Wo Deutsche und Polen gemeinsam glauben
Dass Polen nicht weit ist, sieht man in Löcknitz an jeder Straßenecke. Überall fahren oder parken in der kleinen vorpommerschen Ortschaft Autos mit polnischen Kennzeichen, sogar zweisprachige Verkehrsschilder gibt es. Die Grenze zu Deutschlands östlichem Nachbarland ist von hier über die Bundesstraße 104 nur rund zehn Kilometer entfernt, der kleine Grenzverkehr zwischen beiden Ländern seit Polens Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 selbstverständlich gelebter Alltag.
Doch während die meisten Deutschen tatsächlich nur zum Einkaufen oder Tanken in das Nachbarland fahren, sind viele Polen auf der deutschen Seite der Oder inzwischen heimisch geworden. Denn hier gibt es etwas, was auf der polnischen Seite des Grenzflusses – rund um die boomende Hafen- und Universitätsstadt Stettin – längst Mangelware ist: preiswerte Grundstücke und Häuser. Vorpommern, eine Region, die noch vor wenigen Jahren für Abwanderung und Niedergang stand, erlebt deshalb seit einiger Zeit einen regen Zuzug polnischer Staatsangehöriger, die sich hier ihren Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen und sesshaft werden.
Die Zahl der Katholiken in Vorpommern wächst rasant
Diese Entwicklung macht sich auch in der religiösen Prägung der Region bemerkbar. War Vorpommern noch vor wenigen Jahren ein Gebiet mit nur wenigen Christen, wächst insbesondere die Zahl der Katholiken hier dank der neuen polnischen Mitbürger inzwischen rasant. Das grenznahe Gebiet, das zum Erzbistum Berlin gehört, ist eine der wenigen Regionen in Deutschland, in denen die Zahl der Gläubigen gegen den bundesweiten Trend ansteigt. Die Folgen kann man unter anderem in Löcknitz beobachten: In den 1970er Jahren hatte die Kirche ihr gottesdienstliches Angebot hier mangels Nachfrage aufgegeben; jetzt gibt es wieder jeden Sonntag eine Heilige Messe in dem Ort – in polnischer Sprache und mit jedes Mal bis zu 100 Gläubigen.
Wie groß der Anteil der Polen unter den Katholiken der Region tatsächlich ist, zeigt ein Blick in die kirchliche Statistik: Im Pastoralen Raum Hoppenwalde/Pasewalk, der die gesamte Grenzregion umfasst und zu dem auch Löcknitz gehört, lebten Ende vergangenen Jahres 3.218 Katholiken, von denen 1.454 die polnische Staatsbürgerschaft hatten. In manchen Pfarreien stellen die Gläubigen aus Polen sogar bereits die Mehrheit. Für die Kirche in der Region ist das eine große Chance – aber auch eine große Herausforderung.
Genau an dieser Nahtstelle arbeitet Klaudia Wildner-Schipek. Die 38-Jährige ist seit Januar vergangenen Jahres als Referentin für das in Löcknitz angesiedelte Projekt "Glauben ohne Grenzen" tätig. Das Projekt, das vom Erzbistum Berlin eingerichtet wurde und für zwei Jahre vom Bonifatiuswerk finanziell gefördert wird, will den polnischen Zuzüglern eine spirituelle Heimat in Deutschland bieten und das Miteinander von deutschen und polnischen Katholiken in der Region fördern.
Denn obwohl sie denselben Glauben teilen, gibt es im Alltag zwischen den Gläubigen aus beiden Ländern viele Hürden, die einer engeren Gemeinschaft im Wege stehen. Neben der Sprachbarriere nennt Wildner-Schipek vor allem die unterschiedliche kirchliche Prägung. "Die polnischen Zuzügler sind aus ihrer Heimat meist stark volkskirchlich geprägt. Eine Diaspora-Situation, wie wir sie hier in Vorpommern haben, kennen diese Menschen überhaupt nicht", erzählt die Projektreferentin, die selbst in Deutschland und Polen aufgewachsen ist und beruflich seit fast 20 Jahren im Bereich der deutsch-polnischen Zusammenarbeit tätig ist.
Wildner-Schipeks Aufgabe ist es, mit ihrem Projekt trotzdem ein Gemeinschaftsgefühl unter den Katholiken der Region zu wecken. Dafür hat sie im ersten Jahr ihres Engagements bereits zahlreiche Aktivitäten initiiert. Vom Kirchencafé nach dem Sonntagsgottesdienst über zweisprachige Gottesdienste bis hin zu einer deutsch-polnischen Bibelwoche – immer geht es ihr darum, Orte der Begegnung zu schaffen und deutsche und polnische Katholiken einander näher zu bringen.
Auch das Interesse für die unterschiedlichen kirchlichen Traditionen dies- und jenseits der Oder will Wildner-Schipek bei den Gläubigen wecken. So hat sie zu Ostern ein Treffen organisiert, bei dem Deutsche und Polen über die polnische Tradition der Osterspeisensegnung sprachen und gemeinsam die dafür benötigten Osterkörbchen bastelten.
Entgegen kommt Wildner-Schipek bei ihren Bemühungen, dass unter den polnischen Zuzüglern viele junge Familien mit Kindern sind. "Über die Kinder kommt man gut mit den Familien in Kontakt", erzählt die Politologin, die selbst zwei Kinder hat. Deshalb ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – zum Beispiel bei religiösen Projekttagen in Kitas, Kindernachmittagen zu Festen im Kirchenjahr oder der Kommunion- und Firmvorbereitung – ein weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit.
Die Zeichen stehen für die Kirche auf Aufbruch
Nach etwas mehr als einem Jahr sieht Wildner-Schipek erste Erfolge ihrer Arbeit. Das Miteinander von Deutschen und Polen in der Region wachse, gemeinsame Aktivitäten im kirchlichen Raum nähmen zu. "Ich spüre eine große Offenheit und Dankbarkeit für das Projekt und seine Ziele", erzählt sie. Wenn es nach ihr geht, soll die zunächst bis Anfang kommenden Jahres befristete Initiative dauerhaft weitergeführt werden – "der Bedarf ist auf jeden Fall da und der Zuzug aus Polen hält weiter an", betont Wildner-Schipek.
Ihr großes Ziel für das laufende Jahr ist eine neue Begegnungsstätte, in der die kirchlichen Angebote, die bislang auf verschiedene Orte verteilt sind und unter Platzproblemen leiden, unter einem Dach vereint werden sollen. Das Erzbistum will eine passende Immobilie in Löcknitz kaufen, die Verhandlungen dafür seien auf einem guten Weg. Es wäre ein starkes Zeichen: Rund 40 Jahre, nachdem sie sich aus Löcknitz zurückgezogen hatte, stehen die Zeichen für die Kirche in der Ortschaft und ganz Vorpommern dank der polnischen Zuwanderer klar auf Aufbruch.