Worship – die radiotaugliche Kirchenmusik
Die Zukunft der Kirchenmusik könnte auch im Radio laufen – zumindest vom Sound her. Praise and Worship (Lobpreis und Anbetung) ist die neue, junge, geistliche Musik. Poppige Hits zum Mitklatschen, Tanzen und Feiern. Balladen, bei denen man die Augen schließt. Und Lieder, die sich irgendwo dazwischen bewegen.
"Ich kann mich in diesen Liedern fallen lassen", sagt Steffi Beyer, Sängerin aus Bochum. "Es ist Musik, um die Augen zu schließen. Sich geborgen zu fühlen, weil man das, was man singt, auch so meint", sagt die 28-Jährige. Über 200.000 Worship-Songs wurden schon veröffentlicht. Die englischsprachigen Songs wurden über Hundert Millionen Mal auf YouTube geklickt. Steffi Beyer, hauptberuflich Schulsozialarbeiterin, spielt sie bei über 80 Auftritten im Jahr. In Kirchengemeinden. Bei Konzerten in Worship-Cafés. Beim evangelischen Kirchentag. Und auch auf dem Petersplatz vor Papst Franziskus und Zehntausenden Pilgern bei der Ministrantenwallfahrt. Was macht die Musik aus? Wie lassen sich die poppigen Lieder in den Kirchenalltag einbauen? Und: Hat die katholische Kirchen den Trend zu lange verschlafen?
Die Frage nach den musikalischen Merkmalen der Worship-Lieder ist schnell geklärt. "Die Melodien sind leicht nachvollziehbar, gehen ins Ohr. Der Sound ist poppig-aktuell, wie ihn die Jugendlichen mögen", sagt Dieter Falk, Professor für Musikproduktion an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, der schon Lieder für PUR und zuletzt das Luther-Pop-Oratorium produziert hat.
Gleichzeitig sieht Falk die Texte der Lobpreis-Lieder aber eher kritisch. Zu sehr seien sie durch alttestamentliche Bilder geprägt. "Die spiegeln meine Art zu Glauben nicht wieder", sagt Falk. Inhaltlich seien die Texte oft zu oberflächlich, zu einfach nach Schema F konstruiert. Er macht das am Refrain von "How great is our God", einem der populärsten Lieder deutlich: "So groß ist der Herr. Singt mit mir, so groß ist der Herr. Ihn preisen wir. So groß, so groß ist der Herr."
Auch der englische Schriftsteller und Autor von Worship-Liedern, Nick Page, warnt vor Oberflächlichkeit der Texte. In einem Beitrag des Deutschlandunks sagt er: "Blättern Sie durch irgendeine Sammlung aktueller Lobpreislieder und das deutliche Übergewicht des Wortes 'Ich' wird Ihnen auffallen." Ein Kritikpunkt den Stefan Glaser, Bischöflicher Beauftragter für Kirchenmusik im Bistum Essen, nur bedingt nachvollziehen kann. "Gott loben, ihn anbeten – das mache natürlich ich selber und das machen wir in der Gemeinschaft", sagt er. Glaser betreut das Pilotprojekt "Popkantoren" in seiner Diözese. Dabei coachen zwei Berufsmusiker Bands im Bereich "Praise and Worship". Der Kirchenmusiker schätzt am Worship, dass die Texte ein Wir-Gefühl vermitteln. Die Texte zeugten von einem starken Glauben an Gott. Zweifel komme im Worship kaum vor.
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Die Musik schwappte von den Freikirchen in den USA über
Den Zugang zu Worship-Musik muss man aber erst einmal finden. Steffi Beyer berichtet, dass die Musik einigen Gottesdienstbesuchern zunächst befremdlich sei, wenn sie in einer Gemeinde zum ersten Mal spiele. "Bis jetzt haben sich die meisten Zuhörer aber darauf eingelassen", sagt die 28-Jährige. "Auch von Organisten kam nie die Rückmeldung, dass der Gottesdienst der falsche Platz für die Musik ist." Die Reaktionen seien eher positiv, da die Musik einen ganz anders greifen könne.
Worship-Fans strecken während der Lieder die Hände aus. Öffnen die Arme mit den Handflächen nach Oben. Schließen die Augen. Klatschen. Tanzen. "Die Musik bringt eine andere Art Energie und Spaß mit rein", sagt Steffi Beyer. Woher sie stammt, lässt sich durch die Gesten vielleicht schon erkennen. "Die musikalisch lockeren Freikirchen in den USA haben in den 90er-Jahren Gospel der farbigen Kirchen adaptiert und ähnliche, poppige Musik produziert. Allerdings etwas süffiger, weniger rhythmus-betont und ohne die gospeltypische Improvisation", sagt Dieter Falk. Geboren war "Praise and Worship". Bis die Musik nach Deutschland überschwappte, dauerte es ein Jahrzehnt. Steffi Beyer erinnert sich daran, mit 17 Jahren zum ersten Mal eine Live-Band mit Worship-Musik erlebt zu haben. "Guck mal, was man aus einem Gottesdienst alles rausholen kann", habe sie damals gedacht.
Das ist elf Jahre her – mittlerweile wurden auch Lieder von deutschen Bands und Künstler wie Outbreakband, Glaubenszentrum, Albert Frey und Samuel Harfst millionenfach auf YouTube aufgerufen. Hat die katholische Kirche den Trend verschlafen? "Ich kritisiere die beiden großen Kirchen schon seit den 1980er Jahren, dass frischer Wind fehlt. Klassische Kirchenmusik und Pop, Rock und Jazz in der Kirche sollten gleichwertig behandelt werden", sagt Dieter Falk. Stefan Glaser sieht im zwischenzeitlichen Erfolg des Neuen Geistlichen Lieds eine langjährige Hürde für "Praise and Worship". "Die katholischen Bands haben sich darauf fokussiert und kaum Platz für etwas anderes gelassen", sagt der Kirchenmusiker. So zählt keine katholische Band zu den großen Namen in der deutschen und internationalen Worship-Szene.
Wie viel Partizipation und Emotion darf sein?
Bei aller Euphorie um die neue, radioreife Kirchenmusik ist auch Realismus angesagt. Nicht jede Pfarrei kann und will eine Band gründen oder die aktiven Musiker für Worship begeistern. Es lohnt sich aber ein Blick darauf, wie die Bistümer Worship fördern. Das Erzbistum Paderborn beispielsweise hat im Januar 2016 einen Fonds für christliche Popularmusik geschaffen. Wortspiel inklusive: "It sounds go(o)d!". Mit einer Millionen Euro werden einzelne Musiker und Bands unterstützt. Darunter auch Steffi Beyer. Es gibt Coachings, Noten, Geld für eigene Konzerte. Auch Gemeinden wird finanziell dabei geholfen, Musiker für ihre Gottesdienste zu engagieren. Bisher wurden 177 Projekte unterstützt, anderthalb Jahre läuft die Förderung noch. Das Bistum Essen hat 2017 als erste Diözese Deutschlands zwei Pop-Kantoren angestellt. Sie proben Worship-Lieder mit 20 Gemeinde-Bands und treten selbst auf. An 80 Terminen im Jahr sind die Pop-Kantoren unterwegs. Die Zahl der Anfragen steige, sagt Glaser.
Ein Zeichen dafür, dass die Worship-Musik immer wichtiger für die katholische Kirche wird. Wie groß die Bedeutung in Zukunft sein wird, das können die drei Gesprächspartner nur schwer beziffern. Einig sind sie sich, dass Worship ein Begriff innerhalb der Kirchenmusik geworden sei, die nicht mehr wegzudenken ist. Stefan Glaser beobachtet, dass immer mehr Gemeinden Druck machten, damit Worship gespielt und gefördert wird. Kirchenmusiker aus den anderen deutschen Bistümern kontaktierten ihn zunehmenden, um sich Erfahrungswerte einzuholen.
Die neue Kirchenmusik und die Emotionen führen auch zu der Frage, wie viel Partizipation und Emotion im Gottesdienst sein darf und soll. "Auch als klassischer Kirchenmusiker möchte ich, dass die Menschen, von der Musik, die ich spiele, berührt werden", sagt Stefan Glaser. Da gebe es keinen Unterschied zwischen Orgel-Musik und Worship. Er fordert daher, dass sich Musiker und Liturgen absprechen, wie die Lieder gut eingebunden werden können.
"Wir sind echt ökumenisch."
Im Moment laufen die Worship-Lieder vor allem bei Jugendgottesdiensten, eigenen Konzerten und Gebetsabenden wie zum Beispiel Nigthfever. Eine Live-Band rückt an, baut auf, Soundcheck, Gottesdienst mit Worship-Liedern. Es scheint noch ein weiter Weg zu sein, bis die Musik regelmäßig in Sonntagsmessen gespielt wird. Zum Leidwesen der jungen und zur Freude der alten Kirchgänger? So habe er anfangs auch gedacht, gibt Stefan Glaser zu. "Es ist aber so, dass auch die älteren Menschen Popmusik hören und daher nicht überrascht sind, wenn im Gottesdienst Worship läuft." Beispielhaft nennt er die Worship-Osternacht einer Gemeinde in Essen-Überruhr, zu der 800 Gläubige allen Alters kamen.
Auch Dieter Falk sieht nicht die Gefahr, dass die junge Musik die alten von den jungen Gottesdienstbesuchern trennen wird. "Ich bin fest davon überzeugt, dass eine 80-jährige Dame es toll findet, wenn in ihrer Kirche sowohl ein meditativer Choral als auch an der passenden Stelle ein flotter Song zum Mitklatschen gespielt wird." Er spricht sich dafür aus, "Paralleluniversen" in der Kirchenmusik aufzubrechen. Das heißt: Kantorei, Bläserchor, Orgelmusik, Neues Geistliches Lied und Worship in einem Gottesdienst zu vereinen. "Das muss nicht jeden Sonntagmorgen sein. Aber bei Festen wie der Firmung, die eine Außenwirkung haben, sollte kulturell unbedingt alles stattfinden."
Steffi Beyer singt Worship-Lieder mit dem Kinderchor, im Duett mit ihrem Partner und in mehreren Bands. Wenn sie die Mitglieder ihrer Kernband "Everlasting" durchgeht, kommt sie zum Schluss: "Wir sind echt ökumenisch." Die Musiker sind katholisch, evangelisch und freikirchlich, spielen in Messen, in evangelischen Gottesdiensten und bei ökumenischen Konzerten. Mit den unterschiedlichsten kirchlichen Erfahrungen fühlen sie sich durch die Musik im Glauben an denselben Gott verbunden.