"Die Welt ist nicht das Paradies"
Frage: Herr Kloeppel, auch 15 Jahre später weiß jeder noch, wo er am 11. September 2001 war, als die ersten Nachrichten vom Terroranschlag auf das World Trade Center kamen. Wo waren Sie?
Peter Kloeppel: Ich saß gegen viertel vor drei in der Nachrichtenredaktion, als die ersten Bilder auf CNN kamen. Es gab dann auch schon in den ersten Minuten Spekulationen von CNN-Moderatoren, dass möglicherweise ein Flugzeug in die Türme geflogen sei. Man sah auch, dass in die Außenfassade des Nordturms ein Loch mit einer merkwürdigen Form gerissen war. Wir haben schnell entschieden, kurz das eigene Programm mit einer Nachrichtensendung zu unterbrechen, um diese Bilder direkt nach Deutschland zu übertragen.
Frage: Daraus wurden für Sie sieben Stunden Live-Sendung. Wie war diese Situation für Sie?
Kloeppel: Auch ich hatte Bilder, wie wir sie dann in den folgenden Stunden zeigten, noch nie gesehen. Ich dachte mir, ich nehme die Zuschauer an die Hand und führe sie durch dieses Ereignis, so gut ich kann. Je mehr ich später darüber nachgedacht habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass das eine Stütze für mich selbst war. Ich konnte mich daran festhalten, dass ich die Zuschauer hatte, denen ich - genauso wie mir selber - versucht habe etwas zu erklären: Fakten abzurufen, was ich zum Beispiel über Fliegerei weiß, über die Rettungskräfte in New York, das WTC-Gebäude und so weiter. Und natürlich die Informationen weiterzugeben, die ich von den Kollegen bekommen habe. Das hat mir geholfen.
Frage: Zu den Bildern, die am meisten schockiert haben, gehörten die von den Menschen, die aus den Fenstern in den Tod sprangen...
Kloeppel: Wir haben am Tag selbst sehr schnell reagiert und haben, nachdem diese Bilder auftauchten, auch entschieden, dass wir sie nicht mehr zeigen. Wir haben sie am Anfang gezeigt, wie eigentlich alle Medien, doch uns ist schnell bewusst geworden, dass diese Bilder zu verstörend sind - für alle, die sie sehen. Und dass sie keinen Informationsgehalt besitzen, den wir nicht auch narrativ in irgendeiner Weise übermitteln könnten. Menschen im Moment ihres Todes zu zeigen, das gehört nicht auf den Bildschirm. Das ist seitdem eine klare Maßgabe.
Frage: Der Terror ist seit längerem in Europa und jetzt auch in Deutschland angekommen. Wie sehen Sie die kollektiven Reaktionen darauf, Stichwort #prayfor und andere Solidaritätsbekundungen in den Sozialen Medien?
Kloeppel: Wir beobachten, wie die Sozialen Netzwerke mit dazu beitragen, dass Menschen untereinander nicht nur sehr schnell Informationen austauschen, sondern sich auch sehr schnell solidarisieren. Ich denke, die User wollen ihr eigenes Gefühl der Betroffenheit teilen, sich dadurch Erleichterung verschaffen und auch Zuspruch von anderen erhoffen, die dieselben Gefühle haben. Ich finde, es ist ein sehr menschliches Element, das da zum Tragen kommt.
Linktipp: Die Seele schützen
Nachrichten von Unglücken und Terrorakten finden sich überall im Internet, im Fernsehen, auf dem Smartphone. Wie kann man das verarbeiten - und trotzdem nicht abstumpfen? Kann dabei der Glaube helfen?Frage: Bei Katastrophen und Anschlägen äußern sich regelmäßig Vertreter von Religionsgemeinschaften. Wie wichtig ist das Ihrer Meinung nach?
Kloeppel: Die Menschen erwarten von den Kirchen oder Religionsgemeinschaften, dass sie ihre Meinung zu solchen Ereignissen äußern und damit eine Richtung vorgeben, an der man sich orientieren kann. Da geht es um Linderung seelischen Schmerzes, um Verständnis für Gefühle. Erwartet wird aber genauso eine klare Verurteilung, wenn es um Anschläge geht und jeder sich fragt: wie kann man nur so viele unschuldige Menschen in den Tod reißen? Von moralischen Institutionen wie der Kirche wird aber nicht nur Reaktion, sondern auch Reflexion erhofft. Deswegen muss man als Verantwortlicher einer Religionsgemeinschaft sehr genau überlegen, was man sagt und wie man es sagt, wenn man sich dann äußert.
Frage: Warum ist das immer noch so bedeutend in Zeiten, wo sich viele von der Kirche abwenden?
Kloeppel: Es ist die so schwer zu beantwortende Frage nach dem Warum, die sich nach solchen Ereignissen stellt. "Mein Gott, warum hast du das zugelassen?" ist ja ein Rätsel, das so alt ist wie der Glaube selbst. Und von der Kirche erwartet man ganz besonders Antworten auf diese Frage. Wenn es einen Gott im Himmel gibt, warum erlaubt er so etwas?
Frage: Ein Blick nach vorn - wie können wir als Gesellschaft mit dem aktuellen Gefühl von Angst und Unsicherheit umgehen?
Kloeppel: Es ist wichtig, dass man im Gespräch und auch in der Vermittlung von Informationen sich selber und seinen Mitmenschen immer wieder klar macht: Die Welt ist nun mal nicht das Paradies, und wir müssen mit Unvollkommenheit und schlimmen Dingen rechnen. Trotzdem ist für mich persönlich das Glas immer halb voll und nicht halb leer. Deshalb ist mein Leitthema: Was kann ich als Kommunikator selber tun, damit wir friedlich miteinander leben und Nächstenliebe auch in den kommenden Jahrzehnten ermöglichen.