"Wir dürfen keine Narzissten sein"
Frage: Herr Weihbischof, Sie haben am Bischofskurs für die weltweit neu ernannten Bischöfe des letzten Jahres teilgenommen. Um was geht es bei diesem Kurs?
Weihbischof Udo Bentz: Es ist ein Einführungskurs. Da geht es einerseits um allgemeine, theologische Reflexionen auf das Bischofsamt, andererseits um die Arbeit der vatikanischen Einrichtungen, aber auch um vorrangige pastorale Fragestellungen. 150 neu ernannte Bischöfe waren beisammen, davon rund 20 von den orientalischen und den unierten östlichen Kirchen. Vorträge im Plenum, Diskussion in Sprachgruppen und die Möglichkeiten persönlichen Austauschs und der Begegnung untereinander wechseln sich ab. Gerade die persönliche Begegnung ist sehr wertvoll, denn hier kommen Bischöfe aus völlig verschiedenen weltkirchlichen Situationen zusammen. Mit dem Weihbischof von Boston sprach ich über die schwierigen Erfahrungen mit Missbrauch und den Umgang seines Bistums damit. Spannend war auch, mit den Bischöfen aus dem Nahen Osten zu reden. Da lernt man hautnah die Situation der Christen in diesen Ländern kennen. Das sind sehr bereichernde Gespräche. Daraus habe ich viel für die eigene Aufgabe mitgenommen.
Frage: Ähneln sich die Erfahrungen, die Sie als Bischöfe in den verschiedenen Ländern machen oder gibt es da große Unterschiede, was zum Beispiel die Schwierigkeiten betrifft?
Bentz: Das kann man so pauschal nicht sagen. Ein Bischof, der in Schottland eine Diözese mit 10.000 Katholiken und knapp 20 Priestern hat, steht natürlich vor völlig anderen Herausforderungen als wir in den deutschen Bistümern. Große Gemeinsamkeiten haben wir bei der Familienpastoral festgestellt und der Sorge um die Situation unserer Familien in der heutigen Welt. Wie ein roter Faden zog sich die Frage durch die Woche: In welcher Grundhaltung möchten wir als Bischöfe an bestimmte Herausforderungen herangehen? Am Freitag berichtete uns Marcello Semeraro, der Sekretär des von Franziskus einberufenen Kardinalsrates, von der Kurienreform. Er erläuterte die Leitmotive des Papstes bei dieser Reform: 'pastoral', 'missionarisch' und 'synodal' waren die Schlagworte. Die Frage ist: Ist das auch die Perspektive, die unsere Arbeit als Bischof vor Ort vorrangig bestimmt?
Frage: Welche großen Themen standen noch auf dem Programm?
Bentz: Das Thema Familie habe ich schon genannt. Wichtig war auch der Gedanke der 'Communio' und die damit einhergehende Verantwortung, die der Bischof für die Gemeinschaft der Gläubigen, für die Priester und pastoralen Mitarbeiter hat. Es gab noch andere Themen: 'Kommunikation in der globalisierten Welt', 'interreligiöser Dialog', 'Kirchenrecht und Pastoral' und 'Prävention und Kinderschutz'. Durch das gemeinsame Gebet, einen geistlichen Einkehrtag und die tägliche Feier der Eucharistie waren es auch Tage, in denen wir Bischöfe uns als geistliche Gemeinschaft erfahren haben.
Frage: Erstmals ging es im Kurs um Missbrauch. Was mussten Sie als Weihbischof neu darüber lernen?
Bentz: Als Verantwortlicher der Priesterausbildung in unserem Bistum Mainz habe ich mich in den vergangenen Jahren zu diesem Thema intensiv fortgebildet und mich mit den verschiedenen Dimensionen des Themenkomplexes beschäftigt. Das Thema ist mir vertraut. Neu und spannend war für mich dennoch, die konkrete Arbeit der 'Päpstlichen Kommission zum Schutz der Kinder' kennenzulernen sowie deren Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen und dem Engagement in Bildung und Forschung zu diesem Thema. Die Kurseinheit war schon herausfordernd. Ein Opfer aus Irland sprach über seine Leidensgeschichte in den vielen Jahren – auch nach dem Missbrauch. Durch das Gespräch an diesem Abend haben alle Beteiligten neu und tiefer verstehen gelernt.
Frage: Manchmal heißt es, die Sensibilität für dieses Thema sei noch nicht in allen Ländern vorhanden. Was war ihr Eindruck?
Bentz: Die Sensibilität war bei allen aus dem Kurs vorhanden – soweit man das wahrnehmen kann. Es war eine unglaublich konzentrierte, aufmerksame Atmosphäre. An der Art und Weise der Beiträge der Bischöfe spürte man, wie ernsthaft sie damit umgehen. Natürlich verfügen nicht alle Diözesen und Regionen in der Weltkirche über die Ressourcen, sich dem Thema und der Aufarbeitung in der Weise zu stellen, wie dies zum Beispiel in den USA oder bei uns der Fall ist. Gerade da setzt ja auch die Arbeit der Kommission an. Man muss aber festhalten: 98% aller Bischofskonferenzen weltweit haben mittlerweile Präventionsrichtlinien.
Themenseite: Mein Glaube, mein Leben
Jedes Jahr treten zahlreiche Menschen aus der Kirche aus. Doch es geht auch anders herum. Die Themenseite bündelt Porträts über Menschen, die sich als Erwachsene für die Kirche entschieden haben oder ihren Glauben in einer besonderen Weise leben.Frage: Kardinal Schönborn sagte am vergangenen Sonntag, das christliche Europa sei durch die Lauheit vieler Europäer bedroht. - Die Herausforderung heißt Neuevangelisierung. Welche besondere Verantwortung haben Sie als Weihbischof?
Bentz: In den Gesprächen mit den anderen Bischöfen tauchte immer wieder der Gedanke auf: Wie missionarisch sind wir? Und wie befähigen wir die Menschen zu einer missionarischen Grundhaltung, so dass sie wirkliche Zeugen sein können? Ein wichtiges Stichwort, das auch der Papst uns ans Herz legte, heißt: Authentizität. Mit einem gesunden Selbstbewusstsein soll jeder an seinem Platz und auf seine Weise überzeugend den Glauben vorleben. Zu diesem persönlichen Zeugnis müssen wir die Menschen durch immer neue Hilfe und Anregung befähigen. Das geschieht natürlich nicht einfach nur durch Wissensvermittlung im Glauben. Authentische, geistliche Erfahrung braucht es, Glaubensbildung in einem ganzheitlichen Sinn. Zu einer missionarischen Grundhaltung gehört die Frage, welchen Blick wir auf die Welt haben. Sehen wir vor allem zuerst das, was uns unterscheidet? Oder suchen wir mit Neugier und Spannung nach Ansätzen in der säkularisierten Welt, an denen wir mit dem Evangelium anknüpfen können? Gerade in meiner Aufgabe als Bischofsvikar für die Jugend in unsrem Bistum ist dieser Blickwinkel entscheidend.
Frage: Ein Beispiel für einen solchen Anknüpfungspunkt?
Bentz: Beim Thema Familie: Viele junge Menschen tragen die Sehnsucht nach einer wirklich dauerhaften Entscheidung in sich. Exklusivität ist für viele in der Partnerschaft entscheidend. Bei allen jungen Menschen ist die Sehnsucht nach einer wirklich tiefen personalen Beziehung sehr stark ausgesprägt: Ich will einen Menschen ganz lieben. Ich will selbst von einem Menschen um meinetwillen ganz geliebt werden. Doch die Verwirklichung ist schwer. Wie kann ich meine Sehnsucht wirklich leben, so fragen sich junge Menschen? An dieser Sehnsucht können wir anknüpfen und zeigen: 'Genau da greift das Evangelium etwas auf. Denn genau da steckt in dir etwas, das dir sagt, du bist als Mensch auf eine Botschaft hin angelegt.'
Frage: Müssen wir als Christen und als Kirche neu lernen über unsere Erfahrungen zu sprechen?
Bentz: Ja! Viele sind es nicht gewohnt, in der Breite darüber zu sprechen. Sie sind verunsichert. Wir müssen lernen, wirklich Erfahrungen im Glauben auszutauschen, den Glauben nicht nur als eine private Innerlichkeit für uns zu behalten, sondern das Gespräch darüber zu suchen: Welche Erfahrungen mache ich mit dem Glauben? Warum glaube ich überhaupt? Dabei wird deutlich: Gerade junge Menschen suchen nach Personen, die bereit sind, eigene Erfahrungen zu teilen und mitzuteilen: Glaubenszeugnis als Lebenserfahrung! Der Militärbischof von Kanada erzählte, er sei früher an einer Hochschule tätig gewesen. Dort habe er die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen aus ganz säkularisiertem Milieu in den letzten Jahren wieder sehr viel stärker Interesse an Glaubensfragen zeigten und elementare Fragen stellten. Und immer wieder wollten sie wissen: 'Wie lebst du selbst das denn?' Sie waren nicht an Formeln und gestanzten Antworten interessiert, sondern an der Lebensrelevanz des Glaubens.
Frage: Am Freitag hatten Sie mit den anderen Bischöfen die Gelegenheit, Papst Franziskus zu treffen. Was hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Bentz: Seine Ansprache steckte ein paar grundsätzliche Wegmarkierungen ab. Sehr am Herzen lag ihm der Bischof als Seelsorger. Da wurde wieder der Fokus auf die Pastoral deutlich. Das ist etwas, was sich beim ihm durchzieht – der Bischof als Apostel der Barmherzigkeit. Franziskus sprach auch davon, dass wir Bischöfe authentische Zeugen sein sollen. Wir dürften uns nicht hinter irgendwelchen Rollen verstecken oder gar Zerrformen davon übernehmen, dürften keine Narzissten oder modischen Amtsträger sein, denen es um Eitelkeit geht und nicht um die Sache des Evangeliums. Wir müssen immer wieder zum Wesentlichen zurückkommen und uns fragen: Was erfahre ich an Barmherzigkeit von Jesus Christus? Das forme unser Herz und lasse uns anders mit den Menschen umgehen. Und genau solche Priester müssen wir auch ausbilden. Dabei sei die Qualität entscheidend, nicht die Quantität. Das wiederholte Franziskus zweimal mit Nachdruck.