Wie viel Toleranz muss sein?
"Das ist eine Frage, die in unserer Community zur Zeit heiß diskutiert wird", sagt der Vorsitzende der palästinensischen Gemeinde in Hannover, Yazid Shammout. Er meint: "Wir brauchen Toleranz von beiden Seiten." Gleichzeitig warnt er vor einem "falsch verstandenen Liberalismus", der in einigen Städten schon vor Jahren zur Entstehung von Parallelgesellschaften beigetragen habe, "wo man mit Deutschen kaum noch in Berührung kommt". Auch von Flüchtlingen könne man ein Mindestmaß an Anpassung erwarten, sagt Shammout, der einst selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Er sagt: "Eine Flucht ist nie freiwillig, aber diese Menschen haben sich bewusst für Deutschland entschieden und nicht etwa für Jordanien und die Türkei."
Aufregung um Oberlandesgerichts-Urteil
Für große Aufregung sorgte im Mai ein Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg. Es hatte entschieden, dass das Jugendamt der Stadt Aschaffenburg nicht über den Aufenthaltsort einer 15-jährigen Syrerin entscheiden darf. Das Mädchen war als 14-Jährige mit ihrem volljährigen Cousin verheiratet worden, obwohl Syrerinnen in ihrem Heimatland eigentlich erst mit 17 Jahren als ehemündig gelten. Die Ehe sei trotzdem wirksam, urteilte das Gericht.
Themenseite: Auf der Flucht
Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht"."Dieses Urteil finde ich sehr bedenklich, denn dadurch wird der Rechtsstaat ausgehöhlt", sagt Shammout. Die Stadt Aschaffenburg hat gegen das OLG-Urteil inzwischen Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) will eine Gesetzesänderung, die festlegt, dass sich die Ehemündigkeit alleine nach deutschem Recht richten soll. In Deutschland gilt das Mindestalter 18 Jahre - nur in Ausnahmefällen und mit Zustimmung eines Familiengerichts dürfen auch schon 16-Jährige heiraten. Der Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Mathias Rohe, schlägt vor, dass im Ausland geschlossene Ehen grundsätzlich erst ab 18 Jahren anerkannt werden, "weil wir in vielen anderen Staaten nicht die Gewissheit haben, dass die Erziehungsberechtigten oder der Staat ausschließlich das Wohl der Minderjährigen im Blick haben, wenn sie einer solchen Heirat zustimmen".
Viel Staub hat zuletzt auch der Fall des schiitischen Imams Kerim Ucar aus Berlin aufgewirbelt, der einer Lehrerin seines Sohnes aus religiösen Gründen nicht die Hand geben wollte. Diese brach daraufhin das Gespräch ab. Der Imam sah sich in seiner Religionswürde verletzt. Schließlich entschuldigte sich die Schule bei ihm. "So etwas sind unnötige, lästige Konflikte", sagt Ercan Karakoyun. Er ist Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung. Die Stiftung gehört zur Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen. Karakoyun sagt: "Eine ausgestreckte Hand solle man nie zurückweisen."
Um ein paar schrille Töne reicher ist die Debatte um Zuwanderung, Identität und Wertvorstellungen seit den massenhaften Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht. Der aus Syrien stammende Politologe Bassam Tibi behauptete in diesem Zusammenhang kürzlich in einem Interview der "Basler Zeitung": "Deutschland ist unfähig, eine Hausordnung für das friedliche Zusammenleben anzubieten."
Der Autor Ahmad Mansour ("Generation Allah") beschwerte sich in einem Gastbeitrag für die "taz", er werde neuerdings von Linken und Anhängern der Grünen angefeindet, weil er die "konfessionelle Enge" der islamischen Gemeinden hierzulande beklage. Mansour empörte sich: "Ein Netzwerk von deutschen Linksliberalen und Grünen 'beschützt' eine Mehrheit der Muslime in Deutschland vor einer Minderheit ihrer muslimischen Kritiker. Was ist daran links, was progressiv?, frage ich mich. Und: Seid ihr noch bei Trost? Oder sind wir eure Kuscheltiere geworden?"
"In Flüchtlingsheimen kursieren negative Bilder über Deutschland"
Politiker, die sich mit Integration beschäftigen, weisen oft darauf hin, wie wichtig es sei, Zuwanderern möglichst rasch nach ihrer Ankunft zu erklären, welche Regeln für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland gelten und was von ihnen erwartet wird. "Bei vielen Flüchtlingen aus der islamischen Welt stellt sich ganz früh schon ein Gefühl der Angst um die religiöse und kulturelle Identität ihrer Kinder ein. Sie fragen sich zum Beispiel, ob ihr Kind mitfahren soll auf die Klassenfahrt - im Prinzip sind das die gleichen Fragen, mit denen sich auch ein Teil der muslimischen Zuwanderer früherer Generation befasst", berichtet ein türkischstämmiger Kulturmittler aus München. Der Experte, der in München Flüchtlingshelfer schult, sagt: "In vielen Flüchtlingsheimen kursieren leider negative Bilder über Deutschland - auch in Bezug auf Assimilation". Diese Ansichten würden meist von einigen wenigen Hardlinern verbreitet. Dagegen anzukommen sei für Sozialarbeiter und Ehrenamtliche oft nicht leicht.