Neues Buch beleuchtet Schicksal katholischer Bausoldaten in der DDR

Wo Glaube und Kirche ein Riegel vorgeschoben wurde

Veröffentlicht am 20.02.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Jena ‐ Ein neues Buch beleuchtet die Geschichte der katholischen Bausoldaten in der DDR. Die Bischöfe hatten gegen den Wehrdienst im Sozialismus nichts einzuwenden, deshalb bekamen Wehrdienstverweigerer von der Kirche nur wenig Unterstützung.

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Im Eichsfeld hatten es die Kommunisten nicht leicht. Kaum eine Gegend war zu Zeiten der DDR so widerständig gegen alle Versuche der SED-Funktionäre, Kirche und Glauben aus den Köpfen und Herzen zu vertreiben. "Sozialistische Persönlichkeiten" sollten in der DDR erzogen werden. Die "Jugendweihe" war dafür ein wichtiges Mittel – doch viele Eichsfelder verweigerten sich diesem sozialistischen Ritual. Auch der Wehrdienst sollte seit seiner Einführung im Januar 1962 den sozialistischen Menschen weiter formen und zum Kämpfer gegen den Klassenfeind, die Konterrevolution und den Imperialismus ausbilden.

Felix Tasch hat jetzt mit seinem Buch "Eichsfelder Waffendienstverweigerer" erstmals ein wissenschaftliches Werk vorgelegt, das sich explizit mit Katholiken als Verweigerern des Waffen- oder Wehrdienstes befasst. "Bei der Recherche fiel mir auf, dass sich sämtliche Forschungsliteratur zu Waffendienstverweigerern in der DDR auf Personen und Ereignisse im Umfeld der evangelischen Kirchen oder der Freikirchen bezieht", sagt Tasch. Die Stellung und Einflussnahme der katholischen Kirche werde meist nur in einem Nebensatz abgehandelt. Die Idee, diese Lücke etwas zu schließen, sei ihm gekommen, weil er aus einer katholischen Familie und einem katholischen Umfeld – dem Eichsfeld – stamme, so Tasch.

Bischöfe empfahlen Gläubigen in der DDR "Rückzug in ein Ghetto"

Auf eine Strategie des "Überwinterns" oder des "Rückzugs in ein Ghetto" hatten die katholischen Bischöfe die Gläubigen ihrer Kirche in der DDR eingeschworen. In einem schriftlichen Grußwort an die Jugend vom Mai 1953 appellierten sie an die katholischen Christen, das ihnen angetane Leid still zu ertragen, berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen und auf das Ende der Diktatur zu hoffen. Nach der Einführung der Wehrpflicht konstatierte die Berliner Ordinarienkonferenz im Februar 1962 in einer Stellungnahme, die nur für den "innerkirchlichen Dienstgebrauch" bestimmt war, dass auch die DDR das Recht habe, einen obligatorischen Wehrdienst einzuführen. Das Recht auf freie Religionsausübung würde vom Wehrgesetz nicht beschnitten, ebenso werde der Text des Fahneneides wegen des fehlenden Gottesbezuges als nicht-religiöser Akt angesehen.

Eine DDR-Fahne wird am Freitag (13.08.2010), dem 49. Jahrestag des Mauerbaus, vor dem Brandenburger Tor in Berlin gehalten
Bild: ©picture alliance / dpa / Rainer Jensen

"Sozialistische Persönlichkeiten" sollten in der DDR erzogen werden. Der Wehrdienst war dafür ein wichtiges Mittel.

Damit machten es sich die Bischöfe leicht. Denn viele Christen stürzte die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in heftige Gewissensnöte. Die Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges waren erst 17 Jahre her, die Mauer in Berlin erst ein halbes Jahr alt. Einen zivilen Wehrersatzdienst wie in Westdeutschland gab es nicht. Der Dienst als Bausoldat war somit die einzige Möglichkeit, den eigentlich obligatorischen Dienst an der Waffe in der DDR zu verweigern. Im September 1964 wurde dieser Dienst durch eine Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR eingeführt. Dass es überhaupt zu einer Sonderreglung im Umgang mit Wehrdienstverweigerern kam, ist in erster Linie den 1.550 Wehrpflichtigen zu verdanken, die in den ersten beiden Jahren nach Einführung der Wehrpflicht ihre Einberufung verweigerten.

Vom "Recht auf freie Religionsausübung" konnte für die Bausoldaten, die dann ab 1964 einberufen wurden, keine Rede sein. "Da wurde also von Beginn an versucht, uns einen Riegel vorzuschieben, dass alles was Kirche, Gottesdienst oder Ähnliches betraf, was religiöse Äußerungen sind, dass das nicht sein darf. Und bei Feststellung solcher Handlungen drohten entsprechende Strafen. Da wurde uns massiv gedroht. Also haben wir uns die erste Zeit immer heimlich getroffen, einmal die Woche zur Bibellesung und einer kleinen gottesdienstlichen Feier", berichtet der Eichsfelder Winfried Lang, Jahrgang 1951, in einem der Interviews, die Tasch für sein Buch geführt hat.

Wehrdienstverweigerern drohten hohe Haftstrafen

Neben den Interviews mit Zeitzeugen hat der Autor auch Archivmaterial ausgewertet. Die Daten über Bausoldaten seien aber recht gering und dann nur vereinzelt in Archiven aufzufinden, schreibt Tasch. Die vorhandenen Quellen ließen ihn dabei zunächst auf knapp 26.000 bei den Wehrkreisämtern als Bausoldaten erfasste Grundwehrpflichtige schließen. Diese Größe geht aber wohl weit über die tatsächliche Zahl gedienter Bausoldaten hinaus. Als realistische Mindestgröße werden 12.000 gediente Bausoldaten angenommen. Am häufigsten taucht in der Forschungsliteratur die Zahl von 15.000 Bausoldaten auf.

Auf den Wehrdienst als Katholik in der DDR bereiteten spezielle Kurse in den katholischen Jugendhäusern vor. Auf die Möglichkeit, den Dienst sogar ganz zu verweigern oder ihn als Bausoldat zu leisten, wurde dabei ausführlich eingegangen. In einer Handreichung des Bischöflichen Kommissariats Heiligenstadt wird dazu erklärt: "Kluge Seelsorger werden die Entscheidung nicht abnehmen, wohl aber so sachlich wie möglich informieren. Die Ausgewogenheit der Information unterscheidet von der Werbung. Deshalb wird sowohl über die Möglichkeit des Wehrdienstes mit der Waffe als auch über den Dienst in den Baueinheiten und die Verweigerung des Wehrdienstes gesprochen werden müssen." Totalverweigerer, die auch nicht als Bausoldaten dienen wollten, mussten hohe Haftstrafen fürchten: Jährlich wurden etwa 150 Totalverweigerer zu Freiheitsentzug zwischen 18 und 22 Monaten verurteilt. Erst 1985 wurde diese Praxis ausgesetzt.

Schulterstück der ehemaligen Bausoldaten der Nationalen Volksarmee der DDR.
Bild: ©dpa/Stefan Sauer

Schulterstück der ehemaligen Bausoldaten der Nationalen Volksarmee der DDR.

Dass die Jugendseelsorge der katholischen Kirche solch eine Handreichung überhaupt anfertigte und vorrätig hielt, ist nach Ansicht des heutigen Diakons Winfried Lang keine Vorgabe von oben gewesen. Vielmehr hätten die Jugendseelsorger erkannt, dass es bei jungen Männern ein Problem gibt, die mit dieser Frage konfrontiert werden. Die Kirchenleitung habe dem Referat Jugendseelsorge im Eichsfeld "recht freie Hand" gegeben, wenn es um die Kursplanung und -gestaltung ging. Gleichzeitig wurde aber darauf geachtet, dass "nichts raus ging, was gegen die Linie der katholischen Kirche war." Die Handreichung sei am Ende vom Bischof herausgegeben worden, auch zum Schutz der einzelnen Mitarbeiter. Darum sei darauf geachtet worden, dass sie "nicht zu scharf war". Die Handreichung sei denjenigen bekannt gemacht worden, die konkreten Rat suchten. Niemand sei "gedrängt worden, Bausoldat zu werden", sagt Lang und vermutet, dass "es vielleicht auch mehr Wehrdienstverweigerer gegeben hätte, wenn die Kirche auch von höherer Stelle, offiziell, mehr Stellung bezogen hätte".

Bausoldatendienst als "Karriereende"

Für Männer, die studieren wollten, war der Bausoldatendienst ohnehin nie eine Option. Wer nicht bereit sei, sein Vaterland mit der Waffe zu verteidigen, sei es auch nicht wert, in der DDR zu studieren, hatte das Volksbildungsministerium 1970 verlauten lassen. Wer sich hingegen für drei Jahre oder länger verpflichtete, wurde bei der Studienplatzvergabe bevorzugt. So war schon der normale Wehrdienst von anderthalb Jahren für viele junge Männer quasi ein "Karriereende".

Felix Tasch kennt diese Zeiten nicht mehr aus eigener Erfahrung. "Ich gehöre mit dem Jahrgang 1983 selbst einer Generation an, die zwar im Sommer 1989 noch in das DDR-Bildungssystem eingeschult wurde und damit kurz in den Genuss der allumfassenden 'Fürsorge' dieses Staates kam, geprägt hat mich dieser Staat aber kaum", sagt der Volkskundler und Kulturhistoriker. Sein Vater war von 1985 bis 1987 selbst Bausoldat, was für Tasch während seiner Kindheit und Jugend aber kaum eine Bedeutung hatte. "Erst während meines Studiums begann ich mich mit dieser Thematik näher zu beschäftigen und die Hintergründe der 'Abenteuergeschichten' bei der Armee zu erforschen", sagt Tasch. Hinter seinem Buch, das er als Abschlussarbeit seines Studiums der Volkskunde und Kulturgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena geschrieben hat, steht also auch die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte.

Von Markus Kremser