Standpunkt

Darum trauen die Menschen den Protestanten mehr zu als den Katholiken

Veröffentlicht am 20.06.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

Bonn ‐ Der Kirchentag hat weniger Privatquartiere organisiert als erhofft. Joachim Frank fragt sich, ob es in der Gesellschaft inzwischen einen Abwehrreflex gegen alles Kirchliche gibt. Wenn, dann sei der gegenüber den Katholiken jedenfalls noch stärker - aus gutem Grund.

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In Dortmund läuft noch bis Sonntag der Deutsche Evangelische Kirchentag. Ein Laien-Event, ähnlich wie die Katholikentage. Wieso das eigens betonen? Kirchentagspräsident Hans Leyendecker hat über die Gründe sinniert, warum es in Dortmund nicht gelang, die ursprünglich angepeilten 8.000 Privatquartiere zu akquirieren: "Ob Menschen, die nicht so viel mit Kirche zu tun haben, inzwischen vielleicht eine Art Abwehr-Reflex gegen alles Kirchliche entwickeln? Ich sage zwar immer: Kirchentag ist Laienbewegung, und der Präsident ist selbst auch nur ein Fan, kein Theologe. Aber ob das immer so verstanden wird?"

Sollte es diesen "Abwehrreflex" geben, dann beginnt eine Differenzierung, sobald sich im Gehirn der Neocortex einschaltet, der unter anderem für unser Denken zuständig ist. Der "Gemeinwohlatlas 2019", in der Rubrik "Standpunkt" bereits vorgestellt, sieht die evangelische Kirche mit ihrem Beitrag zum Gemeinwohl, ihrem Erscheinungsbild und der Erledigung ihres "Kerngeschäfts" auf Platz 19 von 137 Institutionen und Organisationen. Die katholische Kirche dagegen rangiert weit abgeschlagen auf Platz 102, gefolgt vom Deutschen Fußball-Bund und von YouTube.

In den aktuellen Diskussionen über Reformen in der katholischen Kirche lautet ein – offen oder versteckt kontroverstheologisch intonierter – Einwand in Richtung der Reformbefürworter stereotyp: "Schaut doch auf die Protestanten! Die haben alles, was ihr verlangt: Frauen in den Ämtern, volle Eingemeindung wiederverheirateter Geschiedener, offene Haltung zur Homosexualität… Und? Stehen die deshalb besser da?"

Das Argumentieren mit Kennziffern wie Gottesdienstbesuch, Taufquoten oder KandidatInnen fürs Pfarramt verkennt zum einen, dass Reformen keine Frage der Taktik sind, sondern des Prinzips. Geschlechtergerechtigkeit zum Beispiel trifft den Wesenskern der Kirche als Gemeinschaft der Getauften. Aber wenn man dann doch auch einmal darauf schaut, was die katholische Kirche von Reformen hätte, dann hilft ein Blick in den Gemeinwohlatlas.

Offensichtlich trauen ihr die Menschen gegenwärtig nur noch sehr wenig zu, erbärmlich wenig, um ehrlich zu sein. Und zweifellos entschieden weniger als der evangelischen Schwesterkirche. Aber kommt es darauf an, was die Leute da draußen so denken? Muss die Kirche etwas auf Meinungen und Stimmungen geben? Oh ja, zumindest wenn sie mit dem ihr anvertrauten Schatz, dem Evangelium Jesu Christi, kein Tresor mit dicken, undurchdringlichen Stahlwänden sein will, sondern ein Canvassing-Stand auf dem Markt der Möglichkeiten. Auf dem Kirchentag in Dortmund gibt es ihn wieder, diesen Markt. Kirche muss sich dort bewähren, wo die Menschen sind.

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist Chefkorrespondent des "Kölner Stadt-Anzeiger", der "Berliner Zeitung" und der "Mitteldeutschen Zeitung". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP). Die GKP verleiht mit der Deutschen Bischofskonferenz und dem Katholischen Medienverband alljährlich den Katholischen Medienpreis.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.