Der Fliegenwedel des Großwesirs
Don Romano Matrone, 74-jähriger Vizeprior der Erzbruderschaft vom Heiligsten Namen Mariens, nennt das Stück herablassend den "Fliegenwedel des Großwesirs". Eigentlich hätte Kara Mustafa das Zeichen osmanischer Macht unter anderen Umständen in Rom aufpflanzen sollen. Der Plan war, im Sommer 1683 Wien einzunehmen, den Sitz des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, und dann nach Rom vorzustoßen. Die Zentren der politischen und geistlichen Macht des Abendlandes sollten wie reife Früchtchen fallen. Den Petersdom, tönte Mustafa, werde er zu Pferdeställen des Sultans machen.
Munterer Trophäenversand in Europa
Es kam anders. Zu sehr hatte sich der Großwesir in die Belagerung Wiens verbissen, um dem Heer unter Johann III. Sobieski rechtzeitig den Weg zu verlegen. Mustafas Niederlage am 12. September war vollständig. Noch bevor Sultan Mehmed IV. ihn im Zorn erdrosseln ließ, war quer durch Europa ein munterer Trophäenversand im Gang.
Ein Filetstück, die Standarte Mustafas, ging zeitgenössischen Quellen zufolge an Papst Innozenz XI., den Initiator der christlichen Militärallianz. Damals, so vermutet Mario Mancini, Schatzmeister der Erzbruderschaft, gelangten auch andere Beutestücke nach Rom: ein Perserteppich aus dem Befehlszelt - 25 Quadratmeter, von unschätzbarem Wert, jetzt verschollen. Und ein imposanter, kunstvoll umflochtener und mit Rosshaar geschmückter Holzschaft. Der Marschallstab Mustafas?
Über Generationen war er vergessen, bis vor wenigen Jahren jemand auf die Idee kam, in der kleinen Schatzkammer der Erzbruderschaft, einem Sammelsurium von Heiligenfiguren, Apostelbüsten und Porträts verblichener Päpste, den Inhalt einer schlanken Holzschatulle zu inspizieren. Was für ein Gedanke: Mit diesem Stab könnte der Oberbefehlshaber des Osmanischen Reiches das Schicksal Europas buchstäblich in der Hand gehalten haben.
Don Romano möchte das Teil in einer Vitrine unter einer Madonna in der Kirche ausstellen, effektvoll zwischen den Habsburger Doppeladlern an den Kuppelpfeilern. Die Madonna soll von Jacopo Sansovino (1486-1570) stammen; auch ihre Herkunft ist nicht sicher, und für einen Sockel fehlt noch das Geld. Aber es wäre doch ein schönes Sinnbild, so der Geistliche, dass die Macht des Bösen am Ende unter den Fuß der Muttergottes kommt.
Ein Sinnbild, ja. Nur an der Verbindung zum Großwesir haben Experten Zweifel. Erstens, so der Kurator Christoph Hatschek vom Heeresgeschichtlichen Museum Wien, handele es sich nicht um einen Kommandostab, sondern um einen Rossschweif, ein Rangabzeichen für Generäle. Zweitens lasse sich bislang kein einziger Rossschweif einer konkreten Person zuordnen. Und drittens würden türkische Beutestücke unterschiedlichster Epochen gern mit der Schicksalsschlacht von 1683 in Verbindung gebracht.
Türkischer Botschafter: Keine Rückgabeforderung
Auch Schoole Mostafawy, zuständig für die Sammlung "Türkenbeute" im Landesmuseum Karlsruhe, weiß von der Neigung, alle möglichen Antiquitäten mit Kara Mustafa zu verknüpfen. Ein Steigbügel, angeblich vom Großwesir auf der Flucht verloren, kam so in den Krakauer Dom. Man hängte ihn als Votivgabe unter ein Kreuz. Ähnlich legendär wirkt für Mostafawy die Zuordnung des römischen Rossschweifs. Aber jedenfalls, so sagt sie tröstend, sei es ein "schönes, außergewöhnliches Exemplar".
Womöglich dient es dem Frieden, wenn das, was demnächst unter der Madonna am Trajan-Forum gezeigt wird, nicht das Zentralsymbol der Militärgewalt des Osmanischen Reichs ist, sondern nur das Ehrenzeichen eines unbekannten Offiziers. Eine Rückgabeforderung schließt der türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Mehmet Pacaci, schon mal aus: "Vielleicht haben wir ja auch Relikte von Venezianern im Topkapi-Palast."