Theologe sieht "politische Orthodoxie" in Russland
So sei die orthodoxe Kirche zu einer "maßgeblichen Institution russischer Identitätsbildung" geworden, schreibt der Oldenburger Wissenschaftler. Sie erhalte enteignete Gotteshäuser zurück, Religionsunterricht sei wieder ein Wahlpflichtfach, die Kirche bekomme Raum in den staatlichen Medien. Ihre öffentliche Stimme nutze sie wiederum, "um die politische Führung zu unterstützen, Patriotismus zu predigen und Proteste gegen Wahlfälschungen, Korruption und andere Missstände zu diskreditieren". Für die gemeinsame Ideologie sei es nicht nötig, an Gott zu glauben oder eine Religion zu praktizieren, so Willems weiter. "Das wenig verbindliche Bekenntnis zur 'eigenen' Kultur reicht völlig aus." Dabei spielten sogenannte traditionelle Werte eine entscheidende Rolle, etwa bezüglich Sexualmoral und Geschlechterrollen.
Dieses Festhalten an "traditionellen Werten" diene der Abgrenzung gegen den Westen, erklärte Willems. Russland wolle "sich mit den anderen nicht-westlichen 'Kulturen' gegen die westliche Hegemonie zur Wehr zu setzen. Dies gehe aber nur, wenn man an seiner Kultur festhalte und diese nicht verwestlichen lasse." So würden bestimmte Religionsgemeinschaften wie Baptisten und Pfingstkirchen zu "ausländischen" und "nichttraditionellen" Gruppen erklärt. Auf politischer Ebene wolle Russland sich ebenfalls vom Westen abgrenzen und einem "Selbstbild als (international noch verkannter) Weltmacht entsprechen". (KNA)