verstoßen, weil sie eine ansteckende Krankheit haben. Die Ordensfrauen nehmen diese abgelegten Armen in ihre Sterbehäuser auf. Es gibt einen Krankenwagen, der regelmäßig durch die Slums fährt und die Menschen aufsammelt und in die Einrichtungen bringt. Dort können die Menschen ihre letzten Stunden oder Tage in Würde verbringen.
Frage: Welche Aufgaben haben Sie im Sterbehaus übernommen?
Thillainathan: Ich bin mit dem Krankenwagen mitgefahren und habe die Menschen mit von der Straße geholt. Im Sterbehaus selbst habe ich die Kranken gewaschen, sie gepflegt, ihre Wunden versorgt oder den Verband gewechselt. Auch in der Küche habe ich mitgeholfen und das Essen verteilt. Sehr oft habe ich auch die Toiletten und verschmutzten Latrinen geputzt. Das war keine leichte Aufgabe, aber es musste nun mal gemacht werden. Gerade in den ersten Wochen habe ich gedacht, dass ich das alles nicht mehr schaffe. Das war so ein Gestank und ich war mit vielen Eindrücken vollkommen überfordert. Viele Rahmenbedingungen, die ich aus Deutschland kenne, waren in den Sterbehäusern nicht vorhanden.
Frage: Es gibt Kritik an den Sterbehäusern von Mutter Teresa. Zu wenig Hygiene, unzureichende medizinische Versorgung und zu viel Mission? Wie haben Sie das erlebt?
Thillainathan: Die Schwestern leisten dort eine sehr wertvolle Arbeit. Sie kümmern sich rührend um die Sterbenden. In den Einrichtungen geht es vor allem um kurzfristige Soforthilfe. Ich habe die leidenden Menschen erlebt und ihre Armut gesehen, es war manchmal überlebenswichtig, ihnen sofort zu helfen. Es waren zwischendurch auch Ärzte da, die freiwillig eine medizinische Versorgung leisteten. Aber diese ärztliche Hilfe ist eine andere, als die, wie wir sie in der westlichen Welt gewohnt sind. Es gibt dafür in bestimmten Gegenden Indiens schlichtweg keine Strukturen, auch nicht, um die Menschen aus der Armutsspirale zu holen. Es war also eher ein Versorgen, um des Versorgens willen statt großartige Konzepte zu entwerfen.
Frage: Manche behaupten, dass die Sterbenden noch kurz vor ihrem Tod von den Schwestern missioniert werden? Stimmt das so?
Thillainathan: Oh nein, die Schwestern haben nie im negativen Sinne "missioniert", zumindest habe ich das nicht mitbekommen. Dazu blieb auch viel zu wenig Zeit. Die Schwestern haben sich eher darum bemüht, jeden Einzelnen bis zu seinem Lebensende gut zu versorgen und bei ihm zu sein. Wenn ein Arzt den baldigen Tod eines Patienten feststellte, dann hat sich eine Schwester zu ihm ans Bett gesetzt und für ihn gebetet. Meistens leise. Da war es dann egal, ob jemand Hindu oder Christ war, denn die Schwestern bemühen sich in den Leidenden Christus selbst zu erkennen und ihm zu dienen. Und für die Sterbenden war schon allein die Tatsache, nicht allein auf einer Straße sterben zu müssen, ein Zeichen der Liebe und ein Ausdruck ihrer Würde.
Frage: Was haben Sie dort im Sterbehaus für Ihr Leben gelernt?
Thillainathan: Ich habe gelernt, dass Dienen keine nette, romantische Idee ist, sondern wehtun kann und auch wehtun darf. Dienen verlangt immer etwas von mir ab und es ist erst dann ein echter Liebesdienst, wenn ich es ernst damit meine und die Konsequenzen trage. Und ich habe gelernt, dass das Dienen etwas zutiefst Geistliches ist. Gebet und Dienst gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Damals habe ich mich entschieden, dass ich ab jetzt genau dies leben wollte.
Frage: Sie wurden später Priester, gehören der "Corpus-Christi-Bewegung" an und leiten die Berufungspastoral in Köln. Inwiefern dienen Sie heute?
Thillainathan: Als ich Diözesandirektor für die Berufungspastoral werden sollte, war meine erste Bitte an den neuernannten Kölner Erzbischof Kardinal Woelki, ob wir einige Änderungen vornehmen können. Ursprünglich waren zum Beispiel meine Vorgänger auch Subregenten im Priesterseminar und haben dort gelebt. Das war aber nicht so mein Ding. Kardinal Woelki kannte mich und er kannte unsere Bewegung. Er kam auch selbst mit vielen überraschenden Innovationen in der Berufungspastoral zu uns nach Köln. So konnten wir gemeinsam recht unkompliziert verschiedene Veränderungen umsetzen und für mich ist es gerade in dieser Zeit ein Dienst für Gott und die Menschen. Seit drei Jahren lebe ich nun in einer WG in Bonn mit zwei Studierenden zusammen und das klappt gut. Wir teilen unseren Alltag miteinander und jeder bringt sich ein. Die Firmvorbereitung in den Gemeinden vor Ort habe ich als Ehrenamt übernommen und versuche dort mit den jungen Menschen im Gespräch und im Austausch zu bleiben. Als Priester der Corpus-Christi-Bewegung bin ich mir jeden Tag bewusst, dass ich den Auftrag habe, anderen zu dienen, wo immer meine Hilfe gebraucht wird und Christus in den Armen zu entdecken. Aber es geht hier keineswegs nur um eine materielle Armut, sondern vielmehr um eine geistige, geistliche Armut. Mutter Teresa hat immer wieder auf den Ruf Jesu am Kreuz hingewiesen: "Mich dürstet." Ich versuche nichts anderes als diesen Ruf zu hören und umzusetzen.
Frage: Leben Sie auch in Armut?
Thillainathan: Armut und Einfachheit fangen für mich damit an, dass ich mich schon bei jedem Einkauf frage, ob ich das wirklich brauche und meistens brauche ich vieles nicht. Oder wie ich meine Freizeit verbringe und wofür ich mein Gehalt ausgebe. Das Geld, das ich so einspare, gebe ich unter anderem an die Missionarinnen der Nächstenliebe weiter. Ich besitze zum Beispiel auch keinen eigenen Primizkelch. Das Geld haben damals meine Familie und meine Gemeinde stattdessen für die Einrichtung von Kinderheimen gespendet. Ich habe ein schlichtes Messgewand, einen Talar und ein Rochett geschenkt bekommen, das genügt. Ich bin nicht geizig und ich finde, dass man nie an der Liturgie sparen darf, aber warum sollte ich einen Schrank voll mit Messgewändern haben? 2017 habe ich einige Wochen auf dem Mittelmer als Flüchtlingsretter an Bord eines Schiffes einer maltesischen Hilfsorganisation verbracht. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, nicht nur abzuwarten, sondern selbst zu helfen.
Frage: Wann ist Ihre nächste Reise nach Indien geplant?
Thillainathan: Wir reisen Anfang September für unsere Exerzitien mit allen Mitbrüdern der Corpus Christi Bewegung nach Kalkutta. Ich bin schon etwas früher dort und werde in den Einrichtungen der Missionarinnen der Nächstenliebe mitarbeiten.
Frage: Werden Sie dann wieder die Toiletten putzen?
Thillainathan: Ja, warum nicht? Da ist doch nichts Besonderes dran. In jeder Familie wird dieser Dienst auch verlangt. Ich glaube, gerade wir als Priester sollten die Einfachheit des Lebens und das Dienen selber vorleben, statt sie nur zu predigen. Oder wie Franziskus mal sagte: "Predige das Wort zu jeder Zeit; wenn nötig, benutze Worte." Damit erreichen wir viel mehr Menschen. Ich habe mich entschieden, das Evangelium bewusst in großer Einfachheit und im Dienst an den Ärmsten der Armen zu leben. Und ich kann dankbar behaupten: das erfüllt mich sehr.
Zur Person
Pfarrer Regamy Thillainathan (36) ist Priester im Erzbistum Köln. Er studierte Katholische Theologie in Bonn und Burgos in Spanien und am Päpstlichen Athenäum in Pune in Indien, wo er mit den Missionarinnen der Nächstenliebe von Mutter Teresa lebte und arbeitete. 2007 machte er sein Diplom an der Universität in Bonn. 2009 wurde er zum Priester geweiht. Seit 2015 ist er Direktor der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln. Dort ist er für die Beratung und Begleitung von jungen Menschen zuständig, die sich für einen Beruf in der Kirche oder eine geistliche Gemeinschaft interessieren. 2017 war Pfarrer Regamy auf einem Schiff der maltesischen Hilfsorganisation "Migrant Offshore Aid Station" zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer unterwegs.Die "Corpus-Christi-Bewegung"
Die "Corpus Christi Bewegung für Priester" wurde von der Ordensschwester und Missionarin Mutter Teresa gegründet, die 2016 von Papst Franziskus heiliggesprochen wurde. Der Bewegung gehören Weltpriester und Ordensleute an. Sie bemühen sich um einen einfachen Lebensstil und versuchen stets die Ärmsten der Armen in den Blick zu nehmen und ihnen zu dienen. Einmal jährlich finden gemeinsame Exerzitien statt, die die Spiritualität von Mutter Teresa in den Mittelpunkt stellen. Dieses Jahr führt eine Reise ab dem 3. September nach Kalkutta in Indien. Pfarrer Regamy wird auf dem Instagram-Account von katholisch.de über diese Reise berichten.Zu Gast bei Instagram
Vom 3.–9. September postet Pfarrer Regamy Thillainathan seine Eindrücke aus Kolkata auf dem Instagram-Account von katholisch.de.HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.