"Zu viele bezahlte Kirchenmitarbeiter in Deutschland"
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat die katholische Kirche in Deutschland kritisiert. Wegen der hohen Zahl bezahlter Kirchenmitarbeiter gebe es zu viel "ungeistliche Bürokratie" und zu wenig "Dynamik des Glaubens", sagte er dem Journalisten Peter Seewald in dem Interviewband "Letzte Gespräche": "In Deutschland haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenübertreten." Aus dem an diesem Freitag erscheinenden Buch zitierten am Donnerstag vorab die "Zeit", die "Süddeutsche Zeitung" und die "Bild"-Zeitung.
Es gebe in Deutschland "gewiss lebendigen Glauben und von Herzen kommenden Einsatz für Gott und für die Menschen", so Benedikt XVI. Aber auf der anderen Seite stehe "die Macht der Bürokratien, (…) die Theoretisierung des Glaubens, die Politisierung und der Mangel an einer lebendigen Dynamik, die dann auch noch unter den Strukturübergewichten oft fast zerdrückt zu werden scheint." Kirche sei für viele nur der Arbeitgeber, gegen den man kritisch stehe, sagte der emeritierte Papst. Weiter äußert er auch seine Bedenken gegen das System der Kirchensteuern: "Die automatische Exkommunikation derer, die sie nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar."
"Gay-Lobby" im Vatikan aufgelöst
Auf die Frage nach Missgunst, Intrigen und Karrierismus im Vatikan meint Benedikt XVI.: "Nun, das weiß man ja. Ich muss ausdrücklich sagen, das ist zwar alles da, aber das ist doch nicht der ganze Vatikan." Es gebe dort auch viele Menschen, die mit Hingabe und Güte ihre Arbeit erfüllten. Aber: "Die schlechten Fische sind halt auch im Netz."
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Am Freitag erscheint ein Interviewbuch mit Benedikt XVI. Darin spricht er mit dem Autor Peter Seewald offen wie noch nie über seine Gesundheit und seinen Rücktritt. Aber auch Persönliches kommt zur Sprache.So hätten die Untersuchungen ergeben, dass es eine von Papst Franziskus als "Gay-Lobby" bezeichnete homosexuelle Seilschaft gegeben habe. Dabei habe es sich um eine kleine, vier oder fünf Leute umfassende Gruppe gehandelt, "die wir aufgelöst haben". Der Eindruck stimme nicht, dass es im Vatikan von solchen Fällen wimmeln würde.
Benedikt XVI.: Rücktritt hatte nichts mit Vatileaks zu tun
Im Buch tritt Benedikt XVI. auch Darstellungen entgegengetreten, er sei aus Enttäuschung über die Intrigen rund um den Vatileaks-Skandal im Jahr 2013 vom Papstamt zurückgetreten. "Nein, das stimmt nicht, überhaupt nicht. Im Gegenteil, die Dinge waren vollkommen bereinigt", sagt er. Gerade in einer Krisensituation hätte er sein Amt niemals aufgegeben. "Ich konnte zurücktreten, weil in dieser Situation wieder Ruhe eingekehrt war". Als "völligen Unsinn" bezeichnet er Gerüchte der italienischen Presse, Benedikt XVI. habe das Papstamt als Folge einer Erpressung aufgegeben.
Vielmehr bekräftigt der 89-Jährige, gesundheitliche Gründe hätten ihn zu der Entscheidung veranlasst. Das Amt des Petrusnachfolgers verlange konkrete Entscheidungen und er sei im Gebet zu der Überzeugung gelangt, "dass dann, wo das in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein würde, der Herr es auch nicht mehr von mir will und mich sozusagen von der Last befreit". Er sehe jeden Tag, dass der Rücktritt "richtig war".
Mit Blick auf den Dokumentendiebstahl durch seinen Kammerdiener Paolo Gabriele im Zuge des Vatileaks-Skandals sagt Benedikt XVI., dies habe ihn nicht in Weltschmerz oder Verzweiflung gestürzt. "Es war mir einfach unverständlich. Auch wenn ich die Person ansehe, kann ich nicht verstehen, wie man so etwas wollen kann. Was man sich davon versprechen kann."
"Außenwirkung der Konzilsbeschlüsse nicht bedacht"
Die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) bewertet Benedikt XVI. in dem Buch als richtig. Es sei ein Augenblick in der Kirche gewesen, wo man einfach auf Neues wartete, auf eine Erneuerung aus dem Ganzen, auf eine neue Begegnung der Weltkirche. Allerdings seien die politischen Folgen und die faktischen Auswirkungen nicht richtig eingeschätzt worden. "Man hat da zu sehr im Theologischen gedacht und nicht überlegt, welche Außenwirkung diese Dinge haben werden."
Der Kölner Kardinal Joseph Frings hatte damals den jungen Bonner Theologieprofessor Joseph Ratzinger zu seinem Konzilstheologen gemacht. Rückblickend betonte der emeritierte Papst, habe er immer das Bewusstsein gehabt, "dass das, was wir faktisch gesagt und durchgesetzt haben, richtig war und auch geschehen musste". Von den Verantwortlichen sei damals in sich richtig gehandelt worden, "auch wenn wir sicher die politischen Folgen und die faktischen Auswirkungen nicht richtig eingeschätzt haben".
Der Wille der Bischöfe sei damals gewesen, den Glauben zu erneuern und zu vertiefen, unterstrich Benedikt XVI. Allerdings hätten immer stärker auch andere Kräfte eingewirkt, insbesondere Journalisten, die viele Sachen ganz neu interpretiert hätten. Irgendwann hätten sich dann die Leute gefragt, "ja, wenn die Bischöfe alles verändern können, warum können wir nicht alle das tun"? Dann habe die Liturgie angefangen zu bröckeln und ins Beliebige abzugleiten. Seit 1965 habe er selbst es als Auftrag empfunden, klarzumachen, "was wir eigentlich wirklich wollen und was wir nicht wollen", so das emeritierte Kirchenoberhaupt.
Seewald: Franziskus genehmigte "Letzte Gespräche"-Buch
Das Interviewbuch wird laut Seewald mit ausdrücklicher Genehmigung von Papst Franziskus veröffentlicht. Wie der Buchautor der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte, bestand Benedikt XVI. auf einer Zustimmung des amtierenden Papstes, bevor er selbst die Veröffentlichung freigab. Diese Zustimmung habe Franziskus ohne weitere Auflagen gegeben.
Seewald sagte, der emeritierte Papst sehe mit großem Wohlwollen und Liebe auf seinen Nachfolger. "Was nicht heißen muss, dass er von allem begeistert ist", so der Autor. Umgekehrt nenne Franziskus Benedikt XVI. einen Revolutionär und sei für den "Halt und Trost" dankbar, den er beim Papa emeritus finde. "Natürlich haben die beiden unterschiedliche Temperamente und Charismen. Aber gewisse Gegensätze werden künstlich konstruiert, um sie gegeneinander auszuspielen," so Seewald.
Benedikt XVI. sei zufrieden mit der Bilanz seines Pontifikats, sagt der Autor und fügt hinzu: "Nach dem überragenden Johannes Paul II. hat er einen Übergang ohne jeden Bruch geschafft! Oder nehmen wir die Krise, die der Missbrauchsskandal auslöste. Hier wird sein Management sogar von Gegnern gelobt." Seinem ökologischen Bewusstsein verdanke Benedikt XVI. den Titel "grüner Papst". Zudem habe er viele Reformen, Initiativen und Impulse der Kirche auf den Weg gebracht, die nun von Franziskus weitergeführt werden. (luk/dpa/KNA)
8.9.2016, 14:15 Uhr: Aktualisiert um Aussagen zum Konzil