Das Konzil von Chalcedon zwischen Glaube und Politik

Ringen um Christus

Veröffentlicht am 08.10.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ Heute ist für Christen ganz klar: Jesus war Mensch und wahrer Gott. Diese sogenannte Zwei-Naturen-Lehre hat das Konzil von Chalcedon nach kontroversen Debatten festgeschrieben. Es begann heute vor 1565 Jahren.

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Mediterranes Flair mit viel Sonne, luxuriösen Einkaufsstraßen und modernen Cafés voller Besucher in sommerlicher Kleidung: Man könnte meinen, man sei in Italien, doch die Rede ist von Kadıköy, einem Stadtteil Istanbuls. Das auf der asiatischen Seite der türkischen Metropole gelegene Viertel hieß in der Antike noch anders: Chalcedon. Mit diesem Namen ist es in die Kirchengeschichte eingegangen.

Denn wo heute junge Menschen in hippen Bars und Restaurants in der Nähe des Bosporus einen Kaffee trinken, trafen sich vor genau 1.565 Jahren mehr als 350 Bischöfe. Am 8. Oktober 451 wurde das Konzil von Chalcedon eröffnet, eine der größten Kirchenversammlungen der Antike. Es ist das vierte der insgesamt sieben Ökumenischen Konzilien, die von katholischer, evangelischer und orthodoxer Kirche allgemein anerkannt werden.

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Video: © katholisch.de

Was ist ein Konzil? Ein Beitrag der Serie "Katholisch für Anfänger".

Der oströmische Kaiser Markian hatte die christlichen Oberhirten damals zu einem Konzil zusammengerufen, vor allem um eine wichtige theologische Frage zu klären: Wer war Jesus Christus, Gott oder Mensch? Oder gar beides? In welchem Verhältnis die Göttlichkeit und Menschlichkeit Jesu stehen, war eine strittige Frage der Theologie in den ersten 500 Jahren der Kirche.

Allerdings ging es dem Herrscher von Konstantinopel bei dem Treffen nicht allein um religiöse Themen. Denn er war erst im Jahr 450 an die Macht gekommen und wollte das Konzil dazu nutzen, seine Position zu festigen. Von einem einheitlichen Glauben versprach sich Markian mehr Eintracht bei seinen christlichen Untertanen und eine bessere Lenkbarkeit der Kirche im Westen und Osten des seit 395 geteilten Römischen Reiches.

Konzil aus politischen Gründen

Während der Regierungszeit seines Vorgängers Kaiser Theodosius II. hatte 449 eine Bischofsversammlung in Ephesos die theologische Meinung zur Glaubenswahrheit erklärt, dass Jesus nur die göttliche Natur besitze. Diesen sogenannten Monophysitismus hatte unter anderem Papst Leo der Große abgelehnt und das Konzil von Ephesos als "Räuberhöhle" bezeichnet. Noch heute spricht man deshalb von der "Räubersynode".

Um seinen Einfluss durch eine kirchliche Einigungspolitik auszuweiten, berief Kaiser Markian das Konzil nach Chalcedon ein. Eigentlich hätte es in Nicäa in Kleinasien stattfinden sollen, doch der Kaiser verlegte es aufgrund der größeren räumlichen Nähe zu seinem Regierungssitz nach Chalcedon. Dort trafen sich die Konzilsväter in der Basilika der heiligen Euphemia, einem kuppelgedeckten Rundbau mit Säulenempore aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Die westliche Kirche war mit einigen Gesandten Leos des Großen und zwei vor den Vandalen geflüchteten Bischöfen aus Nordafrika gegenüber den mehreren hundert Teilnehmern der östlichen Kirche stark unterrepräsentiert. Dies lag an der größeren räumlichen Nähe des Konzilsortes zu den Patriarchaten im östlichen Teil des Reiches.

Die 21 ökumenischen Konzilien im Überblick.
Bild: ©katholisch.de

Die 21 ökumenischen Konzilien im Überblick.

Bei den bis Ende Oktober dauernden Sitzungen bildeten auf der einen Seite die Vertreter des Papstes und die ostkirchlichen Bischöfe aus Antiochia und Konstantinopel eine Allianz, die sich für die Anerkennung der Lehre von den zwei Naturen Jesu einsetzte. Die Antiochener machten sich für die Unvermischtheit stark und betonten damit die Menschheit Jesu. Die Kirchenführer aus Alexandria und Jerusalem auf der anderen Seite warben für ein stärkeres Verständnis des einheitlichen Wesens Christi, weshalb sie einen Schwerpunkt bei der Göttlichkeit Christi setzten.

Kaiser und Papst übten Druck auf die Konzilsväter aus, damit diese einen Beschluss fassten. Sie konnten sich auf eine Formel einigen, welche die unterschiedlichen Formulierungen der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur in Christus einband. So versuchte das Konzil in der dogmatischen Formel von Chalcedon einen Kompromiss zu schließen: Es verkündete, dass Jesus jeweils in seiner Gottheit und Menschheit vollkommen sei und die "zwei Naturen unvermischt und unveränderlich, ungetrennt und unteilbar" seien. Damit wurden beide christologische Strömungen in der Kirche aufgegriffen und gegenüber der Irrlehre des Monophysitimus verteidigt.

Legendäre Hilfe einer Heiligen

Eine Legende erzählt, dass die Konzilsväter bei ihren Beratungen der Hilfe einer Heiligen bedurften: Demnach wurden zwei Schriftstücke in den Sarkophag der heiligen Euphemia gelegt, in deren Kirche das Konzil tagte. Auf dem einen Papier stand die Position der Monophysiten, dass Christus nur eine Natur besitze. Auf dem anderen die Aussagen der Zwei-Naturen-Lehre. Es ist überliefert, dass aus dem Grab der Heiligen auf wundersame Weise nur eines der beiden Dokumente zurückgegeben wurde. Es war jenes, das später vom Konzil als Dogma verabschiedet wurde: Die Lehre von den zwei Naturen in Christus.

Ob die Geschichte stimmt, lässt sich heute nicht mehr feststellen. In jedem Fall führte das Konzil von Chalcedon dazu, dass sich die westliche und östliche Kirche in einer wichtigen theologischen Frage festlegten und damit eine gemeinsame Glaubensbasis aufbauten. Zudem bekräftigten die Konzilsväter die Beschlüsse der vorherigen Konzilien zur Dreifaltigkeit. Einige Kirchen lehnten den christologischen Beschluss des Konzils ab. Ein anderes Glaubensverständnis hatte dazu geführt, aber auch kirchenpolitische Gründe, wie die Vorherrschaft des Patriarchats von Antiochia.

Die eine, vielfältige Kirche

Die eine Kirche Christi tritt in verschiedensten Formen auf, etwa in den orthodoxen und orientalischen Kirchen. Wir erklären das katholische Verständnis von "Kirche", was das für die Ökumene bedeutet und stellen unterschiedliche Traditionen vor.

Die Kopten in Ägypten und mit ihr die ganze ägyptische Kirche, die Jakobiten in Ostsyrien und die armenische Kirchen stimmten der Zwei-Naturen-Lehre nicht zu und vollzogen damit die Trennung von der Kirche des Konzils. Im 20. Jahrhundert wurden jedoch von der katholischen Kirche mit einigen dieser orientalisch-orthodoxen Kirchen Erklärungen über das gegenseitige Verständnis der christologischen Lehre unterzeichnet, in denen diese Differenzen aus dem Weg geräumt wurden. Diese führten jedoch nicht zu einer Kirchen- oder Sakramentengemeinschaft.

In Istanbuls trendigem Stadtteil Kadıköy steht die Euphemia-Kirche der Antike heute nicht mehr. Sie musste anderen Gebäuden weichen. Statt bärtigen Bischöfen bevölkern nun junge türkische Frauen und Männer das ehemalige Chalcedon. Die dogmatischen Beschlüsse des Konzils aus dem Jahr 451 hingegen haben die Zeit überlebt. Noch heute glauben die meisten Christen weltweit an die Zwei-Naturen-Lehre.

Von Roland Müller